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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 4.1893

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Schliepmann, Hans: Von der Welt-Ausstellung in Chicago, [3]
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Ueber kunstgewerbliche Schul- und Privat-Ateliers
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https://doi.org/10.11588/diglit.11380#0275

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Gktober-kseft.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekorati'on.

5eite s5<).

aufgebaut worden. — Dagegen hat Deutschland im deutschen Hause wie in der
Industriehalle ganz Außerordentliches geleistet, ja, seine Kunst erstreckt sich bis in
den großen Volksbelustigungsanhängsel der Ausstellung, die „Midway-plaisance",
wo der Architekt des deutschen Dorfes, Karl Hoffacker, in seiner prächtigen
„Pfalz" eine Reihe reizender, behaglicher Kneipzimmer mit einfachsten Mitteln
geschaffen hat.

Im deutschen Hause, das ziemlich allgemein für die Krone aller Staats-
Repräsentationsgebäude gehalten wird, so daß man sogar die Erhaltung des fantasie-
reichen Merkes von Regierungs-Baumeister Radke plant, ist allein eine solche
Fülle von Reizen, daß es den mir zngemessenen Raum weit überschreiten würde,
wollte ich auch nur die Hauptzüge beschreiben. Doch werden einige Andeutungen
um so eher genügen, als die verwendeten Motive uns Deutschen nicht fremd sind,
so daß nicht sowohl Neues, als eben nur vorzüglich Ausgewähltes vorhanden ist.
Dies ist besonders bei dem schier überreich ausgestatteten Prunkzimmer des
Reichskommissärs der Fall; die kostbar geschnitzte Holzdecke, der reiche Majolika-
kamin, die gemalten Fenster, die schweren Teppiche, die gediegenen Spätrenaissance-
möbel in prächtiger Schnitzerei — jeder Nagel, möchte man fast sagen, ist von
vorzüglichster Form und Arbeit. Dennoch möchte ich hinsichtlich der (Originalität
fast den beiden großen Ausstellungssälen mit ihren sichtbaren Holzdecken über
Doppel-Hängekonstruktion und ihren seitlichen Holzgallerien den Vorzug geben. In
der Behandlung des Holzes durch einfachste Schnitzarbeit und farbige Bemalung
ist hier ganz Hervorragendes geleistet. Line besonders gelungene Holzdecke befindet
sich außerdem noch über dem allerliebsten kleinen Trcppenhause. Sie ist ganz stach
kassettirt und mit großen Blumen bemalt, welche in ihren Motiven der bäuerlichen
Kunst entlehnt, aber in geschicktester weise zu zarterer Wirkung umstilisirt sind.

Im „Industriegebäude" haben sich norddeutsche und süddeutsche Kunst
ziemlich scharf getrennt. Die erstere hat eine Reihe kleiner Kojen ausgestellt, und
zwar in der Mehrzahl mit denselben Möbeln und in derselben, nur etwas zusammen-
gedrängteren Dekoration wie auf der letzten Berliner Möbelausstellung. Ich kann
daher lediglich auf meine damaligen Berichte Bezug nehmen. — lLortfetzg. folgt.)

Uebev kunstgewerblichs Schul- und Privat-Ateliers

schreibt unser verehrter Mitarbeiter Friedrich Fischbach im „Kunstgewerbe":
„Kann und soll die vorzüglichste Ausstattung der Kunstgewerbeschulen mit Ateliers
genügen, um die Ausbildung der reiferen Schüler in Privat-Ateliers zu ersetzen?
Sachverständige antworten mit Nein und zwar aus folgenden triftigen Gründen:
t) Es geht nicht an, für jeden Knust-Industriezweig die besten Zeichner als Lehrer
zu ernennen. 2) Die Beamtenthätigkeit erlaubt nicht die volle Freiheit, die oft im
Verkehr mit den Fabrikanten nothwendig ist (z. B. Konferenzen in entlegenen
Fabriken). 2) viele gut sitnirte Zeichner arbeiten lieber frei und ungebunden, als
daß sie sich Regulativen unterwerfen. -Y Selbst die besten Zeichner können ermatten
«der durch eine andere Richtung überholt werden. —

wir wollen gern zugeben, daß es einige Ateliers an Kunstgewerbeschulen
gibt, die in jeder Hinsicht zu loben sind, aber es sind „Ausnahmen", wir beobachten
ferner, daß solche Ausnahmen verhältnißmäßig mehr in Kleinstaaten zu finden
sind, da die Rücksichtnahme aus künstlerische Individualitäten in Großstaaten seltener
ist- I" letzteren herrscht der Paragraph oder die Diktatur Solcher, die keine Fach-
leute sind. Fassen wir die Gegensätze ins Auge, die wir in freien und in Schul-
Ateliers vorfinden. In freien Ateliers ist die Komposition brauchbarer, d. h. ver-
käuflicher Zeichnungen das Alpha und Gmega. Nebenzwecke, daß der Lehrling
zugleich eine allgemeine Ausbildung erhält, gibt es nicht. Dafür ist die Schule
da, für welche Zwei halbe Tage in der Woche und ferner die Sonntage und Abend-
stunden ausgenutzt werden können. Nach der Fähigkeit erhält der Lehrling die
einfacheren und später die schwierigeren Aufgaben. So rückt er technisch und
artistisch Stufe für Stufe aufwärts, bis er Gehülfe und im besten Falle selbst
Meister wird. Letzterer Lasus ist freilich der seltenere, und das ist auch kein Uebel,
denn ein richtiges Atelier besteht aus einem Meister und zahlreichen Gehülfen.
Der Verkehr mit den Fabrikanten, das Suchen neuer Motive, das verfolgen der
neuen Richtungen der Konkurrenz usw. verlangt eine ähnliche Arbeitseintheilung,
wie sic z. B. ein Rechtsanwalt in seinem Bureau hat. wie eng müßte er seine

