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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 4.1893

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Dankwardt, L.: Der englische Geschmack in Deutschland, [1]
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Seite 73..--^

Mai-Heft. Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

von L. Dankwardt.

nser Vaterland verdient in mancher Hinsicht das Land der Extreme ge-
nannt zu werden. Vor allen Dingen dürste das in Geschmackssachen
der Fall sein. Während ein Theil unseres Volkes, voran vielleicht die
akademische Jugend ind alle fanatischen Teutonen, zum mindesten von
einer Gänsehaut überlaufen wird, wenn von Engländern und englischen Bräuchen
die Rede ist, nimmt ein anderer Theil in demüthiger, selbstvergessender Bewunde-
rung Alles hin, was aus dem albischen Nebelreiche herzustammen vorgibt. Da ist
das reiche, kunstsinnige Hamburg, das mit der englischen Tageseintheilung auch die
englische Wohnungseinrichtung übernimmt. Der eigenthümlichste Karakterzug des
urnormannischen Wesens, diel
Liebe zum vornehmen Prunk
drückt sich ganz besonders in den
häuslichen Einrichtungen der
Engländer aus. Diese innere
Vornehmheit zieht unbewußt
auch die vornehmen Geister un-
seres Volkes an. So hatte sich
im Laufe der Zeit eine englische
Zimmereinrichtung bei uns ein-
gebürgert, deren äußere Merk-
male wesentlich in vielen niedri-
gen Möbelstücken und einem über-
reichen Ausputz mit Nippes und
korra u Drua bestanden. Seitdem
nun der englische Stil auch für
die Herstellung des einzelnen
Möbelstücks als mustergültig er-
klärt wurde, kann man sicher
sein, daß unsere Stilwuth im
„englischen Geschmack" Unglaub-
liches leisten wird.

Prost Lessing hat s. Z. (Bkt.
t8st2) im Berliner Kunstgewerbe-
verein die Vorzüge des englischen
Möbels und speziell der Lhixpem
dale-Mnster auseinander gesetzt.

Er betonte einerseits ihre Zweck-
dienlichkeit im bequemen Ge-
brauch, weil ihre Formen sich
den Körxerformen anxassen und
die innere Bedeutung, den Zweck
des Möbels zum Ausdruck brin-
gen, andrerseits ihre Schönheit,
die, in Zimmermannstechnik ar-
beitend, demWesen desMaterials
mehr entspricht, als die Renais-
sanceform, die immer eine Verge-
waltigung architektonischer For-
men darstellt. — Gerade diese
wesentlichen Vorzüge der nun-
mehr modernen englischen Mode
sollten die Grundlage zu weiser
Mäßigung i,, der Anwendung
des englischen Geschmacks bilden.

Es ist sohr wichtig, daß wir

Abbildung Nr. SSI. Nvlrolrv-WtMDsrhirm mit Scidenmalerei.

entworfen und -msgesiihrt von Pedro Mull,.

endlich einmal eine Form gefunden haben, die dem innersten und höchsten Gesetz
des Kunstgewerbes entspricht. Wir haben setzt die Grundlage zu einem Gebrauchs-
möbel, bei dem Zweck und Form in eins verschmelzen. Käufer und Verkäufer,
Wohnungsinhaber und Möbelfabrikanten haben ein gleich großes Interesse daran,
zu verhindern, daß diese gesunde Neuerung durch blinde Stilwuth wieder unbrauchbar
gemacht werde. Die englische Wohnungseinrichtung ist viel zu sehr ein Lrgebniß
von Landessittc und Landesart, als daß sie unbesehen und unverändert von Deutsch-
land und den Deutschen übernommen werden könnte.

