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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824

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No 52-65 (Mai 1824)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22120#0269

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Nachrichten uͤber Kunſt,

Leben und Wiſſenſchaft.

—22— — —2 — —..—.———— —— — — ———— — — ——— ——— —9“

Korr'eſpondenz⸗Nachrichten.

Aus Leipdig / vom 8. Aprit.
Concerte im Saale des Gewandhauſes.

Sechszehntes Concert, am 22. Januar. 1) Sinfonie von Eberl.
Eine gediegene Arbeit. 2) Scene und Arie vou Coccia, von Mad.
Kraus, als Reconvalescentin, zur Freude Aller ſchön geſungen. Die
Theilnahme, welche das Publikum an dieſer gefeierten Sängerin
nimmt, ſprach ſich durch allgemeimen Applaus bei ihrem Erſcheinen aus.
3) Violin-Concert von L. Spohr (D moll), von Hrn. Klengel, Mit-
glied des Concert⸗ und Theaterorcheſters, mit vollem Tone und edelem
Vortrage geſpielt. Bei weniger Befangenheit und mehr Aufmun-
terung würde Hr. Klengel den erſten Satz noch freier geſpielt haben.
Der Glanzpunkt ſeines Spiels war der langſame Mittelſatz, was auch
durch lauten Beifall anerkannt wurde. Zweiter Theil. Jubel-
cantate, von C. M. v. Weber. Sie iſt/ als Gelegenheitſtück, eine
zur Heiterkeit ſtinnmende Compoſition, die, obgleich nicht im ſtrengen
Stil, doch brav gearbeitet iſt und viel Effekt macht. Die untergeleg-
ten Worte vom Hrn. Profeſſor Wendt waren vollkommen der Mu-
ſik anpaſſend.
Siebenzehntes Concert, am 29. 1) Sinfonie von Mozart
(D dur ohne Menuet). Es iſt dietz die ſogenannte Schnallen⸗Sin-
fonie. Mozart führte ſie hier auf und gerieth bei der Probe, wo der

Baß vorſchlägt und es nicht zuſammen gehen wollte, ſo in Eifer, daß

ihm beim Markiren des Taktes mit dem Fuße, eine Schuhſchnalle zer-
ſprang. 2) Scene und Arie mit concertirender Violine, aus Trajano
in Dacia, von Nicolini, geſungen von Mad. Kraus und begleitet vom
Hrn. Concertmeiſter Matthäi. Der ſeelenvolle Vortrag Beider, ge-
währte einen hohen Genuß. 3) Pianoforte⸗-Concert von Ferd. Ries
(Nr. 4. Cmoll), geſpielt von Mad. Wieck. Gewöhnliche Paſſagen,
dabei nicht dankbar; überhaupt kein Glanzwerk dieſes fruchtbaren
Componiſten. Mad. Wieck iſt als eine brave Pianiſtin anerkannt; ſie
überwindet große Schwierigkeiten mit Sicherheit und trägt geſchmack-
voll vor. Möchte es ihr doch gefallen, einmal wieder mit einem Mo-
zartſchen Concerte aufzutreten. — Zweiter Theil. 1) Ouvertüre
zu Prometheus, von L. von Beethoven. 2) Große Scene und Chor,
nus Fauſt von L. Spohr. Ueppige Harmoniefülle und häufige Modu-
lationen zeichnen Spohrs Compoſitionen vor Andern aus und laſſen ſie
ſogleich erkennen. Sie wurde unter der Leitung des Hxn. Muſikdi-
rektor Schulz kräftig und präcis ausgeführt.
Achtzehntes Concert, am 5. Februar. 1 Sinfonie von J.
Haydn. Warum fällt die Wahl ſo ſelten auf deſſen vortrefftliche Sin-
fonien? — 2) Scene und Arie von Poiſſt, geſungen von Mad. Kraus.
3) Flöten⸗Concert von B. Romberg / geblaſen von Hrn. Grenſer/
Mitglied des Concert- und Theatexorcheſters. Zweiter Theil.
Schlacht-Sinfonie mit Chören von P. Winter, mit verändertem Text. —
eunzechnles Concert, am 12. 1) Sinfonie von L. v. Beet-
hoven (Nr. 8. F dur). Mag dieſe Compoſition gefallen wem ſie will,
wir können ihr keinen Geſchmack abgewinnen. Hätte den letzten Satz
mit ſeinem wirklich recht gemeinen Thema ein minder berühmter Com-
voniſt geſchrieben, ſo wäre er ſicher durchgefallen. 2). Scene und Arie
von Righini, geſungen von Mad. Kraus. 3) Clarinett⸗Cöncert von
C. M. v. Weber, geblaſen von Hen. Heinze, M itglied des Concert-
und Theater ⸗Orcheſters. Hr. Heinze hat einen vollen, angenehmen
Ton, viel Fer tigkeit und guten Vortrag. Er würde aber noch mehr
leiſten, wäre er, wie alle Orcheſtermufici, nur ſo beſoldet, daß er ſeine
Eriſtenz geſichert ſähe: ſo aber müſſen die mehrſten dieſer Herren ihren
Haupterwerb zum Leben auf dem Tanzboden ſuchen. Was wird von
dem Muſikus gefordert, wenn er öffentlich auftritt? — Welcher an-
haltende Fleiß und Studium gehört dazu, bis er es wagen kann.

