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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 4.1893

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Faulwasser, Julius: Neuere Hamburger Küchen- Einrichtungen und -Anlagen
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Die soziale Bedeutung des Kunstgewerbes
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https://doi.org/10.11588/diglit.11380#0264

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5eite s50.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Mktober-Heft.

die Liebhaberei, die ihren Ausgangspunkt an immer anderen Tinrich-
tungsmomenten nimmt, stets den einen oder anderen Theil noch besser
und zweckmäßiger auszubilden sucht. Speziell ist es auch die innere
heiztechnische Einrichtung des Herdes, aus die hier näher einzugehen
nicht der Mrt ist, die aber in ihrer Verbindung mit Heißwasserapparaten,
Heizeinrichtungen oberer Räume und anderen Nebenbedingungen unter

Insaugefassung sparsamsten Be-
triebes von den großen Gfen-
fabrikanten zu bedeutender Höhe
gebracht ist. Die Seele des Ganzen
aber bleibt immer die Hausfrau
selbst, durch deren umsichtige Ver-
waltung diese Räume erst zur
endlichen Erfüllung ihres eigent-
lichen Zweckes gelangen und in
diesem Sinne kann man in der
That sagen, daß die Rüchen in
Hamburg trotz ihres weitgehenden
Luxus nirgend Zierstuben sind,
sondern überall in ihren Produkten
ihre Daseinsberechtigung Tag aus
Tag ein bezeugen. Niemand miß-
gönnt es daher den Frauen, wenn
sie an der Ausstattung ihrer
Rüchen eine ganz besondere Freude
empfinden und darin ihre eigene
Geschmacksrichtung zur Geltung
und Anschauung bringen wollen,
um bei Ausübung ihrer Rochkunst
auch wirklich mit Lust in dem
Raum thätig zu sein, huldigen,
wenigstens stillschweigend, doch
alle die Menschen, die sich's irgend
leisten können, der Ansicht, daß
eine „gute Rüche", wir meinen hier
allerdings nicht den Raum, sondern die in demselben bereiteten „Er-
zeugnisse", die ja zur Ausstattung innige Beziehungen haben, einen
höchst wichtigen Bestandtheil behaglichen Lrdendaseins, innerlicher Be-
friedigung bildet, und erwähnen zum Schluß noch einen Ausspruch
unseres ersten großen Reichskanzlers Fürsten Bismarck, der immer be-
hauptete: „Der Mensch ist, was er ißt", um damit zu sagen,
daß sich der Rarakter und die Anschauungen des Menschen auch mehr
oder weniger danach bilden, wie er seine Lebensbedürfnisse befriedigt. —

ft

Grundriß zu Abbildung Nr. 6SS.

Die sozial^ des-Munjtgewerbes.

Ueber dieses Thema schreibt Or. Th. volbehr in den „Hamburger Nachrichten"
Folgendes: „Man spricht von der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts als von
dem Zeitalter des Miedererwachens der Künste oder doch wenigstens des Kunst-
gewerbes; und nicht mit Unrecht. Ls hat sich in der That seit den fünfziger Jahren
ein so lebhaftes Interesse für die Kunst im Handwerk bemerkbar gemacht, daß die
erstaunte Frage berechtigt ist, wie es möglich war, daß ein lange vernachlässigtes
Gebiet plötzlich zu solcher Bedeutung gelangte. Der Anfang des Jahrhunderts
hatte den ärgsten Verfall gezeigt. Die künstlerischen Gedanken der Vergangenheit
schienen verbraucht; in kühler Manierirtheit wurde hundertmal Gemachtes wieder
und wieder geformt, der Guß ersetzte die Schmiedearbeit, gedrechselte Glattheit
erhielt vor der Schnitzarbeit den Vorzug, die Erfindung erlahmte so völlig, daß
man sich ängstlich hütete, einen Schritt über die Vorlage hinauszugehen und sich
witzig glaubte, wenn man kunstgewerblichen Produkten Form und Farbe der Natur-
erzeugnisse gab. von wahrhaft künstlerischer Thätigkeit im Gewerbe schien Niemand
etwas wissen zu wollen. Man war überaus praktisch geworden, feierte die Maschine
als die vorkämpferin für die Menschenrechte und arbeitete in Wort und Schrift
für die Verbesserung des materiellen Wohls der Menschheit.

Wie kam es nun, daß aus solcher Zeitlage heraus das Kunstgewerbe zu
neuen Kräften kam? war es in der That nur ein Rückschlag gegen die Nüchternheit
und den Ungeschmack der Zeit, wie die landläufige Erklärung es glauben lassen
möchte? Wäre es nur das gewesen, die Bewegung hätte längst ihr Ende erreicht.
Und doch muß es Jedem, der aufmerksamen Blickes die Erscheinung der Gegenwart
überschaut, klar sein, daß trotz des Aus- und Absteigens der wirthschaftlichen Lage
das Interesse und das verständniß für die Kunstindustrie in gleichmäßigem Wachsen
begriffen ist. Den Grund hierfür zu finden, dürfte nicht schwer fallen. Nur ist
es uöthig, daß man an die Stelle jenes Schlagwortes vom Rückschlag den Begriff
ruhiger Weiterentwickelung einsetzt.

