Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824
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https://doi.org/10.11588/diglit.22120#0348
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No 79-91 (Juli 1824)
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- Einband
- [Vorbemerkung]
- Inhalt
-
No 1-13 (Januar 1824)
-
No 14-25 (Februar 1824)
-
No 26-39 (März 1824)
-
No 40-51 (April 1824)
-
No 52-65 (Mai 1824)
-
No 66-78 (Juni 1824)
-
No 79-91 (Juli 1824)
-
No 92-104 (August 1824)
-
No 105-117 (September 1824)
-
No 118-130 (Oktober 1824)
-
No 131-143 (November 1824)
-
No 144-157 (Dezember 1824)
- Einband
- Maßstab/Farbkeil
Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.
Nis 82. Sonnabend den 10. Juli 1824.
Gehorſam den Regenten! — Achtung dem wahren Adel! — Allgemeinheit
dem echten Chriſtenthum! — Friede und Segen den Hütten! —
Unerwarteter Troſtbrief des Malers der Weltalter
an die Geliebte
eines Mitglieds der Burſchenſchaft.
„Der alte Gott und Friedrich Wilhelm,
„der Gerechte, leben ja noch.“
(Juſtizrath Biſchoff zu Dresden: auf S. XII. von
Bd. J. ſeiner Zeichnung von P. A. Fonk.)
Liebe Freundin!
Wie der alten Roma großer Geſchichtſchreiber, Livius,
unter ſeines Kaiſers Tiberius Schutz, mit wachendem
Auge, auf des Capitols Stufen, ferner geträumt hat —
zur naͤmlichen Stunde geträumt hat *), wo ſein großer
Zeitgenoſſe: Jeſus Chriſtus (von Nazareth) —
vom Teufel, in der Wüſte, verſucht ward: dies wollen
Sie wiſſen und ſehen ? Armer Schelm: Sie ſollen es ſe-
hen und wiſſen; aber erſt nach einigen Stunden oder Ta-
gen: denn jetzt thut es Noth, — Sie vor bitteren Thraͤ⸗
nen, ja vielleicht vor Fieberhitze und Verzweiflung zu ſchü-
tzen. Wodurch zu ſchuͤtzen? Dadurch, daß ich Ihnen mit
*) Nämlich 17 Jahre nach der Geburt von Jeſus Chriſtus: und alſo
3 Jahre nach der Thronbeſteigung des finſter ⸗ſchlauen Tibers,
aus deſſen Vollmacht Letzterer, 17 Jahre ſpäter, hingerichtet
Manpden
einigen Worten zu verſtehen gebe, was der jetzige Herr-
ſcher des Capitols: was der weiſe Leo XII. (Graf della
Genga) — unſer Zeitgenoſſe, mit ebenfalls wachendem
Auge, nicht traͤumt, ſondern ſieht.
Ihr eigener Geliebter, der ſonnettenſchwangere Jüng⸗—
ling: dieſer biedere deutſche Burſche: er liegt, als Hoſch-
verräther, in Ketten; und deſſen gelehrtes Freundchen,
der Seladon Ihrer blauaugigen Schweſter, der große
Kenner von des beredtſamen Görres aſiatiſcher Mytho⸗—
logie — dieſer Bewunderer von Zacharias Werner
und Stolberg — dieſer würdige Bürger — nämlich
Trau mbürger — von des bekehrten Haller friſch re-
ſtaurirtem Staate — dieſer gute Junge, welcher Ihnen ſo
manche Stanze aus ſeiner poſt-Griesiſchen Ueberſetzung von
Taſſo's befreitem Jeruſalem, vordeklamirt: — wo iſt
er — wo weilt er? So eben liegt ſein langes Rabenhaar
auf dem Strohbündel einer Gebirgshüͤtte. Sein Magen
iſt leer; und der Hunger quaͤlt ihn; denn die arme Baͤuer-
familie, bei welcher der Vaterlandsflüchtling eine Frei-
ſtätte, neben dem Kuhſtalle, gefunden, konnte ihm nur wi-
derwaͤrtige Kartoffeln des neunzehnten Jahrhunderts anbie-
ten; Fleiſch aber wollte ihm der Schlaͤchter des Dorf-
chens, gegen ſeine Stanzen und Minnelieder — der Unge-
behrdige und Hoͤhniſche — auf keine Weiſe vertauſchen.
