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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914

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Heft. 1
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Denkmalpflege
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https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0050

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DENKMALPFLEGE

— Die dominierende Rechtwinkligkeit des Ge-
bäudes prägt fidi auch in Behrens’ PI aßge-
ftaltung aus: ein reines Quadrat, um das fich
in fcharfem Knick niedrigere Gebäude, durch
Pilafter rhythmisiert, herumlegen. — Dem Äußen-
bau entspricht das Innere, Schnitt wie Grund-
riß, in feiner großartigen Idealität: in die be-
herrschende Tiefenachfe ift der weite Pfeilerlicht-
hof gelegt mit fymmetrifchenMonumentaltreppen.
Dahinter fteigt amphitheatraliSch der große Vor-
tragsfaal herab. Links find die Bibliotheks- und
Leferäume, rechts die in rhythmifchem Wechfel
aufeinanderfolgenden Gemächer der Kunftaus-
ftellung angenommen. —

Das in allen Beziehungen ausgesprochene
-Gegenteil zu Behrens’ klaSSifcher Architektur
bildet der preisgekrönte Entwurf von Erich
Blunck1: feine reaüStifche, „malerifche“ Bau-
weife, geftaltet von innen nach außen, gibt den
rohen Zweck als KunStform aus, verfteht es
alfo nicht, praktifch Reales und äfthetifch Ideales
Synthetifch - fchöpferifdi zu vereinen. Bluncks
Bau ift keine Einheit, Sondern eine Dreiheit:
Jede einzelne der drei Raumgruppen, Bibliothek,
Vortragsfaal, Kunftausftellung, ift durch fefte,
öffnungslofe Scheidemauern voneinander ge-
trennt. Drei befondere Eingänge akzentuieren
diefe Teilung auch nach außen hin. — Der Mangel
an formfchöner Idealität verhäßlicht die Räume
als einzelne und in ihrer Beziehung als äfthe-
tifches Ganze: Wo Behrens einen zentralen,
durch alle Gefchoffe reichenden Lichthof annahm,
gibt Blunck in einem Seitenflügel einen gedrück-
ten, tonnenüberwölbten Tunnel, einen künft-
lerifch gleichgültigen Vor- oder Warteraum zu
den beiderfeitigen Garderoben. Bluncks Vor-
tragsfaal erfcheint als ein beliebiger Recht-
eckraum ohne jegliches — doch äfthetifch wie
praktifch fo notwendiges — Bodengefälle, feine
Kunstausstellung eine banale Hintereinander-
reihung einiger ohne künftlerifche Überlegung
dimenfionierter Räume, in der Oberlichlführung
keineswegs genügend und mit proviforifchen
Scherwänden als Seitenkabinetten.

Diefe innere Uneinheit des preisgekrönten
Blunckfchen Projekts foll nach außen hin ein male-
rifdies Faffadengewand von gotisierendem Stil
verdecken: der hackenförmige Grundriß beSteht
aus einem Längstrakt und zwei Seitlichen Quer-
trakten; vor letztere find große Spißbogenarkaden
gelegt, das eine Mal gar eine augenfcheinliche

1 Verfaßer und Redaktion hätten gern eine Abbildung
des Blunckfchen Entwurfes gebracht. Indexen mußte Herr
Reg.-Rat Blunck eine Hergabe feines Projektes ablehnen,
da der Stifter keine weitere Publikation wiinfche. Eine
Abbildung des Entwurfes ßndet fich in der Nr. 100/101 der
Deutfchen Bauzeitung. Die Redaktion.

Wiederholung der Florentiner Loggia de’Lanzi,
welche mit ihrem kolofSalen Bogenmotiv von lim
Höhe alles Übrige, was fon|t noch auf dem
Hoßtentorplaß fteht, totdrückt. Riefige Dachmaffen
von ungleicher Höhe, die fich gegenfeitig durch-
dringen und anfchneiden, Schließen den Komplex
nach oben ab.

Man kann die kritifche Alternative von den
Gefichtspunkten der Architekturform, des
Stadtbaus und der Denkmalpflege aus be-
ginnen: Peter Behrens gibt ßch ftreng architek-
tonifch, persönlich modern. Er Schafft einen aus-
gesprochenen Horizontalbau, der in abfichtlichem
Gegen faß zu aller Spißbogenmittelalterlichkeit
fteht. Blunck fucht durch einen malerifchen
Gruppenbau zu wirken, er hiftorifiert. Indem er
mit vertikal tendierenden Maßen arbeitet, fucht
er fich auch formal an das Datum des Holjten-
tors anzufchließen. Der Blunck fdie Hacken-
grundriß bepßt in feiner individualifierenden
Zerfplitterung und Afymmetrie nicht die Kraft in
ßch, den weiten Plaßraum vor dem Holßentor
funktionell zu beherrfchen. Seine gotifdien
Formen wirken als unperfönliche Imitation* und
bilden zugleich eine höchft fragwürdige Kon-
kurrenz zu den viel bescheideneren Bogenmotiven
des alten Holftentors. — Die moderne Denkmal-
pßege hat, vor allem auf die Initiative von
Cornelius Gurlitt und Alfred Lichtwarck
hin, gelernt, daß man alte Baudenkmäler am
klügften durch modern felbftändige Gestaltungen
ergänzt, da es ja nur auf die raumäfthetifche
Harmonie, nicht aber auf eine philologische
Formengleichheit ankommen kann.2 Diefes
lehren uns die alten Denkmäler, gewiß auch
die Lübecks, auf Schritt und Tritt.— In der Art
würde auch Behrens neuzeitlich geformtes Volks-
haus dem alten Holßentor eine treffliche Folie
fein können: fein glattßächiger Kubus läßt das
Stark bewegte Faffadenrelief des Holßentors
wirkungsvoll hervortreten; Sein ßacher Geßms-
abfchluß, in der Höhe der Trauflinie der zwei
Holftentürme, läßt deren Spißkegel vertikal noch
höher emporwachfen. Bluncks Projekt vernichtet
durch feinen allzu bewegten Grundriß, durch
die Spißbogenformen Se>nes Aufrißes, durch
die überhohen Dachmaßen die Wirkung des

1 Das tun die Formen des Entwurfs von Theodor Fifcher
keineswegs: Denn obwohl diefer pdi in einem perfönlichen
Renaiffanceftil hält, tritt hier alle äußere Formalität als
etwas in der Wirkung Untergeordnetes vor feiner genial
fchöpferifchen Raumgeftaltung zurück.

2 Es erfcheint bezeichnend, daß unter den Lübecker An-
hängern des Blunckfchen Projekts der Gedanke erwogen
wird, das „baufällige" Holßentor abzubrechen und es aus
den alten Steinen auf dem Bodenniveau des heutigen
Plaßes neu wieder aufzubauen: als ob es in der Archi-
tektur eine „Form an ßch“ gäbe! —

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