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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824

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No 144-157 (Dezember 1824)
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https://doi.org/10.11588/diglit.22120#0621

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genannten Knittelverſen) ſich vor vielen andern auszeichnet, bewog
mich, den Salomon und Morolf auf eine Weiſe zu bearbeiten, wie
er der jetzigen Leſewelt wohl am ſchmackhafteſten ſeyn dürfte. — Griechen,
Spanier, Italiener, Franzoſen, ja alle Sprachen der Welt mögen
ſich in unſre Sprache überſetzen laſſen, und wenigſtens Etwas von
ihrem eigenthümlichen Geiſte und urſprünglichen Feuer behalten,
aber bei unſrer alten deutſchen Sprache halte ich es für rein unmög-
lich; wenigſtens habe ich noch von keiner genießbaren Ueberſetzung
irgend eines Dichterwerks jener Zeit, in der die Eigenthümlichkeit des
Originals wieder zu erkennen wäre, gehört oder geleſen, und ich
glaͤube, ſie ſind ſehr ſelten. — Darum ging ich ganz davon ab, das
Gedicht ſtreng zu überſetzen, und liefere nur eine proſaiſche Umſchrei-
bung, indem ich jedoch ſo viel als möglich den Worten, und dem
Gange der Geſchichte treu geblieben bin. Nur eine kurze Stelle,
welche ſich wörtlich im Till Eulenſpiegel wieder nindet, habe ich
überſchlagen, weil ich ſie als allgemein bekannt vorausſetzen mußte,
und ſie erſcheint auch hier nur als ſtörende Flickerei. Das vorliegende
Original iſt von v. d. Hagen aus einer Handſchrift von 1479 in den
„Gedichten des Mittelalters“ abgedruckt, doch ſagt uns der Schreiber
des Gedichts, er habe es aus dem Lateiniſchen überſetzt) „für die, die
da nit verſtent Latin,“ und auch jene Stelle fehlt im lateiniſchen Texte,

Da der Eulenſpiegel mit ſeinen Schwänken im Munde des Volks
lebt, und Jeglicher ſich ſchon in der Kindheit daran ergötzt, ein Zeichen,
wie ſehr Späße dieſer Art dem Volkscharakter eigen, und das Gefallen
daran in demſelben tief begründet iſt, ſo hoffte ich auch mit meinem
Morolf nicht iu langweilen, wiewohl es aus der Mode gekommen ſeyn
möchte, dergleichen Späßen ein günſtig Gehör zu ſchenken. — Dazu
noch iſt er zuweilen etwas derb und unſauber, vorzüglich in jenem
Wortkampfe (Kap. 2.) weshalb ich ſolche Stellen übergehen mußte;
doch trotz dem immer beißend witzig, z. B. im Ofenloche (Kap. 8.),
welcher Vorfall ihn leicht um alle Gunſt bringen könnte. Allein dieſe
Szene, ich möchte den Bauer gern vertheidigen, iſt ſchnell vorüber
gehend, und wird durch den naiven Witz, wie er keinen Baum zum
Hängen finden kann, (Kav. 7.) vergütet. Sollte aber dennoch dieſer
altdeutſche Scherz, manches moderne Gefühl, als mit den Charisblättern
nicht vereinbar, beleidigen, ſo möge es darauf bedacht ſeyn, dem
derben Bauer einen weniger materiellen Einfall einzugeben.

Erſtes Kapitel.
Von Morolf und ſeinem mißgeſchaffnen Weibe.

Vor langen Jahren lebte einmal ein reicher und maͤchtiger
Koͤnig, Salomon geheißen, der auf dem Throne ſeines Vaters
David ſaß, und die Krone Iſraels mit vielen Ehren trug.
Viele Lande waren ihm unterthaͤnig, und Niemand ward
gefunden, der ihm an Zucht und Weisheit gleich gekommen
wäre. —

Es begab ſich eines Tages, daß der Koͤnig einen ſchlech-
ten Bauersmann mit ſeinem Weibe an den Hof kommen
ſah, beide üͤber die Maaßen wunderlich geſtaltet, und ehe
er noch befehlen konnte, ſie aus ſeinem Angeſichte zu entfer-
nen, weil ſie ſo gar garſtig und mißgeſchaffen waren, ſtanden
ſie ſchon vor ihm, und ſahen ſich einander ſtumm an. —
Und nun magſt du, lieber Leſer, ſelbſt entſcheiden, ob
der Koͤnig nicht gut gethan haͤtte, ſie von ſich zu weiſen, ihres
Ausſehens wegen.