Warum wollte er es ihm nicht vertauſchen, dieſer unwür-
dige Enkel von Kukupeter? Was ſprach der Dumm-
Nis 82. Sonnabend den 10. Juli 1824.
Gehorſam den Regenten! — Achtung dem wahren Adel! — Allgemeinheit
dem echten Chriſtenthum! — Friede und Segen den Hütten! —
Unerwarteter Troſtbrief des Malers der Weltalter
an die Geliebte
eines Mitglieds der Burſchenſchaft.
„Der alte Gott und Friedrich Wilhelm,
„der Gerechte, leben ja noch.“
(Juſtizrath Biſchoff zu Dresden: auf S. XII. von
Bd. J. ſeiner Zeichnung von P. A. Fonk.)
Liebe Freundin!
Wie der alten Roma großer Geſchichtſchreiber, Livius,
unter ſeines Kaiſers Tiberius Schutz, mit wachendem
Auge, auf des Capitols Stufen, ferner geträumt hat —
zur naͤmlichen Stunde geträumt hat *), wo ſein großer
Zeitgenoſſe: Jeſus Chriſtus (von Nazareth) —
vom Teufel, in der Wüſte, verſucht ward: dies wollen
Sie wiſſen und ſehen ? Armer Schelm: Sie ſollen es ſe-
hen und wiſſen; aber erſt nach einigen Stunden oder Ta-
gen: denn jetzt thut es Noth, — Sie vor bitteren Thraͤ⸗
nen, ja vielleicht vor Fieberhitze und Verzweiflung zu ſchü-
tzen. Wodurch zu ſchuͤtzen? Dadurch, daß ich Ihnen mit
*) Nämlich 17 Jahre nach der Geburt von Jeſus Chriſtus: und alſo
3 Jahre nach der Thronbeſteigung des finſter ⸗ſchlauen Tibers,
aus deſſen Vollmacht Letzterer, 17 Jahre ſpäter, hingerichtet
Manpden
einigen Worten zu verſtehen gebe, was der jetzige Herr-
ſcher des Capitols: was der weiſe Leo XII. (Graf della
Genga) — unſer Zeitgenoſſe, mit ebenfalls wachendem
Auge, nicht traͤumt, ſondern ſieht.
Ihr eigener Geliebter, der ſonnettenſchwangere Jüng⸗—
ling: dieſer biedere deutſche Burſche: er liegt, als Hoſch-
verräther, in Ketten; und deſſen gelehrtes Freundchen,
der Seladon Ihrer blauaugigen Schweſter, der große
Kenner von des beredtſamen Görres aſiatiſcher Mytho⸗—
logie — dieſer Bewunderer von Zacharias Werner
und Stolberg — dieſer würdige Bürger — nämlich
Trau mbürger — von des bekehrten Haller friſch re-
ſtaurirtem Staate — dieſer gute Junge, welcher Ihnen ſo
manche Stanze aus ſeiner poſt-Griesiſchen Ueberſetzung von
Taſſo's befreitem Jeruſalem, vordeklamirt: — wo iſt
er — wo weilt er? So eben liegt ſein langes Rabenhaar
auf dem Strohbündel einer Gebirgshüͤtte. Sein Magen
iſt leer; und der Hunger quaͤlt ihn; denn die arme Baͤuer-
familie, bei welcher der Vaterlandsflüchtling eine Frei-
ſtätte, neben dem Kuhſtalle, gefunden, konnte ihm nur wi-
derwaͤrtige Kartoffeln des neunzehnten Jahrhunderts anbie-
ten; Fleiſch aber wollte ihm der Schlaͤchter des Dorf-
chens, gegen ſeine Stanzen und Minnelieder — der Unge-
behrdige und Hoͤhniſche — auf keine Weiſe vertauſchen.
Warum wollte er es ihm nicht vertauſchen, dieſer unwür-
dige Enkel von Kukupeter? Was ſprach der Dumm-