Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 4.1893

DOI Artikel:
Bothmer, Heinrich: Der orientalische Teppich
DOI Artikel:
Die Wahl des Stoffes für Vorhänge und Möbelbezüge
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11380#0161

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Leite HH.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

Juni-Heft.

bilden und somit verhindern, daß die kreuzweise übereinander geknüpften Fäden
vom Fuße berührt und durchgerieben werden kann. Ist die Knüpfarbeit beendet,
so stehen die wollbüschel naturgemäß ungleich hervor und es ist nothwendig, die-
selben einer Schur zu entwerfen, indem man dadurch nach Belieben ein langes oder
kurzhaariges Vlies erhalten kann. Je kürzer dasselbe geschoren wird, desto genauer
und sorgsamer muß die Knüpfarbeit ausgeführt sein, weil die wollbüschel sonst
leicht aus dem Gewebe heransfallen. Im Allgemeinen pflegt ein Knüpfteppich um
so werthvoller zu sein, je kürzer sein Vlies ist, doch bestimmt das keineswegs allein
seinen Werth, da viel von einem fehlerfreien Dessin und von geschmackvoller Farben-
stimmung abhängt. Orientalische
Teppiche von guter Durchschnitts-
quälität besitzen etwa soo Knüpf-
ungen per wo Vuadratcentimeter,
dann gibt es aber auch solche,
wie z. B. die berühmten „Senne-
Teppiche", welche aus ;oo Guadrat-
centimeter 7000 Knüpfungen und
darüber aufweisen. Feinknüpfig und
kurzhaarig pflegen ferner die „Tera-
Han-, Serabend-, Kurdistan-, Khain-,

Biredschend-Teppiche", sowie die von
Turkestan zu sein; die Erzeugnisse
einiger Theile Persiens sind grob-
knüpfig und langviiesig, die von
Zendjan, Hamadan, Schiraz und
Khoranan. Kostbar sind neben den
persischen Teppichen die von Smyrna,
von dickerem und reicherem Stoffe
gefertigt als die ersteren, bei denen
Grün, Roth und Blau zu satten
Mustern zusammenfiießen.

Es ist staunenswerth, was
für eine riesige Arbeit in einem
solchen orientalischen Knüpfteppich
repräsentirt wird; so zählte man
bei einem im Jahre I8sts zu Wien
ausgestellten auf ;oo Ouadrat-
centimeter 8075 Knüpfungen, sodaß
sich bei der Größe desselben von
z,OH Meter zu t,54 Meter die
kolossale Totalsumme von 3730392
Knüpfungen ergibt. Solche Arbeiten
müßten geradezu unbezahlbar sein,
wenn nicht der Tagelohn der Texpich-
arbeiterinnen ein ganz minimaler
wäre. Diese anspruchlosen Geschöpfe,
welche sich Tag aus Tag ein von
Reis und zerquetschtem Weizen er-
nähren, verdienen per Tag nur 3
bis 4 Piaster, was etwa so bis 73
Pfennige macht. Gerade da liegt
für die Einführung dieser Knüpf-
Industrie bei uns der Haupthaken;
der Preis wird in Folge der hohe»

Arbeitslöhne im Abendlande ein
zu bedeutender. Hinzu kommt,
daß die Knüpfung bei den abend-
ländischen Erzeugnissen eine bei
weitem gröbere zu sein pflegt, daß
ihnen die naive Zeichnung und
glanzvolle Farbengebung abgeht,
welche den malerischen Effekt der
orientalischen Hervorbringen. Die
eingeknüxften Wollbüschel stehen bei
diesen fast durchweg nicht senkrecht,
sondern schief, wie bei einem Felle
alle nach einer Richtung, weshalb
ein solcher Teppich, bei der Feinheit
der Wolle, wundervolle Lichteffekte
hervorbringt, die ihm, besonders
wenn er z. B. in Falten auf einein
Divan ausgebreitet liegt, ein seiden-
artiges Aussehen geben. — Will man einen orientalischen Teppich kaufen, so hat
man vor Allem auf folgende Eigenschaften desselben zu achten. Selten ist es, daß
ein Stück bei der primitiven Herstellungsart im Grient ganz fehlerfrei ist. Kleine
Unregelmäßigkeiten im Dessin sind aber keineswegs Fehler, im Gegentheil Vorzüge,
welche erkennen lassen, daß man es hier mit Werken von Menschenhand zu thun
hat; solche kleine, wie man meint, irrthümlich eingearbeitete Drnamente dienen
meist dazu, größere eintönige Flächen zu unterbrechen oder die Harmonie der Farben
herzustellen. Als wirkliche Fehler, auch im Grient, gelten krumme Linien am
Rande, wenn der Teppich nicht rechtwinkelig gearbeitet ist oder wenn er Falten und
Wulste zeigt, sodaß er sich nicht vollkommen an eine ebene Fläche anschmiegt; da
solche Stellen leicht durchgetreten werden, so ist daraus besonders zu achten und in

