Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.
Nio 72. Mittwoch den 16. Juni 184.
Verantwortlicher Redakteur und Herausgeber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.
Dier Chriſtabend.
(Sſch hu ß6.)
Mein Beruf forderte mich nicht zum Streite, und faſt
allein war ich in den Kirchſtühlen zurück geblieben. Ohne
Unterbrechung ging das Hochamt zu Ende. Geſang und
Orgel verſtummten und mit langſamen Schritten kverließ
der Abt mit Leviten und Dienern den Altar. Da trat
freundlich grüßend ein alter Moͤnch mir näher, und lud
mich ein das Kloſter zu betreten, und der Brüder Morgen-
brod zu theilen. Dankbar empfing ich die willkommene
Ladung, und folgte dem Mönche durch die matt erleuchte-
ten Kloſtergaͤnge zum Verſammlungsſaale.
In Gruppen ſtanden die Brüder in der Nähe eines
hohen bis an die Decke ſich erhebenden Ofens, der eine
wohlthuende Waͤrme in dem geräumigen, mit Heiligen-
bildern reich behangenen Saale verbreitete. Herzlich und mit
zuvorkommender Guͤte boten mir alle die Haͤnde zum Will-
komm und geleiteten mich zu dem Abte, auf deſſen Antliz
frommes ſtilles Dulden mit Würde geparet mir entgegen
ſtrahlte. Theilnehmend ſprach er von des Krieges Stür-
men und Gefahren, und verglich ſein Wüthen mit dem
reiſſenden Waldſtrome, der Wehr und Damm durchbricht,
und den ſorgloſen Uferbewohner mit Grauß und Zerſtörung
unvermuthet uͤberfällt. Mit zarter Schonung erwaͤhnte er
auch der Vorfaͤlle dieſer Nacht, und gab ſeinen Antheil an
dem Schickſal der Kaͤmpfenden beider im Kriege befange-
nen Völker zu erkennen.
Das Mahl einzunehmen ließen ſich nun die Mönche an
den langen reinlich gedekten Tiſchen nieder. An ſeine
Seite zog mich der Abt, und gebot auch unſern in den
Höfen des Kloſters zurückgebliebenen Dienern Speiſe und
Trank gaſtlich zu reichen.
Da öffneten ſich ploͤtzlich des Saales hohe Flügelthüren
und hereintrat von Feldobriſten und Hauptleuten umgeben,
der Franken tapfrer Führer. Mit Anſtand und Auszeich-
nung empfingen der Abt und ſeine Untergebenen den Sieg-
gekrönten, und wuͤnſchten ihm mit wenigen doch freundlichen
Worten Glück zur Wiederkehr in die friedliche Wohnung
der Gottgeweihten. Beſcheiden dankte der Feldherr und
verſchmaͤhte nicht, die ihm dargebotene Labung, von die-
nenden Brüdern eifrig aufgetragen, anzunehmen und mit
Behagen zu koſten.
Mit verſtaͤndiger Rede unterhielt der Abt — der fraͤn—
kiſchen Sprache kundig — ſeinen Gaſt, und als jetzt Hoͤrner
und Kriegstrometen an den Aufbruch mahnten, ſchienen
Alle nur ungern aus der Moͤnche Mitte zu ſcheiden. Dan-
kend reichte der fraͤnkiſche Führer dem Greiſe die Rechte
und ſprach „vergönnt Herr Abt mir die Frage, wie konntet
ihr bei der Waffen Geraͤuſch, bei des Geſchuͤtzes todtver-
breitenden Schlaͤgen, ſo ruhig und ohne Furcht des Meß-
opfers heilige Handlung vollbringen?“ Da erwiederte mit
verklaͤrter Miene und Ehrfurcht gebietendem Tone der Abt
„Wie moͤget ihr darob euch wundern, ich erfullte ja nur
meinen Beruf, wie ihr den eurigen wenn das wilde Ge-
tümmel der Schlacht euch umgiebt. Ein Hoͤherer wacht
Nio 72. Mittwoch den 16. Juni 184.