Sphäre einschränken, müßte er seine Akten selbst schreiben und extra an einer Schule
täglich Unterricht geben. Noch weniger würde es behagen, wenn ein Vorgesetzter
sein Bureau zeitweilig inspizirte und jährlich die Resultate veröffentlicht würden.
Zugegeben, daß das Beispiel etwas hinkt, und daß wohlwollende Vorgesetzte jede
Unannehmlichkeit dem Künstler vermeiden, und sein wirken ehren und unterstützen,
so sind doch auch Fälle nicht nur denkbar, sondern konstatirt, in denen Unverstand
und Unduldsamkeit die Zügel führen. Ie höher ein Künstler sich und sein wirken
achtet, um so mehr wird er in solchen Fällen den amtlichen Brodkorb verschmähen,
um ein freier Mann zu bleiben. Die Erfahrung lehrt uns, daß die Bureaukratie
nur dann die fachlichen Autoritäten respektirt, wenn sie sich durch Angriffe schädigen
würde. So sind es also nur die Männer der Wissenschaft an Universitäten und
berühmte Maler an Akademien, welche frei schaffen dürfen und doch zugleich Beamte
sind. Daß im Kunstgewerbe dieses Ideal überall verwirklicht wird, glaubt der
größte Optimist nicht, denn es ist lediglich ein glücklicher Zufall, wenn der höchste
Vorgesetzte fachliches verständniß mit kollegialischer Gesinnung vereinigt.

Line Schattenseite der Atelier-Ausbildung soll die Einseitigkeit sein, denn sie
erreicht nicht die Universalität einer großen Kunstgewerbeschule. Bei dieser Be-
leuchtung ist zu betonen, daß Atelier und Atelier sehr verschieden sein können. Das
eine Atelier beschränkt sich auf wenige kleine technische Artikel, das andere umfaßt
große artistische Hauptgebiete. Nach seiner Begabung hat der Schüler freie Wahl.
Immerhin ist es besser für ihn, das Atelierzeichnen praktisch durchgemacht zu haben,
als nur vielerlei halb und halb zu verstehen. — Zu denken gibt, daß das, was
wir in Museen als mustergültig ausstellen, aus Ateliers stammt, denen keine Schule
zur Seite stand. Also — dürfen wir behaupten — ist die Schule keine absolute
Bedingung zur Blüthe des Kunstgewerbes, falls nur die Ateliers tüchtig sind. Die
Konzentration hat auch viel für sich, wer in allen Sätteln reiten will, sitzt selten
fest im Bügel. Die Schulen wollen wir jedoch nicht unterschätzen, denn sie sind die
Vorbereitung, nicht aber der Ersatz für die freien Ateliers.

Ein wichtiger Punkt ist auch die finanzielle Frage. Ohne große Honorare
geben Künstler ihre Freiheit nicht preis. Die ihnen eingeräumten Ateliers mit
Heizung und Beleuchtung kommen mit in Betracht. Das Alles kann der Staat
ersparen, wenn er das Kunstgewerbe in folgender weise fördert:

Haben die Schüler eine gewisse Stufe erreicht, so daß sie ein Spezialfach als
Beruf wählen, so erhalten sie das offizielle verzeichniß derjenigen Meister, die als
die tüchtigsten gelten, und es erhalten umgekehrt die Meister die Liste der tüchtigsten
Schüler, welche eine Stelle suchen. Indem nur nach Bedarf die Stellen besetzt
werden, wird die Aeberproduktion von später brodlosen Kräften vermieden. Die
Schüler erhalten je nach ihrer Mittellosigkeit Stipendien, so daß das ungesunde
System wegfällt, daß die Lehrherrn solche armen Lehrlinge jahrelang durch ein
Honorar unterstützen müssen. — Lin jährlicher Bericht über die Führung und Leistung
des Stipendiaten wäre das Einzige, was vom Lehrherrn amtlich gefordert würde.
Die Anerkennungen für gute Ausbildung der Lehrlinge und hervorragende Leistungen
des Ateliers sind ja in mannigfacher weise möglich.

In freier weise kann also Alles dem Staate dienen; es ist nicht nöthig, daß
der Staat die freien Ateliers verstaatlicht. Das ist jetzt nicht mehr am Platze, da
gute freie Ateliers in bester Konkurrenz mit den Schul-Ateliers stehen. Natürlich
wird man größere Städte bevorzugen, in denen die Lehrlinge Gelegenheit haben,
den Unterricht im Zeichnen nach der Natur, im Modclliren usw. in freien Stunden
zu genießen.

Ls ließe sich noch viel über die Uebelstände sagen, die sich aus Privilegien
ergeben. Große hervorragende Meister der Architektur unserer Zeit sind selten aus
akademischen Ateliers hervorgegangen. Ich erinnere nur an Männer wie Ober-
baurath Fr. von Schmidt, Semper. Theophil von Hansen hatte das hervorragendste
Privat-Atelier in Wien I^*tz^tlte hindurch, bis er durch den palastbau für den
Erzherzog Wilhelm innerhalb dreier Monate Professor der k. k. Bauakademie und
ferner (Oberbaurath und geadelt wurde. Es ist fast sprichwörtlich, daß jeder Künstler
um so weniger von Gottes Gnaden bleibt, je korrekter er Beamter wird.

Keine Handelsschule kann das kaufmännische Kontor ganz ersetzen! Die
Schulen seien also lediglich Vorbereitung und Ergänzung, nicht aber Ersatz für die
freien Ateliers!"
 
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