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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 4.1893

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Michael, H.: Weibliche Arbeit als Zimmer-Dekoration
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https://doi.org/10.11588/diglit.11380#0133

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öeite 78.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

itNai-kfeft.


mblich^ Nrdeit als-Minuner-Vrkorativil.

von H. Michael.

Begriff „weibliche Arbeit" ist, wie in dieser Zeitschrift schon mehrmals
betont, ein sehr weiter, und reicht von der schlichten Stickerei bis zur
feinen Lederschnitzarbeit, von der einfachen Häkelei bis hinauf zur
Holzbrand.Malkunst. Alle die Kunstfertigkeiten mit Pinsel, Stichel u. dgl.,
sollen jedoch hier keine Erwähnung finden, sondern es sei hier einmal ausschließlich
von der „weiblichen Arbeit" in: engeren Sinne gesprochen! Diese umfaßt alle die-
jenigen Zweige, welche als Hand-
werkszeug die Strick-,Stick-,Knüpf-
oder Häkelnadel erfordern, und
wahrlich, so klein und unscheinbar
das Instrument auch ist, es hat
gleichwohl Großes geschaffen —
wahre Wunderwerke sind mit
seiner Hülfe unter der fleißigen
Hand der Frau entstanden. — In
unseren Tagen, im Zeitalter der
Maschinen steht unleugbar die
weibliche Handarbeit nicht mehr
in solch' hohem Ansehen und in
solch' schöner Blüthe, wie zur
Zeit unserer Voreltern, da man
noch nicht für wenige Reichs-
Pfennige oder -Mark eine Spitze,
ein Deckchen oder einen Teppich
einhandeln konnte, der aus dieser
oder jener Fabrik hervorgegangen.

Unleugbar liegt in der mecha-
nischen Massen - Produktion ein
schätzenswerther vortheil, wenn
auch der Werth der Handarbeit
dadurch herabgedrückt worden ist.

Letztere wird aber trotz alledem
nicht sowohl aus praktischen Grün-
den, als auch vom künstlerischen
Standpunkte aus, sich ihre Freunde
zu erhalten wissen. Während in
früheren Jahrhunderten, wo die
Beziehung der Weiblichkeit zu-
meist ausschließlich in den Händen
von Klosterfrauen ruhte, man sich
damit begnügte, dieHandfertigkeit
auszubilden, indeß der Geist nur
nothdürftige Nahrung erhielt, ist
man in neuerer Zeit in umge-
kehrterweise, ich möchte fast sagen
etwas zu weitgegangen, das heißt,
man hat die weibliche Handarbeit
vernachlässigt! Früherstickten die
Frauen und Mädchen die Wand-
bekleidungen (Tapeten) der Zim-
mer, die Portieren (Vorhänge) vor
ihre Thüren und Fenstern, spannen
das Linnen zu ihrer Wäsche und
schmückten ihre Taseltncher mit
kunstvoll gestickten Wappen u.dgl.

Das ist Alles anders geworden!

Unser raschlebiges Jahrhundert
hat für alle diese zeitraubenden
Arbeiten einfach keine — Zeit!

Die Frau muß geistig mit thätig
sein, sie muß Theil nehmen, theils
mehr, theils minder, am Streben
ihrer Zeit, am Kampfe ums Brod,
und darüber verliert sie den Sinn
und die Geduld für die Beschäf-
tigung im und am Kleinen. Die
weibliche Landarbeit ist darum
einestheils in die Boudoirs der
Begüterten zurückgedrängt, an-
derntheils zum Lrwerbszweig vieler Hunderter geworden, die mit ihrer Hände Arbeit
Anderer Heim schmücken und traulich machen helfen.

Und in der That, noch heute beherrscht die „weibliche Arbeit" immerhin ein
ganz ansehnliches Revier in unseren wohnräumen. Häkel-, Filet - Guipure und
T'oint-Ic.ace-Arbeiten sind an Gardinen, an Tischdecken, Sofaschonern u.dgl. stets
gut angebracht, doch wird oft gefehlt, indem man in einem Zimmer die drei ver-
schiedenen Arbeits-Arten mit ruhigem Gewissen dicht nebeneinander anbringt, ohne
daran zu denken, daß auch darin ein einheitliches System zu wahren ist, welches
womöglich dem Stil der Einrichtung thunlichst angepaßt sein soll. So paßt bei-
spielsweise in ein Rokoko- oder Barock-Zimmer die Volnt-Naae- und Filet-Guixur-
Arbeit, während zum Renaissancestil, wo das sogenannte altdeutsche Liunen trefflich

"Abbildung Nr. 57g. Motiv suv eine Stoff-Dekoration für Fenster.

