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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 4.1893

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Statsmann, Karl: Künstler, Handwerker, Publikum und - Innen-Dekoration!
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https://doi.org/10.11588/diglit.11380#0076

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Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

It7ärz-t)eft.

^nnstlev, E^ndwerkerf, und —

Von Architekt K. Statsmann. ' Motto: „Eines Mannes Rede ist keiner Mannes Rede, man soll sie billig hören alle beede,"

er von den drei ersten ist zum zweiten, zur Dekoration
unseres Wohnungsinneren berufen? Diese Frage hat
vorliegende Zeitschrift bereits mannigfach beantwortet.
Im Einzelnen wäre aber festzustellen, welchen An-
theil bei dieser Ausstattung jeder Theilnehmer hat, und hierbei
wieder zu beleuchten, wie weit die Verantwortlichkeit eines
Jeden zu reichen hat. Hieraus werden sich dann Schlüsse ergeben,
inwieweit Anschuldigungen und Klagen über Künstler, Handwerker
und Publikum gerechtfertigt sind oder nicht, und endlich, welches
Facit daraus zu ziehen sei für eine ordentliche Weiter-
entwickelung unserer Wohnungsausstattung, Hand
in Hand mit der Entwickelung unseres Kunstgewerbes,
auf Grund unserer Gesellschaftsordnung. Es soll
und kann damit aber kein festes Programm gegeben
werden. Stehen wir doch mitten in der Zeit, un-
fähig, selbst die Fäden aller Entwickelung in Händen
zu halten, und vermögen wir doch nur schwach durch
Wort und Werk für's Zeitrad einigermaßen die
Bahn zu ebnen, geschweige denn förderlich in dessen
Speichen einzugreifen. Man verspricht sich beispiels-
weise viel von einer ästhetischen Bildung des Volkes,
und bezweckt damit auch diejenige des armen, ein-
fachen Mannes, in der Hoffnung, die Liebe zum
Schönen wirke veredelnd, beglückend. Selbst in die
niedrigste Hütte solle die Kunst eindringen, ein milder
Sonnenschein, alles verklärend. Ach, wie weit hat's
noch bis zu solchem Völkerfrnhling! Sind wir doch
erst noch nicht einmal so weit, daß die Kunst bei
den Gebildeten recht daheim ist! Insofern wird die
Stellung des Künstlers zum Hause sehr verkannt.

Und was verlangt man vom Handwerker? , Ja, erst
vom Publikum?! Beide sollen künstlerischen Ge-
schmack besitzen und mit ihm das Heim zu einem
weihevollen Tempel umgestalten, — Handwerker,
welche in ihrer Biederkeit der Kunst so fern gestellt
sind, als ihre waare vom Marktvertrieb, welchen
es nicht möglich geworden, Kunstgesetze zu studiren,
und welche arbeiten müssen, was verlangt wird, ob
es schön ist oder nicht. Und das Publikum: Ja,
was versteht man denn unter Publikum? Wie un-
gern läßt sich doch vielfach der „vornehme" zum
Publikum rechnen, unter welchem Begriff er was
wie „Pöbel" versteht. Und doch ist er oft nicht besser
als der Unbemittelte in der Lage, zu wissen, was
schön, was kunstvollendet und für sein Heim brauchbar
sei. Das Publikum bedarf des Handwerkers, dieser
des Künstlers, beide bedürfen des Publikums. So
braucht und bedingt eines das andere und ist nicht
ohne das andere existenzfähig.

Man verspricht sich nun neuerdings eine Be-
lebung des künstlerischen Geschmackes beim Publikum,
hierdurch eine Einbürgerung guter Kunstformen, des
Kunstgewerbes insbesondere, hierdurch eine Steige-
rung der Nachfrage auf dem Markte der Handwerker,
im Betriebe der Großindustrie, hierdurch eine Läu-
terung des Geschmackes bei beiden letzteren, in Folge
dessen eine bedeutend gesteigerte Produktivität der
Künstler und Handwerker, und das alles in den
Bahnen und im Geleise vollendeter Kunstübung.

Wie heißt doch das Flamminische Wort:

Niirirne sis cantderitiir: irr kossarrr, „nur nicht
mit dem Gaul in den Graben!" — Wohin soll dies ge-
waltsame Aufdrängen der Kunst? Das Publikum
allein macht keine Kunst; bekanntlich sind die herr-
lichsten Baudenkmale hellenischer Kunst vielfach gegen
den Willen des Volkes, gegen Volksgunst, errichtet
worden. Die vielen Kunstsachen für sich machen
ein Heim lange noch nicht behaglich.

Schließlich ist's vor lauter Kunst im
Hause nicht mehr auszuhalten. Schon
jetzt fühlt man das bei manchen Aus-
stattungen. Wir meinen, wenn die echte
rechte Kunst im Hause einzieht, dann
kommt sie würdig, einfach, in Anmuth,
wie eine junge Braut, und ist zugleich
ein Stück Eigenart der Einwohner, von
denen sie unzertrennlich ist. Ls stehen
nicht blos „Kunststücke" umher, sondern

Gewerker, sondern auch der Ligenthümer. Kunst kommt von
„Können", und wohl Dem, der auch was kann in der künstle-
rischen Ausstattung seines Heims, der mitthut, mitwirkt und mit
Geist, Herz und Hand diesem den Stempel eigenen Wesens, Lebens,
Waltens aufzudrücken vermag.

