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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 4.1893

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Die soziale Bedeutung des Kunstgewerbes
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Fischbach, Friedrich: Kunstfeindliche Korrektheiten
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https://doi.org/10.11588/diglit.11380#0266

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5eite s52.

Gktober-Heft.

gesunden lassen möchten, dem Kunstgewerbe die höchste Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Staat und Stadtvereine und Private müssen mit unausgesetzter Energie Zusammen-
wirken, dem Uunstgewerbe die innere und die äußere Uraft zu erhalten
und zu geben, diese Seite seines Berufes zu erfüllen. — Aber es ist nicht
minder um des Volkswohlstandes willen die Pflicht des Staates, die Pflicht
jedes Gemeinwesens, die künstlerische Veredlung des Gewerbes zu pflegen.

Frankreich verdankt zum großen Theile dem Uunstgewerbe seinen Reich-
thum. In mehr als einer Branche ist es Deutschland schon gelungen, in
die Schranken zu treten und das Absatzgebiet der Konkurrenten zu ver-
engern. Jeder neue Sieg in dieser Richtung bedeutet eine Zu-
nahme des National-Wohlstandes. Solche Siege können aber nur
errungen werden, wenn die Leistungskraft des Uunstgewerbes
immer höher gesteigert wird. Solche Steigerung zu ermög-
lichen, das ist wiederum Aufgabe seiner konsumirenden und
unterstützenden Faktoren. Es ist nothwendig, daß Aufträge
gegeben werden, die das Können, die Erfindungskraft aufs
Höchste anspornen und es ist nöthig, daß Anregung, unaus-
gesetzte, nie ermüdende Anregung allen Seiten des Uunst-
gewerbes zu Theil werde. — In
welcher Weise diese Pflichten im Ein-
zelnen zu erfüllen sind, wie hier vor
Allem die Kunstgewerbevereine und
Kunstgewerbe-Museen, Vorträge und
Publikationen einzusetzen haben, das
braucht hier nicht näher erörtert zu
werden. Wo die sociale Bedeutung
des Uunstgewerbes voll erkannt ist,
da kann es nicht schwer fallen, Nittel
und Wege zu finden, die Kunst im
Gewerbe zu voller Geltung zu bringen.

Knnstsrindlichk Korrektheiten.

von Friedrich Fischbach.

moderner europäischer Teppich
ist auf den ersten Blick durch
das gleichmäßige Kolorit erkennbar,
denn sämmtliche Farben find an jeder
Stelle von gleicher Uraft. Der orien-
talische Teppich hingegen, der als
Vorbild dient, zeigt die verschiedensten
Abstufungen in jeder Farbe. Das
gibt ihm einen besonderen Reiz, was
wir in unserer waare als fehlerhaft
geringer tariren, ist der Vorzug der
orientalischen. Möglich, daß die che-
mischen Prozeduren bei der wollfär-
bung so unvollkommen find, daß unsere
Exaktheit unerreichbar. Lin Teppich,
der Hunderte Nüancen so aufweist,
daß überall die Wirkung harmonisch
bleibt, ist doch künstlerisch reicher als
ein Teppich mit ungefähr ;o stets
gleichen Farben, wir können diese
chemisch reinen, exakten Kolorits mit
dem Hersagen eines Gedichtes ver-
gleichen, bei welchem alle Worte in
gleichem Tempo und Kraft gesprochen
werden. Die Exaktheit, die keine
Silbe vernachlässigen will, schädigt
den Gesammteindruck und langweilt.

— Da in Ostindien die echten Hand-
druck-Ieuge viel höher bezahlt werden,
als die Naschinendruck - Waare, so
suchen die Fabrikanten den Schein
des Handdruckes dadurch zu erreichen,
daß sie Moos und Abfälle auf die

Farbwalzen bringen, um Störungen im Druck, resp. Flecken zu erzielen. —
Sehen wir uns eine griechische Vase an. Die geschabten, gekratzten und ge-
malten Ornamente und Figuren verrathen das feinste künstlerische verständniß, aber
nirgendwo ist eine so steife Wiederholung und Gleichmäßigkeit zu finden, als die
Reproduktionen in unseren Lehrbüchern sie zeigen. Ls sollte nicht die Kupferstecher-
Exaktheit, sondern eine lebendige Wirkung der freien Handarbeit erzielt werden.—
Unsere Zeichenlehrer unterrichten, als ob alle Schüler Litho- und Fylografen
werden sollen! Die Exaktheit der absoluten Kongruenz wird erstrebt und das
Empfinden durch diese peinliche Dressur vernachlässigt, wäre in den Kasernen
Zeichenunterricht, so würde dieser nicht anders gedrillt als in den Schulen unsere
exakten Pädagogen denselben kultiviren. Noch ein Schritt weiter und wir sind beim
Taktzeichnen angelangt, bei welcher neuesten Methode es heißen wird: „Strich eins
rechts! Strich zwei links! Halt, Gummi, wischt! Repetirt!" Mit Punkten und
Zahlen würde natürlich die Kopie vorgedruckt, was zur Reinlichkeit und Ersparung
vieler krummen Linien ja vortheilhaft. — Doch Scherz bei Seite! (obschon von Scherz
kaum die Rede sein kann, wenn man an den miserablen Zeichenunterricht denkt,

Portrait Sr. Maj. des Königs von Württemberg.

