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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 4.1893

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Luthmer, Ferdinand: Schmucke Küchen
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Statsmann, Karl: Was bedeutet eine Volkskunst, insbesondere für den Schmuck unseres Heims?, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11380#0268

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Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

Oktober-Heft.

Schilderung wiNnet. Zm Mittelalter nünmt die Rüche eine wichtige
Stelle in den Wohnungen der Fürsten und Herren ein. Im fZ. Jahr-
hundert bildet sie meist ein alleinstehendes Gebäude, häufig kreisrund,
aus dessen Gewölbemitte sich ein hoher Schornstein zum Abzug von
Rauch, Hitze und Speisedünsten erhob.

Die Ramme nehmen dann später, als
die Rüchen viereckige Grundrißform
erhielten, die hauptwand ein und sind
fast immer in doppelter Zahl, nicht
selten auch zu vier, an jeder wand
einer, angeordnet. Ihre größere Zahl
findet ihre Erklärung in der großen
Anzahl von Personen, für welche der
Rüchenmeister zu sorgen hatte. Die

noch vorhandenen Rüchen im Papst-
schlosse zu Avignon, im S>chloß der
Burgunderherzöge zu Dijon, die Rüche
im Zustizpalast zu Paris, welche den
Namen „Rüche des heiligen Ludwig"
führte, geben uns ein hinlängliches
Bild von den majestätischen Verhält-
nissen dieser Räume im Mittelalter.

Nach dieser Zeit zählen außerdem die
Rüchen noch zahlreiche Nebenräume,
deren Namen und Bestimmung aus
den genauen fürstlichen Znventarien
des f5. Jahrhunderts hervorgeht. So
in dem Schloß I>e Neonle HqckP,
dem Lieblingssitz des Herzogs Rens.

Da finden wir die Speisekammer in
nächster Verbindung mit der Rüche;
dann die „Saucenküche", ferner „das
Zimmer wo der Backofen ist"; folgt
noch das Obstzimmer, der Brotraum
und die weinschenke; alle diese Räume
untermischt mit wohnräumen für das
Personal, Zn einigen königlichen Schlössern kommt dann noch „1a
clesxertse" hinzu, was wir heute Anrichteraum nennen. Zeder dieser
Diensträume war so geräumig und bequem wie möglich angelegt;

trotzdem kam es vor, daß bei besonderen Anlässen, fürstlichen Hoch-
zeiten u. dergl., die Räume nicht ausreichten und man zu provisorischen
Anbauten seine Zuflucht nehmen mußte. — Daß diesen luxuriösen
Räumlichkeiten das Personal entsprach, das sich in ihnen bewegte,

erfahren wir ebenfalls aus den alten
Berichten: Das ganze Departement
steht unter der Oberleitung eines Haus-
meisters; dieser hat unter seinem
direkten Befehl zwei Rüchenmeister
mit abwechselndem Dienste, denen be-
sonders die Austheilung der Materia-
lien obliegt. Der eigentliche Meister
aber, der Herrscher in der Rüche, ist
der Roch; „es soll der Roch", sagt
ein alter Gewährsmann, „in seiner
Rüche kommandiren, anordnen und
unbedingten Gehorsam finden, und
soll einen Hochsitz haben an solchem
Orte, daß er sehen und erkennen kann
alles, was man in besagter Rüche
thut, und soll in seiner Hand tragen
einen großen Rochlöffel von Holz, der
ihm zu zweierlei Zwecken dient, eines-
theils um Suppen und Brühen zu
kosten, anderntheils um die Rinder
aus der Rüche zu verjagen und sie
zu schlagen, wenn es Noch thut".
Unter der Herrschaft dieses überwa-
chenden Meisters bewegen sich fünf-
und zwanzig Personen, „ein Zeder in
seinem Geschäft und Dienst schaffend",
und auch mehrere Rüchenbuben, die
keinen Lohn erhalten und das Geschäft
erlernen sollen. Die Obersten unter
diesen hülfstruppen sind die Spieß-
meister, die für den Braten zu sorgen
haben; die Brühmeister, die Suppen und Gemüse zubereiten; die Feuer-
leute, welche das Feuer schüren und die Ressel am Rochen halten; die
Thürhüter, die auf die Thüren achten und das Rüchengeräth über-

* Abbildung Nr. 6sr. Ofenschirm. Lntw. von L. Kärring.

Ausführung gedacht in Schmiedeeisen, Füllung bemalt.