den Augen eines Orientalen würde er deßhalb die Hälfte seines Wertstes einbüßen.
Ferner achte man auf die Rückseite, ob die Knüpfungen regelmäßig sind und sich
nicht, was häufig vorkommt, ausgebesserte, schadhafte Stellen vorfinden, die geschickt
und kaum erkennbar vertuscht werden. Solcher Geringfügigkeiten wegen lasse
man sich keineswegs vom Ankäufen zurückschrecken, denn ungeachtet solcher kleiner
Mängel wird der Besitz eines derartigen Teppichs stets Freude bereiten. Man
übe vor dem Kaufe sein Auge an guten Mustern und lasse sich nicht beschwatzen,
sondern wähle, was dem Auge wohlgefällt, man betrachte vorsichtig, aber nicht
kurzsichtig. Dann aber bedenke man die Farbenharmonie des Zimmers, für welchen

der.Teppich bestimmt ist; am Besten
ist es, stets an Grt und Stelle die
Wirkung zu erproben, ob die Gegen-
sätze und die Harmonie der Farben
wohl erwogen seien.

je Wahl drs Stoffes für
Vorhänge und Mödeliilimüge.

Zunächst erhebt sich die Frage,
ob man Möbelüberzüge und Vor-
hangstoffe von derselben Farbe und
demselben Stoff halten soll. Man
wird gerade nicht irre gehen, wenn
es geschieht, aber man setzt sich doch
dein Vorwurf der Einförmigkeit und
der Langweiligkeit aus, zumal dann,
wenn man auch noch gar die Wände
mit dem gleichen Stoffe oder der
gleichen Farbe und dem gleichen
Muster überzieht. Ls wird uns
wirr und öde vor den Augen. Wand,
Möbel, Fenster sind doch verschiedene
Dinge, und jedes will sein Recht
haben; verschiedener Stoff und ver-
schiedene Farbe sind also wohl be-
gründet, sowie man nicht vergessen
darf, daß eine Farbe mehr, auch einen
Reiz mehr zugeben kann. Selbst-
verständlich müssen die verschiedenen
Farben in schöner Harmonie stehen,
wovon man sich vorher durch Zu-
sammenstellung und Prüfung über-
zeugen mag. Man wird auch gut
thun, die Farben nicht in zu starkem
Kontrast einander gegenüber zu
stellen, auch wenn sie nach wissen-
schriftlicher Farbenlehre zusammen-
stimmen. Mit solchem Gegensatz
kann man wohl die Wirkung der
Pracht erzielen, aber nicht die Empfin-
düng der Ruhe und Behaglichkeit.

Ist die Einförmigkeit zu ver-
werfen, so doch nicht die Einfarbig-
keit der Vorhänge an sich, von
schwerem Stoffe und dunkler Farbe
machen sie ernsten und vornehmen
Eindruck, und haben doch durch ihre
Falten Leben genug, um nicht todt
zu erscheinen, zumal wenn sich ein
längerer Fransenbesatz hinzugesellt.
Andererseits sind sie, wenn in Hellen,
kräftigen Tönen gehalten, durch die
breite Farbenmasse zu großer Wir-
kung geeignet, aber hier gerade ist
ein milder Gegensatz in der Farbo
der wand und der Möbel zu suchen,
wenn nicht gerade eben eine starko
Wirkung in der künstlerischen Ab-
sicht liegt. In keinem Falle aber
hat der einfarbige Stoff allein Be-
rechtigung. Wir lieben den Wechsel
und das Bunte, und mit vollem
Recht, wenn es edel und schön ist. Der buntfarbige gemusterte Stoff gewährt uns
größere Mannigfaltigkeit des Ausdruckes, der Stimmungen; er kann einfach und
bescheiden sein, anspruchsvoll und prächtig, leicht und gediegen, heiter und ernst,
voll Behaglichkeit, voll Glanz und Reichthum. Für alle Arten und alle wünsche
finden wir heute vollständige Auswahl j„ den großen Niederlagen. Man muß
freilich den Blick üben, um das Richtige und Passende herauszufinden.

Daß man sich dabei im Stil hält, wenn das Zimmer einen bestimmten Stil
anstrebt, ist wohl natürlich, doch gibt es auch hier Ausnahmen. So z. B. wären
für ein Renaissancezimmer, ob es nun deutsch oder italienisch gedacht ist, orientali-
sirende Vorhänge, wie orientalische Teppiche durchaus passend, wie die vornehmen
Herren und Damen der Renaissancezeit in ihren Gemächern oder die großen Maler

Abbildung Nr. 5Y6. Waild-Delrorslivil mit Neixkörpei'. Entwurf v. Prof. F. Luthmer.
Mil Layencexialten-Bilder-Ernsag nach System d. Arch. LH. Weib, Frankfurt a. M.
 
Annotationen