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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824

DOI Kapitel:
No 92-104 (August 1824)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22120#0396

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W

Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.

Nie 94. Sonnabend den 7. Au guſt 18N.

Gehorſam den Regenten! — Achtung dem wahren Adel! — Allgemeinheit
dem echten Chriſtenthum! — Friede und Segen den Hütten! —

Der blaue Vogel und die gelbe Maus.

(Schel u 6.)
Der Kaiſer aber ſprach: Lehre mich, weiſer Asdin, welches
ſind die Zeichen dieſer Wunderthiere, und wie ich aufhören
könne, was ich nicht verſtehe; denn noch iſt mir dunkel, was
du ſagſt von der wechſelnden Richtung der Geiſter. —Asdin
antwortete: Du kennſt die irdiſchen Winde? ſie ſind Kraͤfte
der ſichtbaren Welt, erhaben über Willkühr der Sterbli-
chen. Deine maͤchtigſten Flotten vermoͤgen nichts gegen
die Gewalt der Winde. Wie nun heute brauſet der Luft-
ſtrom aus Mitternacht, morgen vom Aufgang her, und ſo
wechſelnd jeden Tag, wie nun die Winde ſich abloͤſen in
dem Reiche, das deine Sinne umfaſſen: alſo herrſchen,
wechſelnd in der Richtung, hoͤhere Geiſter in dem unſicht-
baren Reiche; und der Menſch vermag ſo wenig, und
weniger gegen ſie, als er ſich dem Sturm aus Abend ent-
gegenſtellen und ihm gebieten kann, nach Morgen zurück-
zukehren. Und wie du forſcheſt, von welcher Seite der
Wind wehet, ehe du deine Flotten ausſendeſt: ſo wird es
auch von erhabnem Nutzen ſeyn, zu wiſſen, nach welcher
Richtung maͤchtig die Geiſterwelt andraͤngt. Ich will dich
eine Zauberformel lehren, auf welche der blaue Vogel
horchen und dir anzeigen wird, welcher Geiſt durch die
unſichtbaren Regionen wehet. Darnach entſchließe dich,
ehe du die Flotten deiner Gedanken ausſendeſt, zu erobern.
Tugend und Ruhm und Glück deines Volkes. Wenn nun

aber der blaue Vogel dir anzeigt, daß ein guter Geiſt
durch die unſichtbaren Regionen weht, ein Geiſt der Wahr-
heit, der Sitte und Tugend, der nicht an Tyrannei und
Sklavenſinn, ſondern an Gerechtigkeit und Weisheit ſeine
Freude hat: dann mußt du auch kennen, die Widerſacher
des guten Geiſtes. Merke wohl auf! dann wird die gelbe
Maus an allen Thüren der Böͤſen ſtille ſtehen, ſobald du
in der Nacht ſie an der Kette durch die Straßen führeſt.
Doch huͤte dich die Kette aus den Haͤnden zu laſſen; denn
ſo wie die gelbe Maus ſich frei fuͤhlet, laͤuft ſie in die
Haͤuſer ihrer Freunde und Verwandten und bringt ihnen
Zaubermittel, das Leben der Menſchen zu vergiften mit
Heuchelei und Grauſamkeit. — Und noch vieles erzaͤhlte
Asdin dem Kaiſer, das Niemand wiſſen darf als ein gs-
rechter und weiſer Fürſt.
Vetinga aber war gerecht und weiſe. Darum erhob er
ſein Volk aus dem Dunkel der Knechtſchaft zur Klarheit
tugendhafter, wohlerzogener, denkender und freier Menſchen.
Es lebte aber an ſeinem Hofe Sinſinpoda, der
ſchwarze Prinz, in welchem eine Seele der Finſterniß
wohnte, erzeugt aus Neid, Luͤge, Heuchelei und niedriger
Herrſchſucht. Dieſer haßte den großen Sultan und miß-
gönnte ihm ſein Glück, ſo wie das Glück des Volkes ſelbſt
ihm ein Graͤuel war. Als nun einſt die finſtere Schick-
ſalsgoͤttin Pawaſi den Beherrſcher von Sanuli-Setan
mit Krankheit heimſuchte, und er die Sorge der Herrſchaft
ſeinen Veziren überlaſſen mußte: da empoͤrte ſich der
 
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