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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914

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2. Heft
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Heuser, Emil: Niederweiler, eine keramische Kunststätte des 18. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0077

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NIEDERWEILER, EINE KERAMISCHE KUNSTSTATTE DES 18. JAHRHUNDERTS

1759 Karl Sauvage, gen. Lemire, der
bedeutendfte Schüler des Meifters
Ciffle. Der vielfeitig begabte Lemire
begründete nach 1781 in Niederweiler
fogar eine Modellier- und Zeichen-
fchule, [o daß dadurch der Manu-
faktur ein Stamm brauchbarer Mo-
delleure und Boffierer herangebildet
wurde. Er blieb jahrzehntelang in
Niederweiler tätig, und erft zu An-
fang des 19. Jahrhunderts ging er
nach Paris, um fich dort einem anderen
Gebiet der Bildhauerei zuzuwenden;
er fchuf nun Marmorfiguren bis zur
Lebensgröße und trat mit diefen
Kunftwerken faft alljährlich im Parifer
Salon auf, zuleßt 1819.

Meifter Ciffle felbft hat nie in
Niederweiler gearbeitet, jedoch eine
Zeitlang (mit Lemire gemeinfchaftlich)
in der Fayencefabrik zu St. Clement
in Lothringen, einem Unternehmen,
an welchem er beteiligt war. Von
Luneville aus lieferte Ciffle außer hie
und da nach Niederweiler noch an-

Äbb. 2. Belifar-Gruppe aus Porzellanbiskuit, her-
geftellt nach 1780 in Niederweiler mit den Figuren der
Luneviller Belifar-Gruppe Ciffles (aus den Originalformen)

deren Fabriken feine Modelle oder
gleich die Hohlformen, fo auch für
die Bayard’fche Fayencefabrik zu Bel-
levue bei Toul. Cifflefche Arbeiten
kommen alfo von mindeftens vier
Fabriken Lothringens vor, von Lu-
neville felbft, dann von St. Clement,

Niederweiler und Bellevue.

Ciffle, Hofbildhauer des Herzogs von Lothringen zu Luneville, begründete 1768 in
diefer Stadt eine Fagencefabrik und betrieb fie, bis er 1780 das Unternehmen aus
Mangel an Mitteln nicht mehr aufrecht erhalten konnte. Bei Auflöfung der Fabrik
wanderte ein Teil der Formen nach Niederweiler und fand dort Verwendung, wie
für die Belifargruppe, deren Urftück von Luneville, ausgeführt in Porzellanbiskuit,
hier neben der fpäteren Niederweiler Ausführung abgebildet ift. Daß Ciffle in Lune-
ville außer feiner Terre de Lorraine auch echtes Porzellan herftellen konnte, geht daraus
hervor, daß er im April 1780 (bei Aufgabe feiner Fabrik) der Manufaktur Niederweiler
einen Vorrat von Porzellanerde zum Kaufe angeboten hat. (In St. Clement und in
Bellevue ift nur Fayence- und Pfeifenerde verwendet worden.)

Nachdem Ciffle zu Luneville wirtfchaftlich zufammengebrochen war, ging er in fein
Heimatland Flandern zurück, zunächft nach Brügge, dann nach Haftieres, wo er ver-
fuchte, eine neue Fayencefabrik ins Leben zu rufen, fchließlich nach Ixelles bei Brüffel.
Dort ftarb der unglückliche Künftler verarmt im Jahre 1806.

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