Wo biſt du?
Weh! Wohin, wohin?
Ach die Wellen ziehn mich hinab!
Reich mir den Arm,
Ich ſinke, ich ſinke!
Liebendes Weſen hilf!
Rette, rette mich
Holdſelig Gebilde!
—2—— —— —— — — — — —.7 2—2— — — — ——— ——
Die beiden Ringe.
(orrtſetzun g.)
An Ferdinand ſich zu wenden, um uͤber Rodrigo's jetziges
Leben Erkundigungen einzuziehen, erlaubte einer zart-
empfindenden Frau das Verhaͤltniß nicht, in welchem ſie
mit ihm geſtanden und noch ſtand. An ihren alten Freund
Cornelis richtete ſie daher ihren Wunſch, und mit der ge-
wohnten Puͤnktlichkeit richtete er den Auftrag der lieben
Tochter ſeines unvergeßlichen Herrn, aus.
Faſt zugleich kamen Herrn Cornelis Nachrichten mit der
Anzeige Rodrigos nach Buchenau: daß er in H. angekom-
men ſey. Der erſtere meldete nicht viel Gutes. Das Haus
Esquirez war geſunken, wie die Sittlichkeit Rodrigos,
welcher, in Verzweiflung uͤber ſein verfehltes Glück, einem
in fruͤhern Feldzügen angewöhnten, wilden Leben ſich hin-
gegeben hatte. — Rodrigo ſelbſt ſprach in ſeinem Briefe
nur die Sehnſucht nach der Vereinigung mit Marien aus,
uͤberſandte die verſprochenen Beſcheinigungen, und drang
auf Vorlegung der angekuͤndigten Bedinge. — Er wurde
aufs Neue zum Warten angewieſen, es ward ihm angedeu-
tet, daß er tauſend Mark entnehmen koͤnne, von dem
Handlungshauſe ſeel. Herrn Bernhards van dem Bruch
Erben und Compagnie, und daß, wenn er vor erhaltener
Aufforderung nach Buchenau kaͤme, das Zimmer der Guts-
beſitzerin ihm verſchloſten ſey und bleibe.
Dieſe hatte ihren Entſchluß gefaßt. Bertha ward von
ihrer Pflegemutter begleitet auf einige Wochen nach K. zu
einer dortigen Freundin geſandt. — Mit einem erfahrnen
Rechtsgelehrten aus P. wurden die Bedingungen entwor-
fen, unter welchen Rodrigo die Hand ſeiner Verlobten
erhalten ſollte. Ihr Vermoͤgen blieb ganz zu ihrer Ver-
fuͤgung; er erhielt nur ein jaͤhrliches Einkommen von vier-
tauſend Mark; auf alle Rechte des Vaters und des Gat-
ten mußte er verzichten; und gleich nach vollzogener prie-
ſterlicher Trauung ſich entfernen, um ſich nach Spanien
zuruͤckzubegeben. Verweigerte er das, ſo konnte die Ver-
bindung nicht ſtatt finden, und blos der Erſatz der Reiſe-
koſten und des Aufenthalts in Deutſchland ward bewilligt.
Rodrigo, gedraͤngt von äußern Verhaͤltniſſen und durch
ſein Bewußtſeyn von jeder kühnern Forderung abgehalten,
willigte ein, nur noch ein Kapital von fuͤnfundzwanzigtauſend
Thalern ſich ausbedingend, welches ihm noͤthig ſey, ein
neues Etabliſſement in Cadiz, wo er ſich niederlaſſen wolle,
zu gruͤnden. Auch das ward bewilligt, und der Tag der
Verbindung angeſetzt. Sie ſollte nicht in Buchenau, ſon-
dern auf dem halben Wege zwiſchen dieſem Landgute und
H. in aller Stille, im Hauſe des Paſtors Fredemann ſtatt
finden, welcher mit dem braven Prediger Johanſen zu
Buchenau nahe befreundet war. Alles Erforderliche war
und ward durch Leztern beſorgt.