Ls ist nicht zu leugnen, daß die Wohnräume nach der Zeit der Freiheitskriege

kahl und nüchtern waren, daß mehr Fabriken als Villen gebaut wurden, daß für
das Behagen und für die Gesund-Lrhaltung des Leibes mehr gethan wurde, als
für geistige und gemüthliche Veredelung und dem entsprechend für Turnanstalten
eine lebhaftere Bewegung sich geltend machte als für Schaubühnen. Aber es ist
unzweifelhaft, daß man durch solches Betonen des materiellen Daseins die vor-
bedingungen für eine gewisse allgemeine Wohlhabenheit schuf und gerade dadurch
in den zwanziger Jahren die ersten schüchternen Keime erneuter kunstgewerblicher
Thätigkeit hervorlockte. Line Musterzeichenschule wurde in Berlin errichtet, staatlich
konzessionirte Werkstätten für feinere Metallarbeiten wurden gegründet, Vorbilder»
sammlungen für Handwerker herausgegeben: man begann allmählich, den nüchternen
Lebensformen ein gefälliges Mäntelchen umzuhängen.

Da kam die erste Industrie-Ausstellung aller Völker in London (lS5l). Jetzt
ward den Nordländern zum ersten Mal Gelegenheit, die Schönheit orientalischer
Kleinkunst auf sich wirken zu lassen. Auch die Deutschen lernten, und gleichzeitig
erwachte in ihnen ein Gefühl der Sehnsucht nach künstlerischer Selbständigkeit.
Broschüren erschienen, die begeistert von einem nationalen Kunstgefühl sprachen.
Die Saat mar gestreut und wenige Jahre brauchte es nur, bis an allen Lnden
Veranstaltungen für Kunst und Industrie ins Leben traten. Und jetzt trat klar und
deutlich der Zug der neuen Zeit hervor: Die Staatsgewalt und die private Thätigkeit
thaten sich zu vereinter Arbeit zusammen; Regierungen, Kunstfreunde und Industrielle
sahen ein, daß nur gemeinsames Thun zum Ziele führen könne, daß die Kunst»
industrie mit dem Nationalwohlstand des Landes unzertrennlich verbunden und daß
in der künstlerischen Bildung des Vorgeschmacks ein bedeutsamer erziehlicher Faktor
liege. Das Kunstgewerbe war in eine neue Periode seiner Geschichte eingetreten,
seine Bedeutung im Leben des Volkes gesteigert.

Lin Blick auf die Vergangenheit wird das beweisen.

Im Mittelalter stand Kunst und Kunstgewerbe fast ausschließlich im Dienste
der Kirche. Die Kirche war ihre Beschirmerin und Pflegerin und bediente sich ihrer,
auf das Volk

um aus oas rwlr zu
wirken. Die gen Himmel
ragenden Thürme, die
wundersamen Glasge-
mälde, die leuchtenden
Heiligenbilder, die prun-
kenden Kirchengeräthe,
das alles waren Mittel,
das Volk über das All-
tagsleben hinaufzuhe-
den, die Majestät der
Kirche ins Gemüth zu
prägen, sich das Volk zu
erziehen. Und der Reich-
thum der Kirche stieg
mit diesem Prunk. Wie
drängten sich die Gläu-
bigen, denen es die Mittel
gestatteten, durch werth-
volle Stiftungen theilzu-
nehmen an dem Glanz,
der von der Kirche aus-
ging. Eine Kapelle, die
ihren Namen trug, mit
sonderlichem Prunk aus-
zustatten , ein Passions-
bild mit dem wohlge-
troffenen Schenkerxor-
trait zu Füßen des Herrn
an einen Pfeiler zu hän-
gen, einen Reliquienbe-
hälter mit Edelsteinen
verzieren, das verlieh
Ruhm und Bewunde-
rung hienieden und
sicherte eine fröhliche
Seligkeit. Kein Wunder,
wenn Kunst und Kunst-
gewerbe sich wohlbesan-
den unter der Schirm-
herrschaft der Kirche.

Die Reformation
durchschnitt dieses ruhige
Zusammenarbeiten, oder

richtiger: die sinkende
Autorität der Kirche und
das steigende Selbstbe>
wußtsein des städtischen
Bürgerthums gab dem -
Kunstgewerbe einen
neuen Herrn. Das Rath-

»Abbildung Nr. 66Z. BttstenMndep.

Original im «unstgew.-Mus., Berlin. — Aufn. von M. Schoenfeld.

Haus und die Auuftstube trat in den Augen des Bürgers an die Stelle der Kirche.
Tisch und 5tuhl, Lade und Tischgeräthe vertrugen künstlerische Gestaltung; und
dem Schenkungseifer der Einzelnen ward der breiteste Spielraum gelassen. Die
köstlichsten Prunkbecher und Tafelaufsätze entstammen dieser Zeit kräftigen Lebens»
 
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