Entwurf und Zeichnung von G. Autzleb.

Verwendung findet, noch am ehesten die Klöppelei zu empfehlen ist, welche zumeist
iu Schlesien, und vor Allem im Erzgebirge als Hausindustrie Tausenden von Frauen
ihr tägliches Brod gibt. Die Häkelarbeit ist moderner Richtung, doch hat sie das
eine Gute, nirgends in auffallender weise zu stören, selbst an solchen Stellen, wo
sie oftmals nicht recht hinpaßt; im großen Ganzen aber hat sich die Häkelei, von
künstlerischer Seite betrachtet, schon insofern die Gunst vieler verscherzt, weil sie
sich in ziemlich unverfrorener weise überall breit macht und allzusehr aufdringlich
zeigt, wozu sie durch nichts berechtigt ist. Eine bedeutend größere Rolle spielt da
schon die Leinen-Stickerei, und das mit vollem Recht! Tafeltücher, Servietten,

Büffet-Decken, Tischläuser u.dgl.
in sinniger und stilvoller weise
dekorirt, werden stets dazu bei-
trage», die Karakteristik der
Zimmereinrichtung zu erhöhen,
und beziehentlich zu vervollkomm-
nen. Zu altdeutschem Stile pas-
send, wird besticktes Linnenzeug
stets einen durchweg noblen und
dabei anheimelnden Eindruck er-
wecken. Ebenfalls von höherem
werthe ist die Teppichstickerei
(auch' Smyrna-Knüpfarbeit), die
recht wohl einen dekorativen
Werth besitzt, sofern sie mit ver-
ständniß gearbeitet und richtig
plazirt ist. Rückenkissen, Fuß-
bänke, Kaminverkleidungen usw.
zu besticken, istzulässig, doch dürfen
derartige Gegenstände niemals
prunken und die Blicke aus sich
ziehen, wie überhaupt alle „weib-
liche Arbeit" angenehmes, ja so-
gar schönes Beiwerk sein soll,
niemals aber aufdringlich und
anspruchsvoll als Hauptsache ins
Auge fallen darf.

Beim ewig weiblichen gras,
sirt oftmals geradezu die Sucht,
an jedem Gegenstände etwas
„Selbstgearbeitetes" anzubringen;
da möchte oftmals gar noch über
jede Thürklinke ein gestickter
„Schoner" gezogen werden. —
Auf den Sofa's, auf den Stühlen,
aus den Fußbänkchen, überall
liegen derartige schrecklicheDinger,
und setzt sich der Hausherr darauf,
was ja, auch einmal „aus ver-
sehen" xassiren kann, dann wird
Zeter mordio geschrieen, ob des
Barbarismus, der nicht einmal
die schönen „selbstgestickten" Scho-

ner — geschont hat!-

Gehäkelte Schwamm-Netze,
gestickte Haarbürstchen, Tinten-
wischer, Lylinderhütchen, Nacht-
Mützen, Stiefelauszieher, und wie
dergleichen sinnige Weihnachts-
geschenkgegenstände weiter heißen
mögen, zeugen von Geschmack-
losigkeit, und dienen nur dazu,
die weibliche Handarbeit in Miß.
kredit zu bringen. Solche Dinge
dürsten nicht einmal in einer
Mädchen-Spielschule zur Anfer-
tigung kommen, geschweige denn,
daß Erwachsene sich mit' solchen
lächerlichen Spielereien befassen
sollten! Aber da läßt sich das
„zarte Geschlecht" nicht belehren I
Es leidet eben oft an einem
geradezu unheimlichen Arbeits-
Drang, und wehe dem armen Gegenstände, der ihm dann in den weg kommt, —
er wird kurz und bündig bestickt und überhäkelt, und wenn's irgend durchzuführen
wäre, bekäme sogar der Sountags-Lylinder des geliebten „Männels" für die Wochen-
tage einen — Schoner! (Gewiß zur großen Dankbarkeit und Freude seines Be-
sitzers! -) Ja, ^ hat schon Recht gehabt, der das große Wort gelassen aus-

sprach : „Doch das Schrecklichste der Schrecken, das ist der Mensch in seinem Wahn I»
Und ein Wahn ist entschieden auch diese Stick- und Häkelsucht zu neunen! Darum
auf, ihr arbeitslustigen Frauen in Fern und Nah, schmückt Euer Heim getrost und
schaffenssreudig auch fernerhin mit „weiblicher Handarbeit", bethätigt auch in
dieser Beziehung Euer« Kunstsinn und Eure Liebe zur Ausschmückung des Heimes
— aber vergesset das Eine nicht — übt Enthaltsamkeit l I —
 
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