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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 4.1893

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Mielke, Robert: Volkstümliche Wohnungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.11380#0182

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Juli-Heft.

Illust r. kunstgewerbl. <c)eilschrisl für Innen-Dekoralion.

v>eile s05.

lolksthirmlichL ^Wuhnnllgen.

von Robert Mielkc.

>icht eine stilgeschichtliche Entdeckung will ich machen, wenn
ich meinen nachfolgenden Ausführungen den Leitbegriff
„Volksthümliche Wohnungen" gebe, sondern vielmehr aus
dem geschichtlich Dagewesencn und
den Bewegungserscheinungen der
Gegenwart die Ziele herauszu-
lesen versuchen, welche für das
wohnungsbedürfniß der großen
Volksschichten, in denen der In-
stinkt des Volksthümliche» noch
herrschend ist, als bestimmend
gelten dürfen. Das allgemein in
großen, breiten Massen Aner-
kannte ist auch das allgemein
Gültige, in dem der National-
ökonom sowohl wie der Kultur-
historiker die einzelnen Züge der
Zeit und des Volkskarakters wie-
derfindet. Versuchen wir es nun,
aus der künstlerischen Gesammt-
lage ein Bild des kleineren Ge-
bietes herauszufinden, welchem die
„Zeitschrift sürInnen-Dekoratiou"
dient, so scheint es, als ob wir
in eine gährende, brodelnde Masse
Hineinblicken, aus der sich nur
schwer und in entstellter weise
die Einzelheiten zusammenreihen
lassen, die ein wahres Spiegel-
bild unserer wohnlichen Bedürf-
nisse ergeben. Das warum liegt
dabei nicht allzuweit. Haben wir
doch Künstler allerersten Ranges,
welche in der Wohnungsausstat-
tung nicht allein Bewunderungs-
würdiges geschaffen, sondern auch
eine ganze Reihe von Talenten
mit ihren, Geiste erfüllt haben;
aber das, was aus diesen im
Allgenieinen hocherfreulichen Be-
strebungen hervorging, konnte nicht
tiefer in das Volk dringen, weil
die Kostbarkeit des Materials und
die auf das Große hinauslaufen-
den Absichten der Schöpfer es nur
den aus des Lebens Höhe Stehen-
den gestatteten, sich den Lupus
einer solchen behaglichen und

künstlerischen Wohnung zu leisten._

Nun ist allerdings auch die Möbelindustrie, welche vorwiegend den Be-
dürfnissen der mittleren und unteren Stände dient, nicht unberührt von
dem Verlangen nach Schönheit und Behaglichkeit geblieben, sie ging
vielmehr von Anfang an darauf aus, mit beschränkteren Mitteln die
Erfolge ihres Vorbildes zu erreichen; aber dieser Weg vom Vollkom-
menen zum Unvollkommenen hat, wie es in der Natur einer solchen
rückwärts gehenden Entwickelung liegt, keine segensreiche Wiedergeburt
für die Wohnung nach sich gezogen, vielmehr kamen die verschiedenen
Nachtheile der Decadence als Surrogat, Nnverständniß und auch Lieder-

Abbildung Nr. so?. Kredenz - Schrank in Antik-Lichc.

aoch wrigina, in, German, Museum; ausges, und in Lhieago ausgestellt u°n I, u, Lsßer, Nürnberg

lichkeit der Arbeit zusammen, um eine wahrhaft künstlerische Entwicke-
lung hintenanzuhalten. Der größte Vorwurf, der gegen unsere Möbel-
industrie und ihre Konsumenten zu erheben ist, ist, daß man es fast
allerorts für eine bedauerliche Selbstverständlichkeit hält, inehr aus den
Schein zu geben, als nach Maßgabe der Mittel eine beschränktere
Wahrhaftigkeit zu zeigen. Die verschiedenen Konkurrenzen zur Erlangung

einer billigen und geschmack-
vollen Wohnung, welche in den
letzten Jahren erfolglos stattge-
sunden haben, legen Zeugniß da-
für ab, wie sehr inan diese Rück-
bildung in unserer wohnungs-
industrie empfunden hat; daß sie
, aber so wenig Erfolg hatten, liegt
weniger an verlorenem Interesse,
als an dem uneingestandenen Un-
verständniß für die Bedürfnisse
einer mittleren und volksthüm-
lichen Wohnung.

Und doch ist die Frage nach
dem Amsang und dem Karakter
einer allen billigen Ansprüchen
genügenden Mittelwohnung gar
nicht so schwer zu beantworten.
Haben wir doch in der Geschichte
der deutschen Wohnung selbst die
besten Wegweiser dahin; wir
müssen nur versuchen, das Schielen
nach Prunkstücken zu unterdrücken
und das Einfachere als das Schö-
nere schätzen zu lernen. In einem
früheren Aufsatz habe ich zu schil-
dern versucht, wie sich bei dem
noch unerschüttertsten Stande, bei
den Bauern, eine gesunde Tradi-
tion erhalten hat, habe dann in
einem anderen die Mitwirkung
des Dilettantismus abzustecken
unternommen, um dem Heim das
zu geben, was ihm bisher gefehlt
hat: den Karakter. Mit Be-
rufung aus beide möchte ich jetzt
einen Schritt weiter gehen und die
Ausgabe» in Betracht ziehen, die
sich bei Anlehnung an beide Fak-
toren für unsere Möbelindustrie
ergeben, wobei ich hoffen möchte,
daß die schaffenden Künstler an-
geregt und zur praktischen An-
wendung meiner immerhin theore-
l tischen Ausführungen veranlaßt
werden möchten. — Noch krankt
unsere Möbelindustrie an den Nachwirkungen einer Technik, die, der
Blüthe französischer Kunst entstammend, in einfacher Anwendung ihrer
besten Wirkungen verlustig geht: das ist die Politur, wir erkennen
in den Verkümmerungen unserer Nußbaum- und Mahagonimöbel kaum
die stolze Schöne wieder, welche am Hofe französischer Fürsten und
Grandseigneurs ihre koketten Reize entfaltete, während sie in dem
glänzenden Milieu solcher Umgebung und im Verein mit Metall-
beschlägen und farbigen Inkrustationen von pikanter, manchmal sogar
feenhafter Wirkung war, hatte sie bei uns, ihres graziösen Farben-
 
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