Marie fuhr, unter Begleitung dieſes achtungswürdigen
Mannes, ſodann ihres Sachfuͤhrers und einiger vertrauten
Zeugen, an einem ſchönen Juniusmorgen des Jahrs 1821
nach L. dem Wohnorte Fredemanns. In dem einfachen
gruͤnen Zimmer, welches auf die Landſtraße ſieht, war
ſchon der Trauungstiſch bereitet, als Marie eintrat. Kaum
vermochte ſie, ſich ſtehend zu erhalten. Bald nach ihr, fuhr
eine Chaiſe an. Rodrigo ſtieg aus. Die Verlobte warf
nur einen fluͤchtigen Blick auf den Ankommenden, und ent-
ſetzt uͤber den Anblick, ſank ſie, in voͤlliger Erſchöpfung,
auf den ihr dargebotnen Stuhk. — Der Spanier ward in
ein anderes Zimmer geführt, wo V er, den von Marie be-
reits unterzeichneten Heirathscontract, in gehoͤriger Form
unterſchrieb. Sobald es geſchehen, kam an die tiefbewegte
Braut die Meldung; und ſie drang, ſich aus ihrer Ver-
worrenheit aufraffend, auf ſchleunige Vollziehung der
Trauung. — Rodrigo trat ein. Wie hatten Zeit und Leben
gewüthet in dieſem einſt ſo edlen Antlitze! Wie verfallen
die fruͤher ſo kraͤftige Geſtalt; wie matt das vormals ſo
drennende Ange; wie mit Falten des Grams und der
Reue bedeckt, dieſe, einſt ſo klare und heitre Stirn! Er
ſank zu Mariens Fuͤßen. Sie hatte ſich geſammelt: „Nicht
ſo, nicht ſo!“ ſagte ſie ihn erhebend, „wir haben nur zwei
Worte miteinander zu reden, und nur vor Zeugen!“ und
indem trat ſie vor den haͤuslichen Altar die Zeugen wurden
gerufen, und die Trauung erfolgte. — Nachdem ſie vollen-
det, bat Rodrigo um ein einziges Wort mit Maria allein.
Sie konnte es dem tiefgeſunkenen Manne nicht verweigern.
— Er flehte um Verzeihung und Freundſchaft. Sie ge-
waͤhrte die erſtere, und verſprach, im Falle geaͤnderten Le-
bens, die letztere; gerüͤhrt, und gutmüthig hinzufügend:
„Wenn jemals unverſchuldeter Mangel bei Ihnen eintreten
ſollte, dann zaͤhlen Sie auf Ihre Freundin.“ — Er wollte
Bertha ſehen; ſie mußte es, aus guten Gruͤnden, verwei⸗—
gern. — „Wozu uns den Augenblick verbittern“ ſprach ſie
endlich, „laſſen Sie uns jetzt ſcheiden; hier ſehen wir uns
nicht; dort einſt, im Lande der gelaͤuterten Geiſter, dort
ſehen wir uns — ich hoffe es — wieder. — Weihen Sie,
das iſt meine letzte Bitte: weihen Sie Ihr ferneres Da-
ſeyn Ihrer kuͤnftigen Beſtimmung; und, wenn das ge-
ſchehen iſt, laſſen Sie mich von Ihnen hoͤren.“ Sie zog an
die Schelle, die Abgetretenen erſchienen wieder. — Marie,
deren Chaiſe ſchon vorgefahren, und nach ihrem Wohnort
gerichtet war, reichte Rodrigo die Hand, mit den Worten:
„auf Wiederſehen; wir verſtehen uns.“ Sein Auge ver-
klaͤrte ſich, von dem himmliſchen Strahl aus Mariens
Augen noch einmal, wie in beſſern Tagen der Vergangen-
heit, und einen brennenden Abſchiedskuß druͤckte er, auf
die zitternde weiße Hand der Gattin. — Sie mußte faſt
getragen werden an ihre Chaiſe, Rodrigo unterſtützte ſie,
Weh! Wohin, wohin?
