Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.
Nis 139. Sonnabend den 20. November 18N.
Gehorſam den Regenten! — Achtung dem wahren Adel! — Allgemeinheit
dem echten Chriſtenthum! — Friede und Segen den Hütten! —
Der unbekannte Freund.
Ein Phantaſieſtück
von Johann Gabriel Seidl.
(Fortſetzung.)
2
Rinald und Erline fanden ſich in der Rheinburg, und
fanden ſich oft wieder, ſchloſſen und erneuten den Wechſel-
bund der Liebe, und der Tag des Lohnes ſchien nun bald
zu nahen, als mit einem Male das Ungluͤck, doppelt ge-
faͤhrlich, weil es in reizender Vermummung kam, herein-
brach. An einem purpurnen Morgen ſtieg von dem nach-
barlichen Berggrathe, leichtgekleidet, die Toͤne ſeines
Liedes als Gaſtbitter vor ſich herſendend, mit ſei-
nem hellen Aug' aber Thuüren und Herzen öffnend, ein
Saͤnger herab. Er kam geraden Weges auf Roberts
Burg zu. Leben und Freude waren die Begleiter ſeiner
Schritte. Die Vöͤgel des Waldes hüͤpften ihm von
Zweige zu Zweig nach, um ihm die Töne ſeiner Zither
abzulernen; die Wachen, an denen er vorüber ſchritt, ka-
men aus ihrer ſteifen Soͤldnerhaltung, und ſchwenkten
ihm in ehrfurchtsvoller Entzückung lange noch die blanken
Speere zu; ſelbſt unter der Holzhauer rauhes und ungelen-
kes Geſchlecht wußte ſich ſein Lied, wie ein verirrtes Kind-
lein, einzuſchleichen; rüſtiger hoben ſie die Aexte, — haͤm⸗
merten in Maaß und Takte los, und wiederholten im Chore
die Weiſen des Pilgers. Und eben ſtand er ſingend vor
dem Thore der grauen Rheinburg, und hatte durch ſeine
holden Töne bereits Erlinen und der anderen Frauen liebe
Koͤpfchen zu den Fenſtern herausgelockt, — als das Thor-
gitter aufraſſelte, Robert heraustrat, und dem geachteten
Saͤnger einen goldenen Pokal zum Zutrinken anbot, —
waͤhrend Rinald lauſchend in einem Gebüſche lag und des
herrlichen Saͤngerdankes bald zuͤrnte, bald ſich gefangen
gab. Umgeben von der Burgleute ganzer Schaar, trat der
Saͤnger in den hohen Ahnenſaal, wo ihn das Burgfraͤulein
bewillkommnen mußte. In ſtiller Ehrfurcht, geſenkten
Hauptes, reichte ſie dem Hohen, den ſie für hoͤherer Wel-
ten Sohn hielt, die hauswirthliche Hand zum Empfange.
Da faͤrbten ſich des Saͤngers Wangen mit ſtaͤrkerem Rothe,
daß ſeiner Locken Gold davon wiederleuchtete; er legte die
Leier, halbgebückt in ihre Hand, (denn ſingen konnt' er
nicht, wo ſein Inneres ganz Geſang war) und ſah ihr mit
hellblitzendem Auge nach, als ſie die klangreiche Zither an
die Wand zu heften ging. Robert nahm deſſen, nicht ohne
Beſorgniß und unwillkuͤhrliche Furcht, wahr. Er zer-
ſtreute jedoch beide, ſetzte ſich an das Mahl und bat den
Jüngling, wenn er ſich genugſam erquickt, den neugieri-
gen Gäſten, ſeine Lebensgeſchichte zu erzaͤhlen.
„Ich ſtamme von oben, hub der Saͤnger — wie Alles
von oben ſtammt; die Leute nennen mich den Lebensſäͤn⸗
Nis 139. Sonnabend den 20. November 18N.
Gehorſam den Regenten! — Achtung dem wahren Adel! — Allgemeinheit
dem echten Chriſtenthum! — Friede und Segen den Hütten! —
Der unbekannte Freund.
Ein Phantaſieſtück
von Johann Gabriel Seidl.
(Fortſetzung.)
2
Rinald und Erline fanden ſich in der Rheinburg, und
fanden ſich oft wieder, ſchloſſen und erneuten den Wechſel-
bund der Liebe, und der Tag des Lohnes ſchien nun bald
zu nahen, als mit einem Male das Ungluͤck, doppelt ge-
faͤhrlich, weil es in reizender Vermummung kam, herein-
brach. An einem purpurnen Morgen ſtieg von dem nach-
barlichen Berggrathe, leichtgekleidet, die Toͤne ſeines
Liedes als Gaſtbitter vor ſich herſendend, mit ſei-
nem hellen Aug' aber Thuüren und Herzen öffnend, ein
Saͤnger herab. Er kam geraden Weges auf Roberts
Burg zu. Leben und Freude waren die Begleiter ſeiner
Schritte. Die Vöͤgel des Waldes hüͤpften ihm von
Zweige zu Zweig nach, um ihm die Töne ſeiner Zither
abzulernen; die Wachen, an denen er vorüber ſchritt, ka-
men aus ihrer ſteifen Soͤldnerhaltung, und ſchwenkten
ihm in ehrfurchtsvoller Entzückung lange noch die blanken
Speere zu; ſelbſt unter der Holzhauer rauhes und ungelen-
kes Geſchlecht wußte ſich ſein Lied, wie ein verirrtes Kind-
lein, einzuſchleichen; rüſtiger hoben ſie die Aexte, — haͤm⸗
merten in Maaß und Takte los, und wiederholten im Chore
die Weiſen des Pilgers. Und eben ſtand er ſingend vor
dem Thore der grauen Rheinburg, und hatte durch ſeine
holden Töne bereits Erlinen und der anderen Frauen liebe
Koͤpfchen zu den Fenſtern herausgelockt, — als das Thor-
gitter aufraſſelte, Robert heraustrat, und dem geachteten
Saͤnger einen goldenen Pokal zum Zutrinken anbot, —
waͤhrend Rinald lauſchend in einem Gebüſche lag und des
herrlichen Saͤngerdankes bald zuͤrnte, bald ſich gefangen
gab. Umgeben von der Burgleute ganzer Schaar, trat der
Saͤnger in den hohen Ahnenſaal, wo ihn das Burgfraͤulein
bewillkommnen mußte. In ſtiller Ehrfurcht, geſenkten
Hauptes, reichte ſie dem Hohen, den ſie für hoͤherer Wel-
ten Sohn hielt, die hauswirthliche Hand zum Empfange.
Da faͤrbten ſich des Saͤngers Wangen mit ſtaͤrkerem Rothe,
daß ſeiner Locken Gold davon wiederleuchtete; er legte die
Leier, halbgebückt in ihre Hand, (denn ſingen konnt' er
nicht, wo ſein Inneres ganz Geſang war) und ſah ihr mit
hellblitzendem Auge nach, als ſie die klangreiche Zither an
die Wand zu heften ging. Robert nahm deſſen, nicht ohne
Beſorgniß und unwillkuͤhrliche Furcht, wahr. Er zer-
ſtreute jedoch beide, ſetzte ſich an das Mahl und bat den
Jüngling, wenn er ſich genugſam erquickt, den neugieri-
gen Gäſten, ſeine Lebensgeſchichte zu erzaͤhlen.
„Ich ſtamme von oben, hub der Saͤnger — wie Alles
von oben ſtammt; die Leute nennen mich den Lebensſäͤn⸗