Verantwortlicher Redakteur und Herausgeber: Friedrich Karl Freiherr von Erlach.
Dier Chriſtabend.
(Sſch hu ß6.)
Mein Beruf forderte mich nicht zum Streite, und faſt
allein war ich in den Kirchſtühlen zurück geblieben. Ohne
Unterbrechung ging das Hochamt zu Ende. Geſang und
Orgel verſtummten und mit langſamen Schritten kverließ
der Abt mit Leviten und Dienern den Altar. Da trat
freundlich grüßend ein alter Moͤnch mir näher, und lud
mich ein das Kloſter zu betreten, und der Brüder Morgen-
brod zu theilen. Dankbar empfing ich die willkommene
Ladung, und folgte dem Mönche durch die matt erleuchte-
ten Kloſtergaͤnge zum Verſammlungsſaale.
In Gruppen ſtanden die Brüder in der Nähe eines
hohen bis an die Decke ſich erhebenden Ofens, der eine
wohlthuende Waͤrme in dem geräumigen, mit Heiligen-
bildern reich behangenen Saale verbreitete. Herzlich und mit
zuvorkommender Guͤte boten mir alle die Haͤnde zum Will-
komm und geleiteten mich zu dem Abte, auf deſſen Antliz
frommes ſtilles Dulden mit Würde geparet mir entgegen
ſtrahlte. Theilnehmend ſprach er von des Krieges Stür-
men und Gefahren, und verglich ſein Wüthen mit dem
reiſſenden Waldſtrome, der Wehr und Damm durchbricht,
und den ſorgloſen Uferbewohner mit Grauß und Zerſtörung
unvermuthet uͤberfällt. Mit zarter Schonung erwaͤhnte er
auch der Vorfaͤlle dieſer Nacht, und gab ſeinen Antheil an
dem Schickſal der Kaͤmpfenden beider im Kriege befange-
nen Völker zu erkennen.
Das Mahl einzunehmen ließen ſich nun die Mönche an
den langen reinlich gedekten Tiſchen nieder. An ſeine
Seite zog mich der Abt, und gebot auch unſern in den
Höfen des Kloſters zurückgebliebenen Dienern Speiſe und
Trank gaſtlich zu reichen.
Da öffneten ſich ploͤtzlich des Saales hohe Flügelthüren
und hereintrat von Feldobriſten und Hauptleuten umgeben,
der Franken tapfrer Führer. Mit Anſtand und Auszeich-
nung empfingen der Abt und ſeine Untergebenen den Sieg-
gekrönten, und wuͤnſchten ihm mit wenigen doch freundlichen
Worten Glück zur Wiederkehr in die friedliche Wohnung
der Gottgeweihten. Beſcheiden dankte der Feldherr und
verſchmaͤhte nicht, die ihm dargebotene Labung, von die-
nenden Brüdern eifrig aufgetragen, anzunehmen und mit
Behagen zu koſten.
Mit verſtaͤndiger Rede unterhielt der Abt — der fraͤn—
kiſchen Sprache kundig — ſeinen Gaſt, und als jetzt Hoͤrner
und Kriegstrometen an den Aufbruch mahnten, ſchienen
Alle nur ungern aus der Moͤnche Mitte zu ſcheiden. Dan-
kend reichte der fraͤnkiſche Führer dem Greiſe die Rechte
und ſprach „vergönnt Herr Abt mir die Frage, wie konntet
ihr bei der Waffen Geraͤuſch, bei des Geſchuͤtzes todtver-
breitenden Schlaͤgen, ſo ruhig und ohne Furcht des Meß-
opfers heilige Handlung vollbringen?“ Da erwiederte mit
verklaͤrter Miene und Ehrfurcht gebietendem Tone der Abt
„Wie moͤget ihr darob euch wundern, ich erfullte ja nur
meinen Beruf, wie ihr den eurigen wenn das wilde Ge-
tümmel der Schlacht euch umgiebt. Ein Hoͤherer wacht