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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824

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No 52-65 (Mai 1824)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22120#0227

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ſtillen Gegend des ſchoͤnen H. s, welche die giftigen

Krallen des Eroberers noch nicht gepackt hatte, ſich ein

Landgut zu erwerben, um dort in friedlichem, einfachen
Geſchaͤfte, ſeine ferneren Tage zuzubringen — er konnte
das Gewohnte nicht aufgeben, und das Haus nicht verlaſſen,
das von ſeinen Altvordern auf ihn vererbt war, in dem
ſeine und Mariens Wiege geſtanden, und in welchem die
geliebte Gattin, an ſeiner Bruſt, ihren letzten Seufzer
verhaucht hatte.
Raſch griff er aufs neue zur Theilnahme am Welthandek
(zur allerhoͤchſten Freude Hrn. Cornelis), da ſich wieder
die Gelegenheit dazu bot; und, nachdem ſeine eigenthüm-
lichen Zwey- und Dreymaſter von den ſchaͤndlichen Ketten,
die ſie jahrelang gefeſſelt hatten, erloͤſet und gehoͤrig calfa-
tert waren, ſuchten ſie, voneinander ſich trennend, die ge-
wohnten Bahnen wieder auf, welche an die Kuͤſten der
nordiſchen Reiche, Englands und der neuen Welt, die
Schwerbelaſteten fuͤhrten.

Von Rodrigo war immer noch keine Antwort auf Mariens
Brief gekommen, wiewohl nach der Befreiung Hans kein Hin-
derniß in der Correſpondenz nach Spanien mehr ſtatt fand.
Hatte doch ſchon Hr. Bernhard die Nachricht: das Haus
des Pedro Esquirez habe durch zu gewagte Unternehmun-
gen bereits einigemal ſich dem Falle nahe gebracht und
man erwarte, daß das, nur noch durch morſche Stuͤtzen
Gehaltene, nachſtens dennoch zuſammen brechen werde; bei
welcher Nachricht der erfahrne Handelsherr bedenklich den
Kopf ſchuͤttelte, wie er immer zu thun pflegte, wenn er von
kaufmaͤnniſchen Schwindelentrepriſen hörte. — Dennoch
wollte Marie noch immer von einer gaͤnzlichen Aufhebung
der Verhaͤltniſſe mit Rodrigo, ſo oft auch der Vater darauf
drang, nichts wiſſen. — Mit feſtem Sinne verwarf ſie die-
ſen Vorſchlag, wie alle Antraͤge um ihre Hand, welche zum
Theil von würdigen, auch von Hrn. Bernhard geachteten
Maͤnnern, um dieſe Zeit erfolgten.

Nachdem die Angelegenheiten Deutſchlands geordnet, dem
gemeinſamen Vaterlande eine neue Verfaſſung gegeben
und im Wohnorte Hrn. Bernhards Alles wieder nach alter
Weiſe eingerichtet war, fand der ſorgſame Handelsherr,
nach reiflicher Ueberlegung doch nöthig, einen ſachkundigen,
zuverlaͤſſigen Bevollmaͤchtigten nach den Gegenden zu ſen-
den, mit welchen er in mercantiliſchen Verhaͤltniſſen ſtand,
theils um alle durch die Zeit zerriſſene Verbindungen wie-
der anzuknuͤpfen, theils neue mit ſoliden Haͤuſern im Nor-
den und Weſten Europas einzugehen. Nicht einen Augen-
blick, nachdem einmal der Entſchluß gefaßt worden, war er
wegen der Perſon des Abzuſendenden in Zweifel: wen an-
ders konnte er zu dem Zwecke waͤhlen, als den Zuverlaͤſ⸗
ſigſten, thtigſten, einſichtsvollſten, — wen anders als ſei-
nen, wenn gleich kaum zwanzigjaͤhrigen Ferdinand?
Ferdinand, der Sohn des wohlhabenden Handelsherrn
Martin Reinhold in Br., war von letzterm, da er ſein

Ende herannahen fuͤhlte, ſeinem Jugendfreunde, Orn.

