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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824

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No 52-65 (Mai 1824)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22120#0238

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Rheiniſche Morgenzeitung fuͤr gebildete Leſer.

Nro 55. Sonnabend den 8. Mai 182.

Verantwortlicher Redakteur und Herausgeber:

Friedrich Karl Freiherr von Erlach.

Das Aſchenhäufchen.

Eine Legende.

In einer Stadt am fernen Tiberſtrande,
Den Namen nennt uns die Legende nicht,
Hat eine Frau gelebt von hohem Stande,
Von der euch künden ſoll nun mein Gedicht.
Vergebens haſche ich nach reichen Bildern
Die Wunderthat'ge würdig euch zu ſchildern.
Auch wag' ich's nicht — will kurz und gut es ſagen.
Dianen glich an Wuchs ſie und Geſtalt.
In's ſchwarze Aug' durft man den Blick nur tragen
War zinsbar man der Zauberallgewalt,
Und nimmer aus den Labyrinthgewinden
Konnt man und wollt den Ausgang wieder finden.

Doch ach! — ein Herz im ſchönen Buſen lebte,
Ein fuhlend Herz, ein Herz voll Liebesglut,
Das zu beglücken ſich und andre ſtrebte,
Die Lieb' erkennend als das höchſte Gut.
Wer ſollte ſolchen Schatz nicht wurdig ehren,
Zu ſolchem Kleinod nicht die Blicke kehren? —
Der Schoͤnheit Zauber lockt in reicher Menge
Der Ritter Schar zu unſrer Dame hin;
Dem zeigt ſie Milde, Huld, dem Ernſt und Strenge,
Doch alle lenkt ſie dienſtbar ihrem Sinn.

So ſah entzückt in wonnigem Genießen
Sie manches Jahr ins Meer der Zeit verfließen.

Doch ach! des weiſen Königs Spruch bewaͤhrte
Bei unſrer Schoͤnen auch ſich nur zu wahr;
Wie alles ſeine Zeit geht, ſo auch waͤhrte
Nicht ewig fort die Luſt; von Jahr zu Jahr
Nahm ab die Zahl vergötternder Verehrer;
Die böſe Zeit iſt alles Glück's Verhehrer! —

Allein — wie hier die Werber taͤglich ſchwanden
Nahm in der Schönen Bruſt die Sehnſucht zu;
Ihr reitzbar Herz lag ſtets in Liebesbanden
Und Tag und Nacht floh ſie die ſüße Ruh;
Wie ſie auch kaͤmpft die inn're Stimm' zu hoͤhnen;
Vergänglich ach! iſt hier das Reich des Schoͤnen! —
Im Zwieſpalt mit ſich ſelbſt müht ſich die Arme,
Des Herzens Glut zerſtoͤrt den ſchoͤnen Bau,
Und hingezehrt von Mißmuth, Gram und Harme
Sieht man erkranken bald die holde Frau.
Man ruft den Arzt herbei, er forſcht, er fraget:
Doch was ihr fehlt, die Schoͤne nimmer ſaget.
Der Roſe gleich, die reich vom Thau gefeuchtet
Am heißen Strahl der Sonne welkend bricht,
Sinkt ſie auch hin, das Zauberauge leuchtet
Nicht freundlich mehr, erloſchen iſt das Licht,
Des Todes Schleier deckt die zarte Hülle,
Es ſtockt der Puls — das Herz ſteht endlich ſtille.
 
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