Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 4.1893

DOI Artikel:
Schulze, Otto: Uebt die Ausstattung der Wohnung einen Einfluss auf den Menschen aus?
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11380#0021

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Januarheft.

Seite ft.

Zevt dly HusftaMmg der ^^Dohnung einen Minflntz ans den ^WerlMzen aus?

Oc>„ Gtto Schulde, Aöln.


Antwort kann nur ein kräftiges „Ja!" sein, und auch an
dieser Stelle vermag ich eine andere Bekräftigung dieses ein-
fachen klaren „ja!" nicht zu geben, als die: den nachhal-
tendsten, eindrücklichsten, in Blut und Fleisch übergehenden, seelisch

Staat sanktionirtes und ge-
schütztes seßhaftes Familien-
leben: die beste, dauerndste
und moralisch rechtlichste
Grundlage eines jeden ge-
ordneten Staatswesens ist,
der wird auch zugeben müssen,
daß wiederum das wahre,
in richtiger, reinster und
edelster Form sich lebendig
äußernde Familienleben
nur aus dem Felsengrund
des „wohnlichen Heims"
sich aufbauen kann!

Karaktere können sich
überall bilden—schon wahr!

„Karakter haben" ist aber

auch sehr deutungsfähig,
denn jeder Schuft, jederBusch-
klepper hat seinen „Karak-
ter". — Langathmige Ab-
handlungen sind über Ka-
rakterbildungen, ihre Erschei-
nungsformen und ethischen
Grundzüge geschrieben wor-
den, und die Definition der
Karaktere ist nicht weniger
schwierig als die der Schön-
heit! Man spricht von
schwachen, starken, weichen,
unsteten, verschlossenen, of-
fenen, schmutzigen und nach
sonstigen, besonders hervor-
tretenden Eigenschaften und
Gemüths-Affekten näher be-
stimmten Karakteren. —

Goethe's Morte: „Es bildet
ein Talent sich in der Stille,
sich ein Karakter in dem
Strom der Welt", sind dem-
nach dehnbar wie Kautschuk,
jedenfalls ist „Karakter" der Auszug aus der Gesammtmischung aller
guten und schlechten seelischen Regungen eines Individuums!

Die Erziehung der Menschheit hat uns dargethan, daß „Karaktere"
weniger geboren als erzogen werden — und die Erziehung vermag
unendlich viel. Menn wir nebenbei zugestehen, daß Umgang und
Beschäftigung den Aarakter bilden, so müssen wir dies unbedingt auch
aus die „Umgebung" ausdehnen, und wahrlich, diese hat einen erkleck-
lichen Antheil der Einwirkung auf die Entwickelung des Karakters.

Zu jedem Durchschnitts-Karakter gehört eine ziemliche Dosis Gemüth,
und diese Würze soll gewissermaßen den Aarakter „reguliren", leiten
und lenken. Und diese „Gemüthsseite" ist es auch, die im Sinne un-
seres Themas von der Umgebung am meisten gepackt wird. Nehmen

wir die Umgebung als weiter
gesteckte Grenze, so erkennen
wir die großen Unterschiede
in der Karakteranlage zwi-
schen den Bewohnern des
Gebirges und denen des
Flachlandes, zwischen Stadt-
und Land-, zwischen Küsten-
und Binnen-Bewohnern. Die
Umgebung übt ihre eigene
Erziehung: sie schafft Härten
und Tiefen, Harmonien und
Dissonanzen, Licht und Schat-
ten für Gemüth und Geist!

Und in demselben Um-
fang als die Natur und ihre
Erscheinungen aus uns wir-
ken, beeinflußt uns die Kunst,
ein Bauwerk, ein jnnen-
raum in unserem Empfinden.
Wie verschieden sind die Ein-
drücke, die Gemüthswallun-
gen im Gotteshause, auf
dem Friedhof, im Kranken-
haus, im Theater, im Mu-
seum, oder gar in einem
Hrrenhaus oder Gefängniß.

die Heilkraft derartiger Ein-
wirkungen und die Erzieher nicht minder. — Lolchen Dauer-Lindrücken
können wir uns nicht entziehen, und in welch' nachhaltendster Weise
muß nun erst die Ausstattung des Heims — ob ärmlich, ob reich —
uns nahegehen, jenes geheimnißvoll bildende Weben der „Vier-Hffähle",
in welchem wir über die Hälfte unseres Lebens verbringen. Wir ruhen
darin aus, sammeln neue Kräfte, rüsten den Geist, wappnen uns für
den „Kampf" um unsere und der Lieben Existenz, für alles Hohe und
Schöne, jeder rechtlich denkende Mensch ist Erhalter und Mehrer-

rückwirkenden Einfluß! -—
jch werde dies nachstehend
zu beweisen suchen, und wer
anerkennt, daß ein gesittetes,
in sich geschlossenes, vom

Abbildung Nr. FaMnce-Os'rn im Stil der Frnlzrrnaill'anre. Lutw. v. L. Härriug.

Nicht der Begriff der „Zweck-
benutzung" spricht allein zu
uns, sondern mehr noch die
Mertlichkeit und ihre Aus-
stattung, die erhebende, fried-
lich - schwermüthige, ernste,
heitere, feierliche, düstere und
beengende Stimmung ist es,
die Regungen in uns er-
klingen läßt. Wiederholtes
regelmäßis Besuchen und
längeres Verweilen in Um-
gebungen, in Räumen muß
also auch unfern Karakter
förderlich oder verderblich
beeinflussen. Nicht jrren-
Aerzte, wohl aber Seelen-
und Nerven-Aerzte schätzen
 
Annotationen