Abbildung Nnmmer 665. — Portrait und Rahmen in künstlerischer Lederarbeit.

AusgeMm im kunslgewerbl. Aiclier der Zirma A. L s. Zr, BiU'ier, Stuttgart.

den unsere Kinder von pädagogischen Nethodenjägern, die der Kunst fern stehen,
erhalten). Sehen wir uns unsere Wand-Dekorationen an und fragen wir uns, ob
diese schön und praktisch sind? Was bieten unserem Auge die Tapeten?
vor circa 25 Jahren führte ich die reich gegliederten Dekors ein, die nach
architektonischem Gesetz: Sockel, Pilaster, Fries rc. zeigen. Man verließ
vor ;o Jahren dieses System, weil es nicht bequem genug war. Das
heutige Ideal ist, die Zimmer wie das Innere einer Kiste mit einem
und de in selben Muster zu bekleben und oben und unten eine in der
Farbe entsprechende Borte anzubringen. Das nennt man Tapeten-Deko-
ration! Da nur die Minderheit schöne Velgemälde und Kupfer-
stiche hat, muß die Tapete solche ersetzen, d. h. recht viel Effekt auf
den Wänden machen. Ringsum darf dasselbe Muster in Hunderten,
ja tausenden Wiederholungen die Augen ermüden. Das ist
unsere Eleganz, das ist modernster Geschmack! Fragen wir
uns, ob es denn so nothwendig ist, daß wir nur ein Muster
im Zimmer haben, so müssen wir ehrlich gestehen, daß wir
keinen anderen Grund wissen, als weil wir es von Kindheit
an so gewöhnt sind. Daß es aber künstlerisch nothwendig
ist, d. h. daß die Architektur diese
langweilige Uniformirung verlangt,
oder die Innen-Dekoration in irgend
einer guten Epoche sie uns so vor-
gemacht hat, müssen wir absolut ver-
neinen. Die mit Teppichen bedeckten
Zelte und Wände und Fußböden, die
Alhambra-Wandflächen, sie alle zeigen
harmonische Mannigfaltigkeit.
Alle Flächen bieten neue Muster dem
Auge. Das verwirrt keineswegs, son-
dern erfreut, was hindert uns, solche
gute Beispiele zu befolgen? wir
hängen zu sehr vom Geschmack der
Tapezierer ab, die zwar technisch
solide Handwerker, aber keine De-
koratöre sind. Man will ferner
nicht andeuten, daß die wände mit
Tapetenresten tapezirt seien, obwohl
dies bei einzelnen Zimmern, besonders
solchen mit Lambris versehenen, sehr
gut anwendbar ist; man fürchtet sich
vor Buntscheckigkeit und glaubt, daß
die ruhige Gesammtwirkung leiden
werde, wenn mehrere Muster an den
Wänden wirken. Gewiß, wer die
Wirkung nicht berechnen kann, möge
lieber zu vorsichtig, als zu kühn Vor-
gehen. Aber wenn wir vorher die
Muster ebenso in Harmonie bringen,
wie z. B. verschiedene Teppiche, welche
in ein und demselben Raume wirken
sollen, so kann man mit Hülfe der
verbindenden Borten eine ganz gute
Wirkung erzielen.

Man beginne vorerst solche Ex-
perimente aus ökonomischen Rück-
sichten in den Speicherzimmern. Dort
verwende man geeignete Tapetenreste,
die jeder Händler gern abgibt, um
jede wand anders zu tapeziren. Das
Artheil wird bald läuten, daß es dort
hübscher ausschaut, als in den Räu-
men, die nur ein Muster zeigen.
Unser Auge sucht das Malerische, die
Farbenfreude und die Harmonie der
Kontraste, es flieht die Disharmonie
nicht minder wie die kahle und er-
müdende Langeweile. Unsere moderne

Kisten-Dekoration möge im Grient in die Schule gehen. Langweilige Exaktheit
bietet Prosa statt Poesie! — __

Preis'Bewerbung. Auf das zur Erlangung von Entwürfen für die
Straßenseite ihres neuzuerrichtenden Geschäfts- und Wohnhauses seitens der „Blätter
für Architektur und Kunsthandwerk" ergangene Preis-Ausschreiben waren s6 Ent-
würfe eingelaufen, und zwar 7 aus Berlin und je einer aus Bregenz, Bremen,
Lckernförde, s Gravenhage (Haag), Leipzig , Magdeburg, Mautern (Besterreich),
München, Paris. Das Preisgericht trat am 7. August in den Räumen des Architekten.
Vereins zusammen und traf einstimmig die folgende Entscheidung. Es erhielt den
t- preis von 500 Mark der Entwurf mit dem Kennwort „Berliner Bär", Verfasser:
Iaar und Dahl, Architekten in Berlin; den 2. Preis von 200 Mark der Entwurf
mit dem Kennwort „Bürgerlich" (II), Verfasser: B. Stahn, Regierungsbaumeister
in Berlin; den Z. preis von 200 Mark der Entwurf mit dem Kennwort „Probe-
xfeil", Verfasser: p. Gründling, Architekt in Leipzig. Zum Ankauf empfohlen
wurden: der Entwurf mit dem Kennwort „Unverzagt daran gewagt", Verfasser:
A. Winkelmann, stuck, uiala. in Magdeburg und der Entwurf mit dem Kennwort
„Mit Verlaub", Verfasser: Richard Ziegler, Architekt in s'Gravenhage.—
 
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