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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914

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2. Heft
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Bangel, Rudolf: Die Kunst auf dem internationalen Markt, II.: Bilder aus der Kollektion Preyer im Haag
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https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0068

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BILDER AUS DER KOLLEKTION PREYER IM HAAG

ftammt alfo aus einer Zeit, in der [ich der Künftler ganz wunderbar vertiefte und die
Feinheit der Zeichnung mit einer Fülle mgfteriöfer Einficht zu wetteifern begann. Wie
träumerifch blicken die dunklen Äugen, wie weich verläuft die Linie des Mundes, wie
duftig umrahmen die roftroten Flechten Schläfen und Stirne, wie hauchartig zittert das
Pfirfichrot auf den Wangen! Eine vierfache Perlenfchnur umfchließt den Hals, fchwer
liegt der weiße Spifeenkragen auf den Schultern, und leicht hält der matt (grün-weiß-
rot) gefärbte Gürtel mit der großen Schleife das fchwarz-weiße Gewand zufammen.
Hofftede de Groot machte zuerft auf das Werk aufmerkfam, obfehon bereits am
28. Januar 1911 Bode darüber fchrieb: „Das Bild einer jungen holländifchen Dame,
wahrfcheinlich aus edler Amfterdamer Familie, gehört zu den beften Porträts, die Rem-
brandt in den erften Jahren feines Amfterdamer Aufenthaltes malte. Es ift kräftig be-
leuchtet, höchft vollendet, von feinen Farbeneffekten und von ausgezeichneter Erhaltung.
Ich hoffe, daß Sie mir geftatten werden, es in dem Supplementband meines Werkes
über Rembrandt abzubilden, der im nächften Jahre erfcheinen foll.“

Das Bild ftammt aus Polen und ift, nach Bodes Meinung, eines jener fechs Gemälde,
die fich im Jahre 1876 in der Sammlung Wynn Ellis befanden, und von denen fünf
fpäter in die National Gallery gelangt find. Die Dargeftellte hat große Ähnlichkeit mit
anderen Frauenbildniffen Rembrandts aus dem Anfang der dreißiger Jahre. Die Hal-
tung des Mädchens ift die gleiche wie die auf dem Porträt der Sammlung Morelli in
Bergamo. Das Geficht erinnert an das Bildnis von 1634 in Bofton (Bode 112), an die
Dame mit dem Fächer (Bode 101) bei Lord Leconfield-Petworth (um 1633), vor allem
aber an das vierundzwanzigjährige faft en face gefehene Mädchen bei Karl v. d. Heydt-
Berlin von 1635 (Bode 117). Wären bei diefem nicht die hellen Augen und das dunkle
braune Haar, fo könnte man an die Möglichkeit glauben, daß auf beiden Bildern die-
felbe Perfon dargeftellt fei.1

Etwa drei Jahre vor dem Bildnis des rothaarigen Mädchens entftand das Porträt,
das unter dem Namen von „Rembrandts Vater mit dem ftarren Blick“ bekannt ge-
worden ift, als es fich noch bei Dr. Melville Waffermann zu Paris befand (Abb. 3).
Bode (Rembrandt, Nr. 25) datiert es „um 1630“, und Valentiner, in den „Klaffikern der
Kunft“, folgt ihm darin. Das Jahr mag ftimmen. Denn bald darauf wurde es von
J. Lievens radiert (Bartfeh 21), fodann (1633) von einem Schüler Rembrandts mit hinzu-
gefügter Stirnlocke im Gegenfinne kopiert und, wie die Bezeichnung ergibt, vom Meifter
felbft retouchiert (Bartfeh 286, fog. 1. Orientalenkopf; Klaffiker der Kunft VIII, 238). Es muß
alfo vor 1633 entftanden fein. Daß es aber auch kurz vor 1631, dem Todesjahr des
Vaters, gemalt, alfo nach dem lebenden Modell angefertigt fein muß, zeigt ein Blick
auf das Bildchen felbft. Der Ausdruck des Geflehtes ift krankhaft, trotj dem ftarken
Lebenswillen der fchon ins matte Weiß abfterbenden Äugen, und das Porträt fpricht
mit der Tragik eines Menfchenantlißes zu uns, das zu einem baldigen Tode verurteilt
ift. Der Mund ift eingekniffen, der graue Bart kräufelt fich ungepflegt um das Kinn.
Das fchwarze Käppchen ift weit auf den Kopf zurückgefchoben und bildet nur eine
dunkle Silhouette um das Haupt; die Schultern bedeckt ein Pelzmantel, der Mantel
eines Edelmanns, auf dem ein paar Ehrenketten den Eindruck des Luxus noch erhöhen.
Das kleine Bilddien war von Rembrandt ficherlich nur als Studie gedacht, es ift aber fo
vollendet und peinlich durchgearbeitet, wie ein ausgeführtes Porträt es nur fein kann.

Wie fehr oft Adriaen v. Oftade unter dem Eindruck des Rembrandtfchen Beleuch-

1 Das Mädchenbildnis bei Preyer war mit dem Porträt von Frans Hals bis zum 15. Januar im
Mufeum Boymans-Rotterdam ausgeftellt.

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