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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824

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No 131-143 (November 1824)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22120#0568

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Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.

ro 136. Sonnabend den 13. November 1824.

Gehorſam den Regenten! — Achtung dem wahren Adel! — Allgemeinheit

dem echten Chriſtenthum! —

Friede und Segen den Hütten! —

Die Wanderung durchs Tauberthal.

Eine Erzaͤhlung aus dem Anfange des 19. Jahrhunderts
von Adolf Joſt.
(Cortſetzung.)
Julius hatte durch dieſe Erzaͤhlung des freundlichen und
klar redenden Pater Guardian, noch mehr aber aus andern
Bemerkungen deſſelben, die von lichtem Verſtand und wiſ-
ſenſchaftlicher Bildung zeugten, ein lebhaftes Intereſſe fuͤr
denſelben und die Ueberzeugung gewonnen, daß es ewig
Schade ſeyn werde, wenn dieſer, an Geiſt und Koͤrper
kraͤftige Jüngling als Bettelmönch ein thatenloſes Leben
dahin faullenzen ſolle. Er fragte ihn deshalb, wie er dazu
gekommen, einen Stand zu waͤhlen, für den er ſo wenig
Neigung zu haben ſchiene und in deſſen engen Schranken
ſein aufſtrebender Geiſt ſich ſo gefeſſelt fuͤhlen muͤſſe. Ach;
erwiederte der Franziskaner mit einem Seufzer, wie bin
ich dazu gekommen? wie der Soldat, der gegen ſeinen Wil-
len mit unbekannten Feinden kaͤmpfen muß. Meine Mut-
ter war ein frommes, aber ein ſchwaches Weib. Von ei-
nem Uebel glaubte ſie befreit worden zu ſeyn durch die
Fuͤrbitte eines Moͤnchs und ſie that deshalb dem Himmel
das Geluͤbde, mich, den ſie damals noch unter'm Herzen
trug, falls ich als Knabe geboren würde, dem Dienſte der
Kirche weihen zu wollen. So ward ich fuͤr's Kloſter erzo-
gen, und zum Selbſtdenken gereift, und fühlend, daß meine

Seele nach Freiheit dürſte und nach regerem Streben,
waren doch alle meine ſpäteren Bitten und ſelbſt mein ei-
genes ernſtes Bemühen, mir eine andere Beſtimmung zu
geben, vergeblich. Heimlich ſuchte ich mir die Schriften
aͤlterer und neuerer Philoſophen zu verſchaffen, auf gleiche
Weiſe ſtudirte ich die beſten Klaſſiker der alten Welt. Aber
eben, daß ich in dieſen Himmel der Weisheit und des
Lichts geſehen, iſt Urſache, daß ich die Finſterniß nur dich-
ter noch waͤhne, in die ich mich gebannt ſehe.
Faſſen Sie Muth, Freund, ſagte Julius. Die Sonne
des 19. Jahrhunderts ſteht über uns, die Barbareien ro-
herer Zeiten liegen vergraben im Schutt, und nur das
fanatiſche Spanien beugt ſeinen Sklavennacken noch unter
das Blutbeil der Erfindung des Satans — der hoͤlliſchen In-
quiſition. Für ein anderes Wirken fuͤr Sie ließe ſich wohl
Rath ſchaffen, wenn Sie auf irgend eine erlaubte Weiſe
Ihr jetziges Verhaltniß zu aͤndern vermͤͤchten und mit Ih-
rem Gewiſſen deshalb ſich ins Reine bringen zu können
glauben.
Bei dieſer Aeußerung glaͤnzte eine Thraͤne im freudigen
Auge des Franziskaners; krampfhaft druckte er die Hand
unſeres Wanderers und ſagte mit zweifelnder Stimme:
„nur Entfernung vermag meine Bande zu loſen; alles An-
dere iſt vergeblich. Mit meinem Gewiſſen bin ich laͤngſt
im Reinen; denn unmöͤglich kann dem Herrn mein jetziges
Leben wohlgefaͤllig ſeyn.“
 
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