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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 4.1893

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Einiges über englische Keramik und eine ihrer Heimstätten: Original-Bericht unseres Londoner Korrespondenten
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Teile s66.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

November-Hest.

Einiges über englische Keramik und eine ihrer Meimftäiten.

Driginal-Bericht unseres Londoner Aorrespondenten.

Manche Lücke, welche alte Manuskripte trotz der eifrigen
Forschungen der Historiker in der Geschichte von Nationen
gelassen haben würden, manche That von Jahrhunderten
her, die „kein Lied, kein Heldenbuch" meldet, ergänzten oder berichteten
die Neberreste der Erzeugnisse jener uralten Kunst, der Töpferei, oder
wie wir sie heute in ihrer vollendeten Form nennen, der keramischen
Industrie. Tie sind es, die uns oft mehr als alle Aufzeichnungen und
Neberlieferungen von dem nationalen Karakter Derer zu erzählen ver-
mögen, die in fernen Weltgegenden „lang vor uns geliebt und gelacht",
und die der Nachwelt bis unlängst nur durch die Mythe bekannt waren.

Porzellanfabrikation zu einem solchen allerdings schon früher aufge-
schwungen, und wir wollen hier nur der hervorragenden Erzeugnisse
worcester's Erwähnung thun, von denen Schreiber dieses ganz kürzlich
Gelegenheit hatte, ein Tischservice zu betrachten, das im Jahre s7H2
in Worcester für den damaligen König William IV. angefertigt wurde.
Das Dessin desselben besteht in einem, sämmtliche Stücke umgebenden,
breiten Rande aus dem tiefgesättigten sogenannten königlichen Blau
mit auf diesen: angebrachten Goldzeichnungen, und die Mitte ziert eine
sinnbildliche Darstellung der Hoffnung, aus dem Pinsel John Pennington's,
eines hervorragenden Künstlers jener Tage. Natürlicher Weise aber

Darum schon darf die Töpfereikunst Anspruch auf eine hervor- sind nicht zwei Stücke des ganzen Services einander gleich,

ragende Stellung erheben, wenn ihr der Umstand, daß sie in Folge Was aber Worcester damals auch immer geleistet haben mag, so

der fortwährenden Vervollkommnungen ein unendlich weites Feld für steht seine Industrie doch heute ungleich höher. Die Vielseitigkeit der

das Zusammenwirken der plastischen und der dekorativen Aunst eröffnet, prächtigen Formen seiner für den praktischen Gebrauch oder zu <pier-

nicht schon einen ersten rächen bestimmten Fabri-

emen

Platz unter allen In-
dustrien der Nationen
sicherte. Großbritan-
nien hat der Töpferei
stets alle jene Vortheile
gewährt, welche ihre Ent-
wicklung zu hoher Blüthe
zu fördern vermochten.

Natur versah das Insel-
reich im Uebermaß mit
einem vorzüglichen Ma-
terial, und der britische
Töpfer verstand es, mit
dem ihm verliehenen
Pfunde zu wuchern. Die
ungeheuren Fortschritte
in der keramischen In-
dustrie Englands sind
zum größten Theile den
Anstrengungen Einzelner
zu danken, und wir wollen
hier von diesen nur Na-
men wie Wedgewood,

Minton und Doulton er-
wähnen. Aus kleinen
Anfängen heraus haben
sie sich einen Weltruf
gesichert; aber erst seit-
dem in neuerer Zeit der
Töpferei unter den deko-
rativen Künsten ein Platz
eingeräumt wurde, be-
gann sie ihre Siegeslaufbahn in Wirklichkeit. — Jene Steifheit und
Kälte, welche einstmals die britische Schule auf künstlerischem Gebiete
karakterisirte, schwand, als der Kunstsinn nach und nach immer mehr
im britischen Volke heranreifte, und vielleicht ungeahnt trug dazu die
keramische Industrie in erster Reihe durch die Harmonie und die vollen-
deten Formen ihrer Schöpfungen bei.

Im Jahre s85^ wurde in London, und zwar in jenem Stadt-
theile, der den Namen Lambeth führt, eine Kunstschule gegründet, wo-
mit ein völlig neuer Abschnitt in der Geschichte der englischen Steingut-
Dekoration begann. Lambeth war von altersher einer der Sitze des
britischen Töpfergewerbes. Zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts
hatten sich daselbst holländische Töpfer niedergelassen, doch waren sie
nur einfache Handwerker, deren rohe, wenn auch recht brauchbare Er-
zeugnisse unter dem Namen Delftwaare in den Handel kauten. Dieser
folgten ungefähr fünfzig Jahre später jene glasirten Gefäße, die noch
heute in jedem Haushalt einen Platz haben, und erst der letzten Hälfte
des gegenwärtigen Jahrhunderts war es Vorbehalten, Lambeth zu
einem Sitz des Kunstgewerbes erhoben zu sehen.

Anderwärts in England hatte sich die Töpferei, respektive die

Abbildung Rr. 727. Vviulen - Terrinv aus Porzellan.

Entworfen und ousgesührt in der Königlich Sächsischen Porzellan, Manufaktur, Meißen.

kate ist ja weltbekannt.
Die vollendeten Konturen
seiner Vasen, die reiche,
aber dabei gedämpfte
Färbung ihrer Verzie-
rungen, die Verbindung
weicher Bronze - unb
Goldtöne, die mit so un-
vergleichlichem Effekt mit
Vorliebe auf elfenbein-
farbigem Grunde ange-
bracht werden, sind fast
einzig in ihrer Art, und
die Alt-Elfenbeinnüance
ist ja als ein Karakte-
ristikum der Worcester-
fabrikate zu bezeichnen.

Wir wollen jedoch
nach Lambeth zurückkeh-
ren, da wir dort am
besten den Aufschwung
des Töpfergewerbes,
schlecht und recht, die
Veredlung der Gebilde
aus Thon und nicht derer,
aus der so lange als
unendlich vornehmer be-
trachteten Porzellanerde
beobachten können. —
Die Gründung derKunst-
schule daselbst bedeutete
also, wie schon gesagt,
den Anbruch einer neuen Aera, aber nur ein Einzelner vermochte das
zu erkennen, und dieser war der jetzige Sir Henry Doulton, dessen
Vorfahren von altersher in Lambeth dem Töpferhandwer? oblagen.
Doulton's Erfolgen ist es zu danken, daß in die gesammte keramische
Industrie Englands ein neuer Geist cinzog, denn er war es, der zuerst mit
dem Althergebrachten zu brechen wagte und Neues und Originelles schuf.

Im Jahre l87l, wurde die erste einer Serie von Ausstellungen
in South Kensington in London abgehalten, und bei dieser Gelegenheit
entspann sich ein eisrig>.r Wettbewerb unter den englischen Industriellen
aller Zweige. Doulton erkannte diesen als den richtigen^Augenblick,
um einer neuen Richtung auf dem Gebiete der Töpferei Eingang zu
verschaffen- El entwarf Muster, welche bis dahin unter Steingut fremd
waren, und seine Erzeugnisse, die man anfänglich solchen anderer
Töpfereien entrechte, erregten die Aufmerksamkeit eines Kunstverständigen
unter den Organisatoren der Ausstellung. Dieser räumte ihnen, von
ihrer Originalität eingenommen, einen hervorragenden Platz ein. Das
Publikum erkannte ihren Werth, die Stücke wurden sämmtlich für ver-
schiedene Sammlungen erworben, und Doulton auf diese Weise ermuthigt,
aus der von ihm betretenen Bahn fortzufahren. Heute ist seine Fabrik
 
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