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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0331

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LITERATUR

Galizien und Schlefien gefunden wurden, ver-
raten unverkennbar den Einfluß der älteften
diinefifchen Kunft reinfter Art. Diefe Denkmäler
müffen von den Hunnen, den älteften und un-
mittelbarften Nachbarn der Chinefen nach dem
fernen Weften gebracht worden fein. Die kul-
turelle Rolle diefes Volkes wird von Fenollofa
mit der herkömmlichen Abneigung fchleditweg
ignoriert. Die angedeuteten intereffanten Pro-
bleme müffen aber unbedingt gelöft werden, da
fie über den Kreislauf des Kunft- und Kultur-
lebens im fernorientalifchen Altertum wichtige
Aufklärungen verfpredien.

Der indifche Einfluß läßt fich bereits an einigen
Motiven der Han-Kunft, an den Steinreliefs zu
Wu Liang-tze nachweifen. Die verfchnörkelte
Darftellung des Ho-huang Baumes ift auf das
Flammenornament, die allzu gelenkige Bewegung
einiger Figuren auf die Darftellung indifcher
Bagadere zurückzuführen. Die herkömmliche
Anficht, die auch Fenollofa zu vertreten fcheint,
wäre alfo in diefem Sinne zu korrigieren.

Es roll wiederholt betont werden, daß die
Vernachläffigung einiger derartiger Fragen dem
Buche keinen empfindlichen Abbruch tut. Es
entfehädigt dafür mit einer Fülle von ungemein
wertvollen Anregungen und geiftreichen Dar-
legungen. Es ift auch ein Werk, deffen Wefen
die Möglichkeit einer analytiven Kritik fdilechter-
dings ausfchließt und feinen befonderen Maßftab
erfordert. Zoltän v. Takäcs (Budapeft).

Andre Michel, H1STOIRE DE L’ART DE-
PUIS LES PREMIERS TEMPS CHRETIENS
JUSQU’A NOS JOURS. T. V. La Renais-
sance dans les pays du Nord. Formation
de l’art classique moderne. 2. partie. Paris,
Armand Colin. Geb. 25 Francs.

Wer jemals das kunfthiftorifche Inftitut der
Sorbonne befichtigt hat, die Vorträge und Exa-
minas an der Ecole du Louvre kennt, und fich
ferner darüber klar geworden ift, daß zwei an-
gefehene, ältere Kunfthiftoriker Frankreichs, La-
feneftre und Michel, und manche Jüngere als
Politiker und Journaliften begannen, wird mit
feinem Zutrauen zu der franzöfifchen Kunft-
forfchung zögern. Die durchfchnittliche Kunft-
literatur befonders früherer Jahrzehnte gibt den
Zaudernden Recht. Sie blieb, von berühmten
Ausnahmen abgefehen, an der Oberfläche, in-
dem fie die äfthetifchen Probleme nicht be-
rührte, war einfeitig, indem fie die ausländifche
Kunftliteratur nicht berückfiditigte, war ungenau
und ohne Verantwortungsgefühl, in dem fie
archivalifche Dokumente und die Quellenliteratur
fehr leichtfinnig interpretierte. Seit etwa zehn
bis fünfzehn Jahren hat fich das Niveau der

franzöfifchen Kunftliteratur wefentlich gehoben,
obwohl in der Pädagogik weder ein Syftem-
noch ein Perfonenwechfel eingetreten ift. Haben
an diefer Hebung der Kunftforfchung Gelehrte
wie Henri Lemonnier, Emile Mäle, Maurice Prou
und Salomon Reinach ein befonderes Verdienft,
fo haben fich doch auch viele Jüngere ohne
deren Einfluß entwickelt, und im allgemeinen
ergibt fich diefer Äuffchwung vielmehr daraus,
daß intelligente Franzofen ihr Gefühl für Va-
leurs, ihre methodifche Klarheit, ihre Sicherheit
im Gefchmack und im Stil — angeborene Eigen-
tümlichkeiten der franzöfifchen Raffe — in er-
höhtem Maße auf die Kunftgefchichte anwandten.
Unter den jüngeren Kunfthiftorikern Frankreichs
L. Demonts, Dorbec, Deshairs, Gillet, Guiffrey,
Rene Jean, P. Marcel, Fontaine, Perate, Reau
und Vitry gibt es viele, die wir nach unferen
Erziehungsbegriffen als Autodidakten bezeichnen
müffen. Um fo erftaunlicher ift es, daß aus
diefen kunfthiftorifchen Kreifen das wertvollfte
Handbuch hervorgeht, das die Kunftgefchichte
in wenigen Jahren vollftändig befißen wird.
Andre Michel beweift in feiner feit 1905 er-
fcheinenden Kunftgefchichte ein klares Empfinden
für das, was notwendig ift. Sein Buch ift glän-
zend disponiert und enthält keinen überflüffigen
Namensballaft. Er ift gaftfrei und weitherzig,
indem er ausländifche Forfcher — befonders
deutfehe — zur Mitarbeiterjchaft herangezogen
hat. Er weiß wie ein vortrefflicher Fürft feine
Mitarbeiter aus den Kreifen der Jungen und
der Alten mit Gefchick zufammenzuftellen, fo
daß die einzelnen Abfdinitte dem modernen
Stand der Wiffenfchaft gemäß von den vorzüg-
lichften Kennern bearbeitet auf der Höhe der
Zeit ftehen. Michels Einleitungen und „Con-
clusions“ |md in ihrer fouveränen Beherrfchung
des Stoffes und in ihrer ftiliftifchen Sicherheit
Meifterftücke. Daß den bisher erfchienenen zehn
Halbbänden mit muftergültig gedruckten Illu-
ftrationen ein alphabetifches Künftlerverzeichnis
fehlt, ift ein Mangel, der die Benüßung des
Buches fehr erfchwert.

In dem vorliegenden Band hat Morton Ber-
nath die italienifdie Miniaturmalerei bearbeitet,
Andre Perate die italienifdie Malerei von 1550
bis 1600. In den bisherigen Handbüchern ift
diefe Zeit ftiefmütterlich behandelt worden. So
gewinnt diefer Band einen befonderen Wert
durch eine ausführliche Darftellung des Parmi-
gianino, der Carracci und des Domenichino.
Man vermißt eine Klarftellung des Problems
von Form und Farbe, das — als eine der wich-
tigften Streitfragen der Zeit — auch in einem
Handbuch behandelt werden müßte. Über die
Tapifferie und das Mobiliar im 16. Jahrhundert

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