Ach die Wellen ziehn mich hinab!
Reich mir den Arm,
Ich ſinke, ich ſinke!
Liebendes Weſen hilf!
Rette, rette mich
Holdſelig Gebilde!
—2—— —— —— — — — — —.7 2—2— — — — ——— ——
Die beiden Ringe.
(orrtſetzun g.)
An Ferdinand ſich zu wenden, um uͤber Rodrigo's jetziges
Leben Erkundigungen einzuziehen, erlaubte einer zart-
empfindenden Frau das Verhaͤltniß nicht, in welchem ſie
mit ihm geſtanden und noch ſtand. An ihren alten Freund
Cornelis richtete ſie daher ihren Wunſch, und mit der ge-
wohnten Puͤnktlichkeit richtete er den Auftrag der lieben
Tochter ſeines unvergeßlichen Herrn, aus.
Faſt zugleich kamen Herrn Cornelis Nachrichten mit der
Anzeige Rodrigos nach Buchenau: daß er in H. angekom-
men ſey. Der erſtere meldete nicht viel Gutes. Das Haus
Esquirez war geſunken, wie die Sittlichkeit Rodrigos,
welcher, in Verzweiflung uͤber ſein verfehltes Glück, einem
in fruͤhern Feldzügen angewöhnten, wilden Leben ſich hin-
gegeben hatte. — Rodrigo ſelbſt ſprach in ſeinem Briefe
nur die Sehnſucht nach der Vereinigung mit Marien aus,
uͤberſandte die verſprochenen Beſcheinigungen, und drang
auf Vorlegung der angekuͤndigten Bedinge. — Er wurde
aufs Neue zum Warten angewieſen, es ward ihm angedeu-
tet, daß er tauſend Mark entnehmen koͤnne, von dem
Handlungshauſe ſeel. Herrn Bernhards van dem Bruch
Erben und Compagnie, und daß, wenn er vor erhaltener
Aufforderung nach Buchenau kaͤme, das Zimmer der Guts-
beſitzerin ihm verſchloſten ſey und bleibe.
Dieſe hatte ihren Entſchluß gefaßt. Bertha ward von
ihrer Pflegemutter begleitet auf einige Wochen nach K. zu
einer dortigen Freundin geſandt. — Mit einem erfahrnen
Rechtsgelehrten aus P. wurden die Bedingungen entwor-
fen, unter welchen Rodrigo die Hand ſeiner Verlobten
erhalten ſollte. Ihr Vermoͤgen blieb ganz zu ihrer Ver-
fuͤgung; er erhielt nur ein jaͤhrliches Einkommen von vier-
tauſend Mark; auf alle Rechte des Vaters und des Gat-
ten mußte er verzichten; und gleich nach vollzogener prie-
ſterlicher Trauung ſich entfernen, um ſich nach Spanien
zuruͤckzubegeben. Verweigerte er das, ſo konnte die Ver-
bindung nicht ſtatt finden, und blos der Erſatz der Reiſe-
koſten und des Aufenthalts in Deutſchland ward bewilligt.
Rodrigo, gedraͤngt von äußern Verhaͤltniſſen und durch
ſein Bewußtſeyn von jeder kühnern Forderung abgehalten,
willigte ein, nur noch ein Kapital von fuͤnfundzwanzigtauſend
Thalern ſich ausbedingend, welches ihm noͤthig ſey, ein
neues Etabliſſement in Cadiz, wo er ſich niederlaſſen wolle,
zu gruͤnden. Auch das ward bewilligt, und der Tag der
Verbindung angeſetzt. Sie ſollte nicht in Buchenau, ſon-
dern auf dem halben Wege zwiſchen dieſem Landgute und
H. in aller Stille, im Hauſe des Paſtors Fredemann ſtatt
finden, welcher mit dem braven Prediger Johanſen zu
Buchenau nahe befreundet war. Alles Erforderliche war
und ward durch Leztern beſorgt.