Denn der Mann hatte einen Kopf, groß und rund wie
ein Oelkrug, mit borſtigen Haaren, eine breite, runzlige,
Stirn, und dabei lange abſtehende Ohren. Um ſeinen
Mund ſpielte ein freundliches Grinſen, und er hatte her-

unterhaͤngende Wangen, fließende Augen und dickbuſchige
Augenbrauen, eine aufgeſtutzte Naſe wie eine Meerkatze, und
das ganze Geſicht war mit einem wildverwachſenen, uͤbelriechen-
den Barte umgeben. So ſtand der garſtige Kopf auf dem kur-
zen, dicken Halſe. Dabei hatte der Mann dicke Haͤnde und
kurze Finger, und bärenartige Füße mit tüchtigen Bauern-
ſchuhen. Sein lumpiger Rock, der nur bis uͤber das Knie
reichte, war mit einem alten Schwerte umgürtet, das war
ſchlecht genug, der Griff war ein Widderhorn, und die
Scheide hatte er halb verloren. — Wie ſchnöde er aber
auch von Anſehn ſeyn mochte, ſo war er doch ein kluger
und liſtiger Mann, der wohl in Worten zu ſtreiten verſtand,
wie wir das in Kurzem hoͤren werden.

Bei ihm ſtand, ſchoͤn geziert mit einem wunderlichen
Kopfputze, ſein Weib, ſeine liebe Anne. Ein Mieder mit
ſtarker, bleierner Spange zierte ihren Buſen, den ich aber
ungern geküßt hätte. Ihre rothe triefende Naſe hing uͤber
den haͤßlich verzogenen Mund herab, und an ihrer Hand
prangten zwei ſchwarze eiſerne Ringe. — Wem ſie einen
Morgengruß bot, der dachte wohl den ganzen Tag daran.
Außerdem hatte ſie noch einen hinkenden Gang und ihre
Haͤnde, ihre Füße, ihr Haupt waren ganz ſchwarz gebrannt,
wie bei denen, wo die Sonne ſo heiß ſcheint.

Als ſie nun ſo vor dem Könige ſtanden, umgeben von
einer Menge Volks, das ſich zu dem fremden, verwunderli-
chen Anblick hinzudraͤngte, fragte Salomon den Mann:
„Was willſt du? und woher biſt du? Sage mir dein Ge-
ſchlecht, und deinen Namen.“ Der Bauer aber entgegnete
keck: „Sage du mir an, wer dein Vater oder deine Ahnen
ſind, und woher dir die Gewalt gekommen, über alle
Lande zu herrſchen. Dann will ich dir auch unſre Herkunft
nennen.“ — Das kann geſchehen, laͤchelte Salomon, ich
will dir mein Geſchlecht nicht verhehlen. Ich ſtamme ab
von den zwoͤlf Geſchlechtern der Propheten. Mein Ahne
hieß Judas, einer ſeiner Nachkommen hieß Iſai, und deſ-
ſen Sohn David, der war mein Vater, und ich bin Sa-
lomon, dem von David das Reich uͤberkommen iſt. Ich
that dir Beſcheid, aber nun thue du auch desgleichen.“ —
Ganz wohl, ſprach Morolf, ich bin von den zwölf Ge-
ſchlechtern der Bauern, die wahrlich wacker und ehren-
werth ſind. Mein alter Urahne war Rumpolt, ſein Sohn
hieß Ronepolt, und deſſen Sohn war Rolebrecht, und der
war meines Vaters Vater, und mein lieber Vater hieß
Morolf, und ich bin Morolf: ſein Sohn. — Mein Weib
hier iſt auch von reiner, untadliger Geburt, von ihrer Ade-
ligkeit zeigt wohl das Kleinod, was ſie am Finger traͤgt,
und das ſie ſo ſchoͤn ziert. Sie ſtammt von den zwoͤlf Ge-

ſchlechtern der Gaͤnſe. Von Gaͤnſerich ward Gaͤnſelein ge-

boren, deren Nachkomme iſt Ganſa, die Mutter meiner
lieben Anna, die mein Weib und einziger Leidvertreib

iſt.“
(Fortſ. folgt.)
 
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