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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914

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5. Heft
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Stoermer, Curt: Die internationale Ausstellung in Bremen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0196

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DIE INTERNATIONALE AUSSTELLUNG IN BREMEN

Bildern Paul Veronefes denken oder an ein
Utrechter Stilleben. Da merkt man, um wie viel
ärmer in der Kompofition und weniger durch-
drungen als Malerei diefes ift. Ein Erlebnis
find frühe Werke von Nauen. Der war der
erfte, der auf van Gogh aufbauend ein Eigener
wurde. Fein und bewegt ift feine Zeichnung
und die Modulation der Flächen.

Nach diefen kommt Picaffo und fein Kreis.
Seine eigenen Bilder haben etwas ungemein
Vornehmes. Eine befondere Entwicklung hat
er durchgemacht, indem er verftand, aus feinen
Vorgängern fich Werte von ganz konzentierter,
objektiver Geiftigkeit zunuße zu machen. Erft
kam Delacroix, dann Lautrec und fchließlidi
Cezanne oder anders herum. Größere An-
regungen mag er aus der Literatur gezogen
haben. Schließlich entdeckte er den Kubismus
als eine Sache, die eigentlich fchon auf der Hand
lag. An den Intellektualismus feiner Kunft glaube
Ich nicht. Wir dürfen auch das Dogmatifche in
ihr nicht fcheuen, denn fo wirkt fie nur auf den
erften Blick. Ihre pfychologifchen Grundbe-
dingungen find mit denen andrer Künfte iden-
tifch, d. h. fie geht vom feelifchen Empfinden
aus. Ein Arzt, der Picaffo unterfuchte, [teilte
feft: Perverfität des Raumgefühls. Perverfität
ift eine Bezeichnung, über die man ftreiten kann.
Aber in diefer Definition wird doch das Richtige
liegen: ße taftet fein Künftlertum nicht an. Was
ihm ganz allgemein zum Vorwurf gemacht wird,
find feine taufend Epigonen, und das ift un-
gerecht. Äugufte Herbin ift ein harter Realift,
zwar von Picaffo beeinflußt, aber ganz felb-
ftändig. Das Beifpiel diefes nüchternen Malers
im gleichen Raume mit Picaffo beweift, daß
Kubismus kein leerer Phantasmus ift, fondern
klarer Realismus, nur etwas überoptifch.

Ich muß aus Raummangel hier auf manches
verzichten (Marees und Feuerbach z. B.). Von
den Jüngeren macht Segal Eindruck, weil er
mit rein fuggeftiven Mitteln arbeitet. Einen

oder zwei beftimmte Töne hält er an und ver-
leiht ihnen dann die höchfte Bedeutung. Die
Volksverfammlung z. B. ift gut. Außergewöhn-
lich gute Akte malt Charlotte Berend. Dietj
Edzard dagegen ift fpirituell, als Kokofchka-
fchüler ein wenig morbid, fehr vielverfprechend,
aber mit Vorficht zu behandeln.

Der graphifchen Abteilung fehlt viel Wichtiges.
Von Millet gibt es frühe Zeichnungen, die noch
etwas klaffifch find, aber ihren fubjektiven Reiz
erkennt man aus den handfchriftlichen Bezeich-
nungen der dargeftellten Örtlichkeiten, dort: dent
du Marais, da der lac chambon ufw. Troßdem
kann man fie mit den Blättern, die im Dezember
aus der Sammlung J. S. Forbes verfteigert wur-
den, nicht vergleichen. Hans Thoma fpricht
hier wenig an. Die Modernen werden erft
wieder zeichnen können, da fie nicht mehr an
das Mißverhältnis mit akademifcher Erziehung
gebunden find.

So kommen wir gleich zu Cezanne. In diefen
dürftigen Farbenflecken feiner Aquarelle atmet
wieder unverfälfdite Kraft. Hier erft erhält man
von ihm die letjte ftarke Überzeugung. Hiermit
verglichen fällt auch die Zeichnung van Goghs
ab, die fo fdiön an feine holländifchen Vorfahren
anklingt, ln einer feinen Pferdeftudie glaubt man
Delacroix zu fehen, da ift’s ein Picaffo!

Nach meinem Gefühl ift hier nur einer Cezannes
würdig: Chriftian Rohlfs. Seine Aquarelle
find fchon kultivierter, aber ftark erfaßt. Mit
lauter Andeutungen keilt er zufammen: Plaftik,
eckige oder weiche Form, Perfpektive, Licht,
Schatten find Formeln, die Elemente feines Ge-
fühls. Zudem ift er der einzigfte Aquarellift
von Belang, den wir heute haben.

Dann find noch vertreten etliche Zeichner von
Prätenfion wie Weinzheimer, Schwalbach,
Edwin Scharff und Egon Schiele. Die Wur-
zeln der drei Erftgenannten findet man zwifchen
Rodin und Hodler, des letzteren in der Nähe
Kokofchkas.

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