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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 4.1893

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Schliepmann, Hans: Kunstgewerbliche Berichte von der Welt-Ausstellung in Chicago, [1]
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Waldau, Otto: Die Schulen für dekorative Kunst in Frankreich
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https://doi.org/10.11588/diglit.11380#0188

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Juli-Heft. Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration. Seite fOß>.

Regierungs-Baumeister Rathke seiner Fantasie die Zügel frei schießen lassen
und die Gruppirung des Aeußeren nicht allzuängstlich aus der Grundrißgestaltung
hergeleitet. Aber dies war bei einem kleineren, immerhin mehr dekorativ gedachten
Bau sein gutes Recht. Ueberall jedoch hat er, selbst wo er in der Farbe sich nicht
genug thun konnte, ein ungemeines Rönnen und abgeklärtesten Geschmack offenbart.
So ist es ihm gelungen, ein Werk zu schaffen, das zugleich die deutsche Bauweise
unserer Blüthezeit vor dem dreißigjährigen Kriege kennzeichnet und doch ein voll-
wichtiges Zeugniß auch von modernem deutschen Architekturschaffen ablegt und
Las durch die sinnvolle Verwendung farbiger Wirkungen entschieden von bedeu-
tendstem Einfluß auf alle Diejenigen sein wird, die wirklich ernstlich auf dieser
Welt-Ausstellung architektonische Wirkungen studiren wollen.

von dem Inneren des Bauwerkes zu reden, wird das nächste Wal Gelegenheit
sein, nachdem die letzten Aufstellnugsarbeiten beendigt sind. — Chicago, s, v.

"Mie schulen für dekorative.Honst

in Irnnkreich.

^i^chon in sehr frühen Zeiten hat der Runstgeschmack in Frankreich eine größere
Entwickelung erfahren und man bemühte sich, denselben auch bald in der
Industrie zum Ausdruck zu bringen, indem man den sogenannten dekorativen Künsten

Hauer nicht unter ihrer Würde, Pinsel und Meißel in den Dienst der Industrie zu
stellen, dekoriren ganze Wohnungen; Lcniclaei malt den Rücken von Stühlen, die
Sänften der Hofdamen, bedeckt mit reizenden Bildern das Holz ihrer Klaviere und
sonstigen Möbel.

Um diese Zeit war es auch (;?67), daß eine Gesellschaft begründet wurde,
welche von vornherein sich großer Gunst erfreute und sogar ein königliches Privi>
legium erhielt, die „lXasle Les Xrts LLaorsIiks cle l?s.ris". Im Anfang schien
es aber trotzdem nicht, als ob dieser Schule eine bedeutende Zukunft bevorstände,
nach und nach verstand man es jedoch, hervorragende Künstler dafür zu interessiren,
dieselben übernahmen es selbst, Schüler herauzubilden, und so gingen denn bald
große Männer aus den: Institute hervor. Lin ähnlicher versuch, welcher im Aus-
lande gemacht wurde, trug auch nicht wenig dazu bei, zu noch größeren Anstreng-
ungen anzuspornen. Nach der Welt-Ausstellung von ;8Z; in London entstand
nämlich in England eine Abtheilung für angewandte Kunst und im Budget wurde
eine bestimmte Summe zur Schaffung und Unterhaltung einer Leutralschule für
angewandte Kunst, mehrerer Zweiginstitute, sowie des Kensingtou-Museums aus-
gcworfen. Die außerordentlichen Fortschritte, welche England in dieser Hinsicht
machte, die prächtigen Gegenstände, die es auf in London und Paris stattfiudenden
Ausstellungen zur Ansicht brachte, erregten in Frankreich eine Bewunderung, die
nicht frei von Neid war, und man beschloß, Alles daran zu setzen, um cs nicht
nur zu gleicher, sondern noch höherer Vollendung zu bringen. So entstand das

Abbildung Nummer s;2. Ausgestellt in Chicago. Möbel mit Veeni-Marlin-Malerei. Aurgefllhrt von Rob. Hoffmann, Dresden.

einen immer größeren Platz einräumte. Den Alten waren diese fast unbekannt
-geblieben, denn es boten sich für Erzeugnisse dieser Art damals nur wenige Absatz,
gebiete und dieselben ließen sich auch nur mit großen Kosten und bedeutender Mühe
Herstellen. Um eine derartige Industrie auf ihre Höhe zu bringen, sind eben die
feinsten und vollendetsten mechanischen Hülfsmittel nöthig, muß die Arbeit nicht in
Len Händen Einzelner ruhen, sondern vertheilt werden und mau überhaupt die
Produktion in jeder Weise zu erleichtern und begünstigen suchen.

