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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 4.1893

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Die Ausstattung von Wohnungen einzelner Personen
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Mielke, Robert: Eine Wohnung im XX. Jahrhunderts, [5]: Zukunftsphantasie
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https://doi.org/10.11588/diglit.11380#0064

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Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration

März-Hest.

niedlichen Wohnung einer alten Dame, deren Einrichtung aus denn
Jahre s770 stammen mochte. Dian betrat hier zunächst einen kleinen
Vorflur, dessen Thür mittelst eines Schnurzuges mit einer Rolle an dem
Deckeuhaken über dem Sofatisch in Verbindung stand. An der Schnur
aber hing ein Blumenkorb, welcher sich bei jedem Geffnen der Thür
bis aus den Tisch herabsenkte und so der steinalten, leider schon ganz
taub gewordenen Tante an-
zeigte, daß Zemand gekommen
sei. Dann erhob sie sich aus
ihrem haargepolsterten mit
großen Dhren versehenem
Lehnstuhl am Fenster und
kam fröhlich lachend herbei,
um uns Rinder zu begrüßen;
auch wenn wir, das Schau-
spiel des niedergehenden Ror-
bes zu genießen, jeder einzeln
eintraten, ließ sie sich's nicht
verdrießen, denn sie war ganz
stolz, durch diese Erfindung
wahrnehmen zu können, daß
Jemand ihre Wohnung be-
treten hätte. Sie ging dann
an den links in der Fensterecke
stehenden Eckschrank, einem
äußerst praktischen aber leider
auch ganz aus der Mode ge-
kommenem Möbel, und gab
uns jedem einen Apfel oder
ein Bisquit. Hiermit durfte
dann der Rückzug angetreten
werden, während die etwas
schwierige Unterhaltung mit
ihr der Mutter überlassen wurde. Die Hauptsache war nun, es so
einzurichten, daß die Alte uns nicht sähe, denn Mutter mußte sich so-
gleich einen Stuhl an den Nähtisch hinanrücken und wendete hiernach
ohnehin dem Zimmer den Rücken zu. Gelang es uns, unbemerkt zu
bleiben, dann wurde Alles untersucht, und wie viel gab's aus diesem
engen Raum zu sehen. Hauptsächlich beschäftigte uns die große Schreib-

kommode links zwischen den beiden Thüren. Sie enthielt die seltsamsten
Sachen und Einrichtungen. Besonders konnte man in der obersten
Schieblade einen mit grünein Tuch bespannten Deckel zurückschieben,
unter dem sich dann für alle denkbaren Einzelheiten besondere Archer
befanden, die nicht nur für Dinte, Streusand, Aderhalter und Siegellack
abgetheilt waren, sondern auch für gemünztes und für Papiergeld, ja

zum unversieglichen Neid der
Geschwister hatte die Tante
uns Aeltesten in einer beson-
ders geneigten Stunde auch
einmal den Zugang zu dem
mit unsichtbarer Ader ge-
schlossenen Geheimfach ge-
zeigt, das ihre Rleinodien ent-
hielt, und das wir vor den
Blicken der Jüngeren nun
immer gerade in dem Augen-
blick wieder verschwinden
ließen, wo dieselben nach vieler
Mühe hoch genug geklettert
waren, um in das Fach hinein-
sehen zu können. Nicht we-
niger interessant war auch
das Spinet neben den: Gsen,
das sie aus alten, besseren
Zeiten noch bewahrte, und
auf dem wir jedesmal noth-
wendig die ersten Rlavier-
etüden wiederholen mußten.

Es mag naiv erscheinen,
dies Alles so ausführlich zu er-
zählen, aber das Vergnügen,
das uns Rindern der Besuch
bei der alten Tante bereitete, war sicher nur der Abglanz der Behag-
lichkeit, die sie selbst in ihrer Wohnung empfand. Sie war mit ihren
Sachen gewissermaßen ganz verwachsen, jedes Stück trug irgend eine
Eigentümlichkeit von ihr selbst an sich, Alles war leicht zu erreichen,
bequem und sicher zu finden. Sie hatte in ihrer Art auch Sammlungen.
Aus der Rommode standen ein paar schöne, alte Porzellane, die Wände

* Abbildung 525. Wohnzimmer; aus dem Nu lau a dieses Jahrhunderts zu »ebenst. Text-

Nach einer Original-Zeichnung aus dem Jahr H8H0.