Da ist zunächst die Bezeichnung - rooiir. Man pflegt in deutschen

Wörterbüchern und Sprachlehrbriefen den Ausdruck mit Wohnzimmer zu verdeutschen.
Die eigentliche Bedeutung des Mortes hängt mit tc> vcitlaclru^v, sich zurückziehen,
zusammen. Es ist der Raum, in den sich der Hausherr mit seiner Familie zurück-
zuziehen beliebt, wenn nach der Abendmahlzeit seine Hörigen um das Feuer in der
Halle sich versammeln. Mit dem deutschen Wohnzimmer verbindet sich für den

Durchschnitts-Deutschen der Begriff: Arbeitsstätte der Frau. Dagegen ist das
ctruwin^-roorn lediglich Erholungsstätte. So kann also die ckiLvoinZ-roorn-
Linrichtung unumschränkt nur in den Empfangssaal der deutschen Dame übernommen
werden. Die deutsche Frau, die nicht über einen besonderen Lmpfangssaal verfügt,
muß, wenn sie ein trautes Heim haben will, auf die englische Einrichtung ver-
zichten. ^ie würde sonst von vorn herein in die Ausstattung ihres Zimmers einen
Zwiespalt hineintragen. Die äußere Einrichtung des Raumes würde seiner inneren
Bedeutung nicht entsprechen. Line Nähmaschine — sie ist ja nirgends ein schönes
Stück Möbel — würde in einem Zimmer englischen Stils immer einen krassen

! Widerspruch Hervorrufen. Line
deutsche Wohnstubeneinrichtung,
in der sie nicht stört, ist sehr
wohl denkbar. Die tüchtige Haus-
fran braucht aber nicht nur um
der Nähmaschine willen die vor-
nehme Dame zu beneiden. Auch
für diese finden wir noch ein
Härchen in der Suppe der stil-
vollen englischen Einrichtung,
wenn sich der englische Roman-
schreiber, oder, was häufiger vor-
kommt, die molluskenartige Back-
fischlitteratur jenes Landes ja
einmal mit einem Kinde Albions
beschäftigt, das unter diese Hab-
gierigen Deutschen verschlagen
wird, so pflegt der Held der Er-
zählung beim Eintritt in einen
deutschen wohnraum init allen
Merkmalen des Staunens und
Grauens ausgestattet zu werden.
Als Grund dieser Gemüths-
rührungen pflegt sich unser ehr-
licher deutscher Ofen zu ent-
puppen. Wir haben ihn nun ein-
mal, diesen geschmähten Schmor-
apparat, der sich freilich an
malerischer Wirkung nicht mit
dem Hellen Kaminfeuer messen
kann. Wenn alle Gerüchte, die
auf unserem hochzivilisirten Erd-
ball über das Kalben der Gletscher
und sonstige Merkmale der all-
mäblichen Vereisung von oben
nach unten umlaufen, ernst zu
nehmen sind, werden kommende
Geschlechter in Deutschland statt
eines Gfens zwei gebrauchen.
Daher ist einstweilen noch keine
Hoffnung vorhanden, daß die
Deutschen einmal ohne Vfen
würden bestehen können. Der
landläufige deutsche Vfen reicht
meistens vom Fußboden bis zur
Decke. In der Einrichtung des
Zimmers betont er immer eine Längstheilung der lvändfiäche und ein Hineintreten
des Gegenstandes in das Zimmer. Unsere großen schweren Möbelstücke, unsere
Schränke, Truhen, Pfcilerspiegel, Flügelthüren und sonstigen hochstrebenden wand-
theilungen stehen in innigem Zusammenhänge init unserem Ofen. Die englische
Einrichtung verlangt, daß der Kamin als Mittelpunkt des Zimmers karakterisirt
werde. Hierin befolgt man vielleicht unbewußt ein gegebenes Schönheitsgesetz. Der
Kaminsims bezeichnet die höchstliegende CZuerlinie in der ganzen Einrichtung, keins
der vorhandenen Möbelstücke erreicht seine Höhe. Jodes Möbel im Zimmer, sofern
es nicht Sessel oder Lager ist, gibt sich als Luxusgegenstand. Eine Kommode, ein
Schrank im äiudrrZ-rooni ist undenkbar. Allenfalls finden wir ein Klavier vor.
Im klebrigen ist Alles zur Aufnahme von Nippes berechnet. Niedrige Glasschränke
beherbergen feines Porzellan. Selbst das Gelgemälde mit seinen schweren Gold-
rahmcn gehört nicht ins ctru^vinZ-iooiii. Heitere Aquarelle, die das Aufhängen
mit Schleifen zwischen Porzellan n. dgl. vertragen, schmücken die Wände. (Schluß s. rs.)
 
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