Wenn aber von Mithülfe des Publikums bei Wohnungs-
ausstattung die Rede ist, sollte allemal gesagt werden, welches
Publikum man meint. Denn es ist nicht einerlei, wer sein Heim
einrichtet, welchem Stande, welchen Verhältnissen gehört der Be-
treffende an? Ich kann mir ein urgemüthlich Heim
denken, das aber etwa dem Arbeiter noch zu uner-
schwinglich, dem Reichen zu schlicht ist. Man preist
ferner die gemächlichen „altdeutschen" Bürgerstuben
an. Ei—wie wenige von unserem Mittelstände leisten
sich solche? Machen wir nun nicht diesem Stande
allein den Vorwurf! Hier liegt unser Angriffspunkt.
Jeder Stand ist von der Art seiner Verhältnisse,
seiner Bildung und der Verhältnisse nächst ihm ab-
hängig. Halten wir das Verlangen vorläufig für
unsere Betrachtung fest, daß der Mittelstand eine
gemächliche Wohnungseinrichtung bedürfe, und wir
meinen damit auch den mittleren Beamtenstand, von
der Solidität dieser beiden machen wir doch immer
noch als Deutsche unser Zukunftsglück abhängig,
wenn wir uns auch nicht verhehlen wollen, daß es
an der Zeit ist, auch dem einfachsten Manne Mittel
zu gewähren, an den geistigen Bewegungen unserer
Kultur zu seiner Befriedigung Theil zu nehmen.
Ist der Mittelstand so gebildet, daß er von selbst
weiß, wie er sich einzurichten hat? Ls ist dies
selten der Fall, ist nicht zu verlangen und hat auch
keine frühere Zeit verlangt. Den braven Bürger
kümmert wenig, was Kunststil sei. Aber er hat ein
natürliches Gefühl für das Schöne und für das
Kunstreiche. Hier begegnen wir wieder dem Urwort
„Können". An der Meisterschaft des Könnens kennt
er das Kunstwerk. Und sind zwar auch die Zeiten
vorbei, in denen man das Hundertkugelstück als
höchste Kunstleistung anstaunte, jene kunstreich in-
einander und auseinander geschnitzten Sächelchen,
so mögen wir dem Laien doch vielfach Recht geben,
wenn er etwas kauft, was „künstlich" ist, ohne daß
es auf der Höhe der Kunst steht. Ls hat doch
einen, keineswegs imaginären, Kunstwerth. Diesem
eigenthümlichen Kunstsinne verdanken wir doch eine
Fülle guter, bester Sachen, welche unsere Ahnen zu
Urväter Hausrath gesammelt haben. Dazu sei be-
merkt, daß dieser eigene Sinn für „Künstliches" noch
zum Theil unseren Kunstmarkt beherrscht, zum großen
verdrusse derjenigen Kunststreber, welche mit aller
Macht neue Stile im Kunstgewerbe haben wollen.
(Als ob wir sie nicht schon hätten!) Ist denn das
so schlimm, (wenn in vereinzelten Fällen ein Hand-
werker immer noch seine Holzmöbel mit Säulen und
Karyatiden versieht? Thut er es denn nach eigenem
Ermessen? Hat er nicht meist einen Auftrag in
diesem Sinne? Und hat er die Bildung, den Stil-
fehler herausfinden zu können? Wir sagen: er
soll es lernen, dazu sind unsere Gewerbeschulen
nnn reif genug. Ganz recht, aber hemme man nicht
zu sehr die Handfertigkeit; lasse man den Handwerker
auch „Kunststücke" machen. Er weckt sich durch diesen
Eifer und schöpferische Kraft und — steht dabei auf
dem mit Recht so beliebten „goldenen" Boden, in
dem Sinne aber, daß er sich auch pekuniär besser
stellt. Beeinflusse man nicht allzu puristisch das
Kunstgewerbe! Unterjoche man um keinen Preis
den Individualismus. Nehme man
dem Menschen nicht die Gelegenheit,
sich selbst-schöpferisch zu bethätigen, de-
gradire man ihn nicht ganz zur Ma-
schine. Der Individualismus ist es doch
gerade, den man so hoch rühmt an un-
serem mittelalterlichen Kuustgewerbe

Standuhr. KUchend I.K.K.d.GroßherMS u.dGroßherzogiu «Baden anPrinu5 ^"^iarethe u. Preußen.

Abbildung 637. — Nach Entw. d. Aunstgew.-Schule Karlsruhe ausgef. v. d. Uhrenfabrik A.-G. Lenzkirch.

solche sind ein Lrgebniß und Beispiel des Könnens, nicht blos der Künstler und

und demjenigen der deuschen Renais-
sance. Er ist es doch, welcher unsere
deutsche Kunst vor der antiken aus-
zeichnet. Hier die große Unterordnung
gleicher und ähnlicher Theile unter die ruhige Würde des Ganzen im Gesetze der
 
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