Bernhard angelegentlichſt empfohlen worden. Dieſer hatte,

wie der Fall eingetreten war, den Verwaiſeten, Geſchwi-
ſterloſen ſogleich zu ſich ins Haus und aufs Comtoir gerade
zu der Zeit genommen, als Marie das erſtemal auf meh-
rere Monate zu ihrer Tante nach Buchenau verreiſet ge-
weſen war. — Bei ihrer damaligen Heimkehr hatte ſie den
nur um einige Jahre (die er juͤnger ſeyn mochte) von ihr
verſchiedenen, nicht als Fremdling, ſondern als Sohn des
Hauſes, in der vaͤterlichen Wohnung gefunden. Von allen
Handelsgehuͤlfen war er, außer Hrn. Cornelis, der einzige,
welcher, als zur Familie gehörend, Platz am gemeinſamen
Abendtiſche, und nachher Theil nehmen durfte an den
freundlichen Geſpraͤchen, waͤhrend der Vater ſeine Pfeife
vor dem Schlafengehen rauchte. — Auf den erſten Blick
hatten die jungen Leute ſich wechſelſeitig angezogen und
waren bald Freunde geworden. Marie, mit der Zutraulich-
keit, welche das aufgeblühte Maͤdchen dem rein ſittlichen
ihr im Alter um einige Jahre nachſtehenden Jungling,
mit herablaſſender Güte zu gewähren pflegt; — Ferdinand
mit jener an Andacht gränzenden Verehrung, in der ein
ſolcher Jüngling zu einer ſolchen Jungfrau hinaufblickt.
Im Laufe der Jahre, welche der Jüngling in Hrn.
Bernhards Hauſe zubrachte, glich ſich jene Verſchiedenheit
in der gegenſeitigen Fre undſchaft immer mehr und mehr
aus; ſie wurde gleichartiger, und als Marie das drey und
zwanzigſte Jahr, Ferdinand ſein zwanzigſtes erreicht hatte,
waren beide ſchon gewohnt, ſich als liebe Geſchwiſter von
wenig verſchiedenen Alter zu betrachten, unter denen ein
wechſelſeitig-gleiches, herzliches Vertrauen obwaltet.
(Fortſetzung folgt.)

2— —..—.—— — — —— — —— — — — ———.———

Die Welt.

(Fortſetzung.)
Sie bildet aus der unſcheinbaren Eichel die majeſtäͤtiſche
Eiche, jene Menſchen finden dies ſehr begreiflich, obgleich
ſie monatlang daruͤber erſtaͤunen, wie der Hanswurſt einen
Bierkrug in einen Blumenſtrauß verwandeln konnte. Sie
laͤßt aus einer kleinen Zwiebel die ſtattliche Tulve ent-
ſprießen, und dieſe Halbmenſchen halten es blos der Be-
merkung werth, daß dieſe Blume in Holland viel Geld
einbringen würde. Aus einem Samenkorn arbeitet ſie
köſtliche Bluͤthen hervor, welchen der ſüßeſte Wohlgeruch
entſtroͤmt, waͤhrend ſie andern Blumen einen unangenehmen
Geruch mittheilt. In manche Blumen hat ſie ein Gift, in
andere heilſamen Balſam gelegt, waͤhrend ſie aus der erzeu-
genden Kraft eines kleinen Koͤrnchens, die ganze volkreiche
Erde zu ernaͤhren beſchließt. Und doch ſehen dieſe Alle-
tags-Menſchen, weil ſolche magiſche Paradoxen gewoͤhnlich
ſind, darin nichts Fremdartigeres und Auffallenderes, als daß
ſie ſelbſt aufhoͤren ſollten, Hunger zu verſpüren, wenn ſie
geſaͤttigt ſind; oder daß zwei mal zwei Viere macht, wenn
ſie ihre Jahresrechnung beſchließen. Die erſtaunenswuͤr⸗
digſten Erſcheinungen werden, weil ſie regelmaͤßig Statt
finden, von ihnen nicht beachtet, nur eine ungewoͤhnliche
Abweichung von ihrer eigenen taͤglichen Erfahrung, verſezt
ſie in ein dummes Anſtarren und Staunen.
 
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