"Was bedeutet eine Wolkskunst,

insbesondere für den Schmuck unseres Keims?

Non Uarl Statsmann, Architekt. (Fortsetzung von Seite

^sM^sber man vergaß, daß es nicht möglich ist, durch raffinirt-
künstliche Werke das ganze Volk zu beglücken, weil es den
hohen geistreichen Runstleistungen nicht folgen kann. Richard
Wagner hat daher sein deutsches Olympia nicht zuwege gebracht, nicht
die volkseinigende und volksbeglückende Wirkung eines solchen. Eine
Runst für Alle gibt es, jene, die Allen was Erhebendes, Erlösendes
sagt, hoch und Nieder, haben wir nicht einen „Teil"? haben wir
nicht „Hermann und Dorothea" und haben wir nicht einen „Faust"

—-o weh, bei dem fängt im II. Theil schon das Unvolksthüm-

liche an. Und wenn alle Goethe-Enthusiasten nun über uns herfallen

ob dieser pietätlosen Aeußerung,-es ist doch so! wir wollen

nicht auf allzuviele Beispiele abschweisen, die uns eine Reformation
der Runstpflege und eine Vervolksthümlichung der Runst in neuester
Zeit verheißen und zum Theil schon verwirklichen. Seien blos die
beispiellosen Erfolge des Mascagni'schen Einakters erwähnt, dieser
grundverständigen, Zedermann erbaulichen Romposition, und der im
ähnlichen Sinne und Streben geschaffenen Meisterwerke, ferner die bahn-
brechenden und in ihrer schlichten Größe vorbildlichen dramatischen
Leistungen Sudermanns, die naturalistischen Regungen und Schöpfungen
in der Malerei, der Architektur, der Plastik, des Runstgewerbes. Alle,
alle gehen darauf hinaus, im Einfachen Großes zu gestalten und führen
zurück auf die ewigen Naturgesetze, welche vom rechten Maßhalten
lebhaft reden und zeugen. Den Vortritt im Bahnfreimachen hat unser
Zahrhundert unternommen, das ist sein unsterblich Verdienst; die erste

Führung unternahm jedoch nicht die Runst, sondern die Wissenschaft
und ihr unentwegtes Forschen nach Wahrheit. Von diesem Streben
wurden unterstützt die großen Erfolge der Technik, welche eine ganze
Umwälzung des Verkehrs und Staatswesens hervorbrachten und wesent-
lich neue Anschauungen in allen Gebieten von Runst, Wissenschaft und
Sittenlehre. Von dem Rückkehrbestreben zur Wahrheit und Natürlichkeit
hat bereits das Volk als Allgemeinde Segnungen erfahren, und die
Runst als solche hat dabei nicht nur nichts eingebüßt, sondern sie ist
nun erst recht Mittel zum besten Zwecke, zur Volksbildung, geworden.
Davon sprechen Tausende von Volksbibliotheken, Volksunterhaltungs-
abende, die Volksschauspiele, zu denen nun endlich der „Gebildete" auch
hinpilgert und von denen er weihevoll gestimmt heimkehrt, als gehöre
er dahin. Za, er gehört es auch, Liner wirke künstlerisch für den
Anderen. Das gibt die rechte Volkskunst, hinter der ein selten ge-
hörtes, wenig beachtetes, fast nie beherzigtes oder gewolltes Leitmotiv
sich verbirgt: der Gedanke der Nächsten liebe. In ornnihriL c-rrilAS!
Bei Allem, in Allem Liebe! Also nicht blos „Einigkeit und Recht
und Freiheit sind des Glückes Nnterpfand", sondern noch mehr! Zur
Arbeit, zu Lchutz und Trutz einig, in Zweifeln freien Handelns, im
Rampse gerecht, all eins in der Liebe. Dann heißt also der Spruch
voll und recht: „In rtecessnriis unitAS, in äridiis liderlns, in
oninibns cantns." Hier berühren sich also, und wo es sich um des
Volkes Bestes handelt, das Streben des Schönen mit dem des Guten,
es durchdringen sich Runst und Religion.

Eines wird aber das nächste Zahrhundert noch ergänzen und vollen-
den müssen, die innigere Beziehung zwischen Runst und Wissenschaft, ja
die richtige Durchdringung, die Amalgamirung beider und ihre Ver-
schmelzung mit dem Volke. Denn heute ist die Runst vielfach noch zu
wissenschaftlich, die Wissenschaft noch zu wenig, wo es gehört, von der
 
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