Was sonst für die Ausdehnung einer Industrie nicht gerade am vorteil-
haftesten, gab der der dekorativen Künste einen außerordentlichen Aufschwung,
nämlich der Niedergang der lateinischen Rasse und die damit verbundene übertriebene
Sucht nach Luxus, nach Neuerem, Schönerem. Bis dahin stationär entwickelte sich
Liese Kunst außerordentlich, weil ihr, wenn auch noch nicht die vollendeten mecha-
nischen Geräthe von heute, doch dafür fast unumschränkte pekuniäre Mittel zu Ge-
tote standen. — Einige Jahrhunderte später brachten die Kreuzfahrer Proben der
orientalischen Künste nach Europa heim, i,n ls. Jahrhundert zwingt die Eroberung
Konstantinopels durch Mahomet II. viele byzauthinische Künstler nach Ländern aus-
zuwandern, wo sie auf mehr Ruhe und verständniß rechnen können, und endlich
-führte die Renaissancezeit zahlreiche Künstler nach Frankreich, die sich nach den
testen Mustern gebildet und unter der fördernden Gunst der Könige sich zu noch
größerer Höhe entwickeln. Schon unter Ludwig XIV. beginnen sie ihr Können
auch mehr der Industrie zu widmen, die Hoffeste, der große Luxus, den die Aristo-
kratie entfaltet, eröffnen ihnen hier ein lohnendes Feld, und unter den folgenden
Königen Ludwig XV. und XVI. halten es die hervorragendsten Maler und Bild-

Museum für dekorative Künste, welches sich im Louvre befindet und auf dessen
segensreiche, kulturelle Wirksamkeit ich später wieder znrückkommen werde.

Die Schule der dekorativen Künste von Paris, welche anfangs ein privat-
unternehmen war, verwandelte sich bald in ein Nationalinstitut. Sie untersteht
heute dem Minister des öffentlichen Unterrichts und die Leiter derselben sowohl als
alle anderen Angestellten werden vom Staat ernannt. Eine Summe von ;so,000 Frks.
jährlich ist für diese Schule ausgeworfen, deren Bestimmung es ist, Künstler für die
Industrie, welche mit der Knust in Verbindung stehen, sowie für „bauliche Dekora-
tionen" zu bilden; der Unterricht wird vollständig umsonst ertheilt. Derselbe zer-
fällt in drei Abthcilungen: Zeichnen, Bildhauerei und Architektur, und findet des
Morgens von 8s/s bis loV-l Uhr, Nachmittags von < bis q- und Abends von Nz bis
gl » statt. Die Tagesklassen dürfen die Schüler vom >o., die Abendklassen vom
Jahre ab besuchen; sie müssen lesen, schreiben und rechnen können. Ausländern
ist der Zutritt nur auf den Antrag ihres Gesandten gestattet, welcher denselben an
den Direktor der Schule zu richten hat, der wiederum die Meinung des Ministers
darüber einholt. Sie genießen alle die nämlichen vortheile wie die Franzosen,
können jedoch nicht für die Stipendien, welche der Staat gewährt, sowie für die
Preise, welche durch Legate entstanden sind, konkurriren. Die Strafen, die über die
Schüler verhängt werden, sind: l) der Tadel, 2) die temporäre Ausschließung,
3) die definitive Entfernung, welche auf den Bericht des Direktors vom Minister
ausgesprochen wird. Der Unterricht umfaßt die folgenden Lehrgegenstände: Gründ-
liches Studium des Zeichnens (Blumen, Thiere, Ornamente, lebende Modelle) der
dekorativen Komposition, der Mathematik, Geometrie, Architektur, Anatomie, der
 
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