Marie fuhr, unter Begleitung dieſes achtungswürdigen
Mannes, ſodann ihres Sachfuͤhrers und einiger vertrauten
Zeugen, an einem ſchönen Juniusmorgen des Jahrs 1821
nach L. dem Wohnorte Fredemanns. In dem einfachen
gruͤnen Zimmer, welches auf die Landſtraße ſieht, war
ſchon der Trauungstiſch bereitet, als Marie eintrat. Kaum
vermochte ſie, ſich ſtehend zu erhalten. Bald nach ihr, fuhr
eine Chaiſe an. Rodrigo ſtieg aus. Die Verlobte warf
nur einen fluͤchtigen Blick auf den Ankommenden, und ent-
ſetzt uͤber den Anblick, ſank ſie, in voͤlliger Erſchöpfung,
auf den ihr dargebotnen Stuhk. — Der Spanier ward in
ein anderes Zimmer geführt, wo V er, den von Marie be-
reits unterzeichneten Heirathscontract, in gehoͤriger Form
unterſchrieb. Sobald es geſchehen, kam an die tiefbewegte
Braut die Meldung; und ſie drang, ſich aus ihrer Ver-
worrenheit aufraffend, auf ſchleunige Vollziehung der
Trauung. — Rodrigo trat ein. Wie hatten Zeit und Leben
gewüthet in dieſem einſt ſo edlen Antlitze! Wie verfallen
die fruͤher ſo kraͤftige Geſtalt; wie matt das vormals ſo
drennende Ange; wie mit Falten des Grams und der
Reue bedeckt, dieſe, einſt ſo klare und heitre Stirn! Er
ſank zu Mariens Fuͤßen. Sie hatte ſich geſammelt: „Nicht
ſo, nicht ſo!“ ſagte ſie ihn erhebend, „wir haben nur zwei
Worte miteinander zu reden, und nur vor Zeugen!“ und
indem trat ſie vor den haͤuslichen Altar die Zeugen wurden
gerufen, und die Trauung erfolgte. — Nachdem ſie vollen-
det, bat Rodrigo um ein einziges Wort mit Maria allein.
Sie konnte es dem tiefgeſunkenen Manne nicht verweigern.
— Er flehte um Verzeihung und Freundſchaft. Sie ge-
waͤhrte die erſtere, und verſprach, im Falle geaͤnderten Le-
bens, die letztere; gerüͤhrt, und gutmüthig hinzufügend:
„Wenn jemals unverſchuldeter Mangel bei Ihnen eintreten
ſollte, dann zaͤhlen Sie auf Ihre Freundin.“ — Er wollte
Bertha ſehen; ſie mußte es, aus guten Gruͤnden, verwei⸗—
gern. — „Wozu uns den Augenblick verbittern“ ſprach ſie
endlich, „laſſen Sie uns jetzt ſcheiden; hier ſehen wir uns
nicht; dort einſt, im Lande der gelaͤuterten Geiſter, dort
ſehen wir uns — ich hoffe es — wieder. — Weihen Sie,
das iſt meine letzte Bitte: weihen Sie Ihr ferneres Da-
ſeyn Ihrer kuͤnftigen Beſtimmung; und, wenn das ge-
ſchehen iſt, laſſen Sie mich von Ihnen hoͤren.“ Sie zog an
die Schelle, die Abgetretenen erſchienen wieder. — Marie,
deren Chaiſe ſchon vorgefahren, und nach ihrem Wohnort
gerichtet war, reichte Rodrigo die Hand, mit den Worten:
„auf Wiederſehen; wir verſtehen uns.“ Sein Auge ver-
klaͤrte ſich, von dem himmliſchen Strahl aus Mariens
Augen noch einmal, wie in beſſern Tagen der Vergangen-
heit, und einen brennenden Abſchiedskuß druͤckte er, auf
die zitternde weiße Hand der Gattin. — Sie mußte faſt
getragen werden an ihre Chaiſe, Rodrigo unterſtützte ſie,