Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914
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https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0079
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2. Heft
DOI Artikel:Heuser, Emil: Niederweiler, eine keramische Kunststätte des 18. Jahrhunderts
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NIEDERWEILER, EINE KERAMISCHE KUNSTSTATTE DES 18. JAHRHUNDERTS
Äbb. 3. Opferung an Flora, Pomona und Ceres. Niederweiler Biskuitgruppen von Lemire
brücken, der bis dahin mit Villeroy und Boch in Mettlach tätig gewefen war. Dryander
zahlte 70000 Franken für die Fabrik, jedoch gelang es ihm nicht, den Lanfrey’fchen Kaolin-
fteinbruch von St. Yrieix bei Limoges, der den Grundftoff für die Porzellanmaffe
lieferte, mit zu erwerben. Franzofen überboten Dryander bei der Verfteigerung des
Steinbruchs, und fo mußte er fich entfchließen, die Porzellanfabrikation ganz einzuftellen
und fich nur noch auf Fayence und Steingut zu verlegen. Im Jahre 1836 gründete Dryander
unter der Firma Dryander & Schmidt in feiner Vaterftadt Saarbrücken eine neue Fayence-
fabrik. Er hatte dazu die Gebäude einer aufgelaffenen Senfenfabrik erworben und ein-
gerichtet. Indeffen war diefem Zweiggefchäft kein langer Beftand befchieden, das
Hauptunternehmen in Niederweiler aber blieb dauernd lebensfähig. Die dortige Fayence-
fabrik vererbte fich in der Familie Dryander weiter, bis fie 1886 unter dem Namen
„Steingutfabrik Niederweiler“ in eine Aktiengefellfchaft umgewandelt wurde.
Von der alten Niederweiler Fayence- und Porzellanfabrik haben fich einige für die
Gefchichte der Keramik äußerft wichtige Urkunden erhalten: Das Formenbuch, der Ver-
kaufstarif und das Geheimbuch. Im Formenbuch find alle die Hohlformen aufgeführt,
die zu den künftlerifchen Schöpfungen Niederweilers gedient haben, bei manchen unter
Nennung des Künftlers, der das Modell gefchaffen hat. Der Verkaufstarif enthält
ein ausführliches Preisverzeichnis, fo daß wir dadurch von jeder Warengattung der
Fabrik, von Kunftwerken fowohl wie von verziertem und gewöhnlichem Gefchirr,
Kenntnis erlangen. Die figürlichen Arbeiten find in diefem Verzeichnis nach Arten
geordnet; es wird begonnen mit den Gruppen und Figuren von Kindern, dann folgen
Genre, Allegorien, mythologifche und religiöfe Darftellungen, ferner Tierreich, Vafen,
Geräte ufw. Der Umftand, daß fo manche Niederweiler Sachen ohne Fabrikmarke
angetroffen werden, laffen beide Verzeichniffe zur Beftimmung von markenlofen Fay-
encen und Porzellanen doppelt wichtig erfcheinen. Das Geheimbuch verkündet nicht
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Äbb. 3. Opferung an Flora, Pomona und Ceres. Niederweiler Biskuitgruppen von Lemire
brücken, der bis dahin mit Villeroy und Boch in Mettlach tätig gewefen war. Dryander
zahlte 70000 Franken für die Fabrik, jedoch gelang es ihm nicht, den Lanfrey’fchen Kaolin-
fteinbruch von St. Yrieix bei Limoges, der den Grundftoff für die Porzellanmaffe
lieferte, mit zu erwerben. Franzofen überboten Dryander bei der Verfteigerung des
Steinbruchs, und fo mußte er fich entfchließen, die Porzellanfabrikation ganz einzuftellen
und fich nur noch auf Fayence und Steingut zu verlegen. Im Jahre 1836 gründete Dryander
unter der Firma Dryander & Schmidt in feiner Vaterftadt Saarbrücken eine neue Fayence-
fabrik. Er hatte dazu die Gebäude einer aufgelaffenen Senfenfabrik erworben und ein-
gerichtet. Indeffen war diefem Zweiggefchäft kein langer Beftand befchieden, das
Hauptunternehmen in Niederweiler aber blieb dauernd lebensfähig. Die dortige Fayence-
fabrik vererbte fich in der Familie Dryander weiter, bis fie 1886 unter dem Namen
„Steingutfabrik Niederweiler“ in eine Aktiengefellfchaft umgewandelt wurde.
Von der alten Niederweiler Fayence- und Porzellanfabrik haben fich einige für die
Gefchichte der Keramik äußerft wichtige Urkunden erhalten: Das Formenbuch, der Ver-
kaufstarif und das Geheimbuch. Im Formenbuch find alle die Hohlformen aufgeführt,
die zu den künftlerifchen Schöpfungen Niederweilers gedient haben, bei manchen unter
Nennung des Künftlers, der das Modell gefchaffen hat. Der Verkaufstarif enthält
ein ausführliches Preisverzeichnis, fo daß wir dadurch von jeder Warengattung der
Fabrik, von Kunftwerken fowohl wie von verziertem und gewöhnlichem Gefchirr,
Kenntnis erlangen. Die figürlichen Arbeiten find in diefem Verzeichnis nach Arten
geordnet; es wird begonnen mit den Gruppen und Figuren von Kindern, dann folgen
Genre, Allegorien, mythologifche und religiöfe Darftellungen, ferner Tierreich, Vafen,
Geräte ufw. Der Umftand, daß fo manche Niederweiler Sachen ohne Fabrikmarke
angetroffen werden, laffen beide Verzeichniffe zur Beftimmung von markenlofen Fay-
encen und Porzellanen doppelt wichtig erfcheinen. Das Geheimbuch verkündet nicht
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