MinH im XX. gHahrhundrrt.

Zuknnftsphantasie von Robert Mielke. (Schluß.)

Frau liebt keine Bilder, welche eine lebhafte Aktion
darstellen", erläuterte Berner seinem Freunde diese Dekora-
tion; „sie behauptet immer, daß solche für ein weibliches
Gefühl beleidigend wären und nur für die barbarischen Herren der
Schöpfung, womit sie uns beide auch meint, Reiz hätten."

„Zch kann zwar die Richtigkeit dieser Behauptung, die mir etwas
einseitig erscheint, nicht anerkennen", versetzte daraus der Besuch, „doch
läßt sich über den persönlichen Geschmack vernünftigerweise nicht streiten.
Aber kann ich nicht auch das Nebenzimmer noch sehen, das sicher
ebenfalls Ueberraschendes für mich birgt?"

„Nein, mein Lieber, das kannst Du nicht so ohne Weiteres, da
mußt Du erst die Erlaubniß meiner Schwägerin, die vielleicht Gründe
hat, sie Dir vorzuenthalten, einholen. Dasselbe ist übrigens in: Allge-
meinen ebenso eingerichtet wie dieses, nur daß Lieschen, das eine merk-
würdige Vorliebe für Rosa besitzt, diese Farbe besonders bevorzugt hat.
Romm nun aber wieder nach unten; es wird wohl gleich zu::: Essen

läuten. Dein Schlafzimmer befindet sich oben in: Thurm, Du wirst

noch Gelegenheit genug haben, es zu sehen. Nur das will ich Dir
im Voraus verrathen, daß Du von ihm aus eine sehr schöne Aussicht
auf die Gegend hast, die bei Sonnenaufgang zu benutzen, ich Dir sehr
empfehlen möchte. —

Als Beide nach unten kamen, war man schon beschäftigt, den
Tisch zu decken. Tante Lieschen legte soeben unter dem Beistand des
kleinen Robolds die Bestecke zurecht, doch sah sie sich bald genöthigt,

die Arbeit allein zu vollenden, denn das Rind lief sofort, als es die

Eintretenden gewahr wurde, aus den fremden Gnkel zu, um ihn mit
den Worten zu begrüßen: „Gnkel, setzt habe is dis auch sehr lieb".

„So schnell?" fragte dieser überrascht.

„Sa, Tante Lieschen hat gesagt, daß is Dis lieb haben solle, alle
Menschen haben Dis lieb, Tante Lieschen, Du auch, nis wahr? wenn
Tante-"

„Aber, Manschen, wie kannst Du", unterbrach das junge Mädchen
den Redeschwall der Rleinen, während eine Purpurfluth seine Wangen
färbte, „komm mit in die Rüche und hilf mir."

Das war nun leichter gesagt, als gethan, denn der Gnkel hatte
die Rleine trotz aller seiner Schüchternheit auf den Ar::: genommen und
herzhaft geküßt, was aber den: Rinde Veranlassung wurde, erst recht
seine kleinen Geheimnisse auszuplaudern. Unter diesen Umständen zog
es die jugendliche Tante, die unser Freund übrigens mehr ansah, als
die Rleine aus dem Arm, vor, allein in die Rüche zu gehen, während
der Hausherr mit einem vergnügten Lächeln über diese Szene, sich be-
haglich aus einen Sessel niederließ.

„Ls ist zwar nicht Sitte, daß man solche Junggesellen, wie Du
einer bist, in die Rüche läßt", begann er, „aber bei Deinem wirthschast-
lichen und häuslichen Znteresse", er betonte das letztere, „wird wohl
meine Frau nichts dagegen haben. Manschen, frag einmal die Mama,
ob der Gnkel sich die Rüche ansehen darf. Wie Dir so bekannt ist",
fuhr er weiter fort, „daß kein Anderes als sie die Herstellung unserer
Speisen überwacht. Da sie nun so viel in der Rüche weilt, so hat sie
auch hier ihren Geschmack in der Ausstattung walten lassen, und ich
glaube nicht, daß sie darin zu viel gethan hat."

An Stelle des kleinen Boten kam die Mama selbst und lud den
Gast ein, näher zu treten. „Hier ist mein Reich, hier kann nur ich
oder meine Schwester den Führer für Sie abgeben." Ueberrascht blieb
 
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