Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 6.1914
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https://doi.org/10.11588/diglit.26375#0642
DOI Heft:
Heft 20/21
DOI Artikel:Redslob, Edwin: Weimarer Maler im 19. Jahrhundert, 1: Friedrich August Martersteig
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FRIEDRICH AUGUST MARTERSTEIG
FR. Ä. MÄRTERSTEIG, Aus dem Hutten-Zyklus
Schadows wandte, um in Delarodies Atelier einzutreten, wirkte zwar diefe Begabung
nach und gab [einen Hiftorienbildern — im Gegenfatj zu Pilotgs pathetifcher Art —
für alle Zeit das Gepräge. Aber es gelang ihm nicht, die Szenen der Vergangenheit
im Sinne Menzels durch [tarke Raumeindrücke und momentan wirkende Lichteffekte
zu greifbarem Leben zu erwecken. Seine Darftellungen bleiben, trojj aller Treue der
Porträts und der Einzelheiten des Koftüms, wie geftellte Bilder vom Befdiauer ge-
trennt. An die „lebenden Bilder“ und Feftfpiele der Devrient-Zeit erinnert auch die
Betonung des Inhaltlichen in feinen Gemälden.
Weimars Fürft im Dreißigjährigen Kriege wird feine erträumte Geftalt: Herzog
Bernhard, der unbändig kühne Heerführer, ein Held, der das Recht in [ich fühlt,
Großes zu leiften, indem er feine eigene Sache führt — vielleicht die menfchlich er-
greifendfte Geftalt aus der bewegten Zeit. Und dann Luther und Hutten — Luther
mit Vorliebe als Kämpfer erfaßt — und in Hutten zum erften Male ein ftarkes Be-
tonen des tragifchen Momentes: der einfam Ringende, wie er durch die ftille Welt der
Alpen zieht oder wie er fterbend finnt und kämpft. Diefe Motive, wie auch andere
Glaubenstaten des Proteftantismus oder die Körner-Bilder — find den Nachkommen
wohl vor allem wertvoll und teuer als Zeugniffe feines Empfindens. Künftlerifch
bedeuten fie einen völligen Umfchwung.
Er bildet nicht mehr nach, was er um fich fieht und keck erfaßt — er will Er-
fonnenes geftalten — er will dichten. So dringt — durch Delaroche und die Parifer
Hiftorienmalerei fowie auch durch die Düffeldorfer Studienzeit begünftigt das tradi-
tionelle Weimarer Element ftärker und ftärker hervor — er wird zum Erben unferer
Dramatiker, er tritt in engfte Beziehung zum Theater. Auch äußerlich denn feine
Hiftorienbilder find nicht zu denken ohne die koftümlich ftrenge Bühnenkunft des
19. Jahrhunderts, die der Echtheit des Beiwerks und den durch Statiften zu gewinnenden
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FR. Ä. MÄRTERSTEIG, Aus dem Hutten-Zyklus
Schadows wandte, um in Delarodies Atelier einzutreten, wirkte zwar diefe Begabung
nach und gab [einen Hiftorienbildern — im Gegenfatj zu Pilotgs pathetifcher Art —
für alle Zeit das Gepräge. Aber es gelang ihm nicht, die Szenen der Vergangenheit
im Sinne Menzels durch [tarke Raumeindrücke und momentan wirkende Lichteffekte
zu greifbarem Leben zu erwecken. Seine Darftellungen bleiben, trojj aller Treue der
Porträts und der Einzelheiten des Koftüms, wie geftellte Bilder vom Befdiauer ge-
trennt. An die „lebenden Bilder“ und Feftfpiele der Devrient-Zeit erinnert auch die
Betonung des Inhaltlichen in feinen Gemälden.
Weimars Fürft im Dreißigjährigen Kriege wird feine erträumte Geftalt: Herzog
Bernhard, der unbändig kühne Heerführer, ein Held, der das Recht in [ich fühlt,
Großes zu leiften, indem er feine eigene Sache führt — vielleicht die menfchlich er-
greifendfte Geftalt aus der bewegten Zeit. Und dann Luther und Hutten — Luther
mit Vorliebe als Kämpfer erfaßt — und in Hutten zum erften Male ein ftarkes Be-
tonen des tragifchen Momentes: der einfam Ringende, wie er durch die ftille Welt der
Alpen zieht oder wie er fterbend finnt und kämpft. Diefe Motive, wie auch andere
Glaubenstaten des Proteftantismus oder die Körner-Bilder — find den Nachkommen
wohl vor allem wertvoll und teuer als Zeugniffe feines Empfindens. Künftlerifch
bedeuten fie einen völligen Umfchwung.
Er bildet nicht mehr nach, was er um fich fieht und keck erfaßt — er will Er-
fonnenes geftalten — er will dichten. So dringt — durch Delaroche und die Parifer
Hiftorienmalerei fowie auch durch die Düffeldorfer Studienzeit begünftigt das tradi-
tionelle Weimarer Element ftärker und ftärker hervor — er wird zum Erben unferer
Dramatiker, er tritt in engfte Beziehung zum Theater. Auch äußerlich denn feine
Hiftorienbilder find nicht zu denken ohne die koftümlich ftrenge Bühnenkunft des
19. Jahrhunderts, die der Echtheit des Beiwerks und den durch Statiften zu gewinnenden
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