Und wie wird er gegen Sänger und Schauſpieler bezahlt, die ſelten
von dem Rechenſchaft geben können, was ſie darſtellen. — Eine ju-
gendlich⸗hübſche Figur eine Portion Keckheit und Arroganz, und —
der Bühnenkünſtler iſt fertig. Zweiter Theil. 1) Duvertüre zu
der Opver: „der Beherrſcher der Geiſter,“ von C. M. v. Weber. Es
iſt nicht jede Leinwand gleich gut und fein, die vom Weberſtuhle kommt.
2) Cavatine von Adalb. Gyrowetz, geſungen von Mad. Kraus. 3) Feſtge-
ſang und großer Sieges- und Feſtmarſch, von Ritter Spontini. Viel Lärm
um Nichts. Mag ſich im Freien vor der Fronte eines Regiments recht
gut machen, gehört aber nicht in den Concertſaal. Der Schluß des Ge-
ſanges, der in dieſem Leben wohl kein Volksgeſang werden wird, denn
dieſer läßt ſich im Volk nicht vorſchreiben, ſondern es wählt die Melo-
dien ſelbſt, wax hier: „dem König und Saxonia.“
(Fortſetzung folgt.)

2—— — — — —— — — — —— — — —

Paris, März 18324.
Die letzte Carnavalswoche hat uns mit 4 bis 5 neuen Stücken beſchenkt.
Man beeilte ſich, die fliehende Zeit zu benutzen; denn was am Fa-
ſching-Dienſtag das Zwergfell erſchütterr, möchte am Aſchermittwoch
nicht mehr des Lachens werth ſeyn. Das Odeon entlehnte von Hrn.
v. Kotzebue: Les Distraits.? Die „Zerſtreuten“ des heimgegangenen
Hrn. Theaterpräſidenten ſind ihnen hinlänglich bekannt und bedürfen
keiner Empfehlung. Die Herrn Venjamin und Tevoly haben dieſe
teutſche Poſſe auf gut franzöſiſch zugeſtutzt und mit recht artigen Ver-

ſen ausſtaffirt. Die Kleinigkeit wurde von Samſon und Dem. George

d. J. allerliebſt gegeben. „Gengis Kan, on Paimable Tartare, Car-
navalsthorheit in einem Akt von Tamerlan beluſtigte im Vaudevill.
Der Verfaſſer hat den Helden des Stücks, jenen berühmten Eroberer
China's, in einen modernen Fashionable verwandelt und das kleine
Stück iſt groß an moraliſchen Lehren und ſittlichem Unterricht. Ein
Tartaren-⸗Chef, der einen Raum von 1800 Meilen durchzieht, um
eine ihm kaum dem Namen nach bekannte Frau wieder aufzuſuchen;
dem Quodlibets und Kalembourgs vom Munde fließen, wie unſern
jetzt lebenden Luſtſpieldichtern der aber doch wie im 13. Jahrhundert
auf ſeinen Zügen Tauſende von Menſchen hinopfert und dabei über
den Tod eines Stieglitzes jammert; der den Damen Sühßigkeiten vor-
ſchwäzt und ihre Männer abprügeln läßt; der den Ueberwundenen
und Beraubten Bälle und Feſte gibt; der auf ſeinen fliichtigen Streif-
zügen für die Akademie der ſchöͤnen Wiſſenſchaften und Künſte Bei-
träge ſammelt.; der wie ein Hofabbé dem Madrigal eine artige Wen-
dung zu geben weiß, und wie der Dey von Algiex Gerechtigkeit pflegt;
ein ſolches Weſen dünkt mir ſpaßhaft genug y um es zu ſehen und
nützlich genug um es zu hören. Die Zuſchauer haben ſchon bei der
erſten Darſtellung jene geiſtreichen Thorheiten beklatſcht, waren aber
bei der zweiten davon entzückt. Les petites Satarnaless des Gymnaſe
ſind ein artiger Gedanke. Jeder weiß, daß während der Feſte des
Saturnus zu Rom, die Sklaven frei und die Herrn ihre Diener wa-
ren, denen ſie nach Gefallen Befehle ertheilten. Aus Liebe für ſolche
alte Gebräuche erneuert ein braver Pariſer Bürger jene Zeit der
Saturnalien während des Karnavals, in ſeinem Hauſe. Dadurch ent-
gehen dann, wie vorauszuſehen, allerhand drollige Szenen und Witz;
ſpiele, welche, ohne den Griffel der Cenſur, die Herrn Brazier /
Carmouche und Mazeres./ ſicher noch ſehr bereichert haͤben würden/
da der Gang des Stücks einer großen Menge geiſtreicher Entwickelun-
gen fähig iſt. Die Saturnalien geben hier die verkehrte Welt im Klei-
nen, die Gegenſeite des guten Geſchmacks, der Vernunft und aller
erlernten Begriffe. Gewiß kann es heut zu Tage einem ſolchen Ge-
mälde nicht an Wahrheit und Unterhaltung fehlen. ö
(Fortſetzung folgt.)

B ——

Verleger: Kar! Groos, Neue akademiſche Buchhandlung in Heidekberg. — Druckerei von F.

Kaufmanns Witwe.
 
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