Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 4.1893
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https://doi.org/10.11588/diglit.11380#0285
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Luthmer, Ferdinand: Keramik
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^l'n ler^tii lwulAtNg vonsnofesoorI>)flVMUUN stSptZ heraASgegedcn voul'Ileranste
ZU beziehen nur durch den Buchhandel.
s)reis halbjährlich für Deutschland Mk. 8.—, für Vester-
reich-Ungarn und das gesammte Ausland Atk. 9.—.
Sämmtliche mit q- versehenen Illustrationen stehen unseren Abonnenten zur verwerthung frei.
HM- Die Zeitschrift ist verbreitet in alten Kultnrstaaten.
Nur Spezial-Hefte ssind einzeln a Mk. 2.— erhältlich.
Buchh.-Vertreter: Eduard Schmidt» Leipzig.
Insertions-Bedingungen am Schluß der Zeitschrift.
IV. Jahrgang.
Darmstadt 1893.
Wovemder-H
M.
straunk. -
Professor Luthiner.
7(Aie Hand des Menschen wühlt sich hinab
d in den Schoß der Ukutter Erde. Aus
Schichten, welche jahrtausendelange Nacht, eine
anscheinend ewige Grabesruhe bedeckt hielt,
holt er herauf, was sein Wissen bereichern
soll — und siehe da, die Sonne bescheint ein
unansehnliches Stückchen rothen Thones —
eine Gefäßscherbe! Und der kleine Bruchtheil
einer von Menschenhand gebildeten Schale,
die ungefügen Verzierungen, die demselben cin-
geprägt sind, ist ihm der unfehlbare Verkünder
einer Kulturperiode, die unmeßbar weit vor
jenen Zeiten liegt, von denen Ueberlieferung
und Aufzeichnung sprechen. Wer weiß, viel-
leicht haben die Menschen jener Zeit, von
welcher die Topfscherbe erzählt, bereits ver-
standen, den Bast der Pflanze zu kunstvollen
Geweben zu verflechten — wohin ist der Staub
verweht, in den die Produkte des Webstuhls
längst zerfallen sind! Vielleicht haben sie aus
Gold und Silber köstliches Geschmeide zu
bilden gewußt — wohin hat die Habgier das
Edelmetall zerstreut! Nur das werthlose
Bruchstück gebrannten Thones hat der Zer-
störung durch Menschen- und Naturgewalten
widerstanden und gibt uns werthvollste Kunde
von einer Zeit, welcher der Gebrauch der
Töpferscheibe, die Anfänge der plastischen
Kunst nicht fremd waren. „Zwei Stoffe",
sagt der französische Forscher Brogniart, „reich
an Lehre für die Geschichte der Gesellschaft und für die der Erde,
können Tausende von Jahrhunderten hindurch sich erhalten und uns
die ersten Elemente der ältesten Geschichte der Menschheit und der Erde
lehren. Dies sind einestheils die Terrakotten und anderntheils die festen
Theile der Thiere und Pflanzen in ihrem fossilen Zustande. Außer
diesen beiden Zeugen der Vergangenheit ist Alles formlos und stumm."
Schon in diesem Sinne, als die einzigen wirklich unzerstörbaren Erzeug-
nisse menschlichen Kunstfleißes haben die Produkte der Keramik das
größte Interesse zu allen Zeiten beansprucht und gesunden: als ein
zusammenhängendes Anschauungsmaterial der Kulturgeschichte von den
urältesten Zeiten bis zum heutigen Tage. Dieser ihnen einzig zukom-
mende Werth vereinigt in unfern Sammlungen die Bruchstücke von
Graburnen, die Ziegel mit römischen Legionsstempeln, die Scherben von
mittelalterlichen Töpferformen neben den stolzen Gebilden der Robbia,
der palissy. Aber die kulturgeschichtliche Bedeutung der keramischen
Funde ist nur einer von den vielen Gründen, welche uns die Werke
der Töpserkunst werthvoll und interessant machen, wenn wir im volks-
wirthschastlichen Sinne eine jede kunstgewerbliche Arbeit als eine Ver-
edelung des Rohmaterials ansehen, so erfüllt keine diese Aufgabe in
vollkommnerer Weise als die Keramik. Kein Zweig des Kunstgewerbes
übt seine Thätigkeit an werthloserem Grundstoff. Die gemeine Erde,
als Verwitterungsprodukt von: Gebirge herabgeschwemmt und an dessen
Fuß in natürlich feingeschlämmtem Zustand abgelagert, ist der Rohstoff
der Keramik. Und wenn diese schmutzige Erde, die als formlose Last
an unserm Fuße hängen bleibt, sich in die kostbare Majolika-Vase ver-
wandelt, die das Gemach der Fürsten schmückt, so feiert die Kunst der
Menschenhand, die Erfindungsgabe des Menschengeistes einen ihrer
schönsten Triumphe. Diese völlige Werthlosigkeit des Rohmaterials
neben dessen allgemeinem Vorkommen ist auch der Grund, weshalb das
Gebiet gewerblicher und kunstgewerblicher Produktion, welches wir
unter dein Namen „Keramik" zusammenfassen, an Umfang von keinem
andern auch nur annähernd erreicht wird. Definiren wir nämlich das
Wort dahin, daß wir darunter alle Gebilde von Menschenhand ver-
^l'n ler^tii lwulAtNg vonsnofesoorI>)flVMUUN stSptZ heraASgegedcn voul'Ileranste
ZU beziehen nur durch den Buchhandel.
s)reis halbjährlich für Deutschland Mk. 8.—, für Vester-
reich-Ungarn und das gesammte Ausland Atk. 9.—.
Sämmtliche mit q- versehenen Illustrationen stehen unseren Abonnenten zur verwerthung frei.
HM- Die Zeitschrift ist verbreitet in alten Kultnrstaaten.
Nur Spezial-Hefte ssind einzeln a Mk. 2.— erhältlich.
Buchh.-Vertreter: Eduard Schmidt» Leipzig.
Insertions-Bedingungen am Schluß der Zeitschrift.
IV. Jahrgang.
Darmstadt 1893.
Wovemder-H
M.
straunk. -
Professor Luthiner.
7(Aie Hand des Menschen wühlt sich hinab
d in den Schoß der Ukutter Erde. Aus
Schichten, welche jahrtausendelange Nacht, eine
anscheinend ewige Grabesruhe bedeckt hielt,
holt er herauf, was sein Wissen bereichern
soll — und siehe da, die Sonne bescheint ein
unansehnliches Stückchen rothen Thones —
eine Gefäßscherbe! Und der kleine Bruchtheil
einer von Menschenhand gebildeten Schale,
die ungefügen Verzierungen, die demselben cin-
geprägt sind, ist ihm der unfehlbare Verkünder
einer Kulturperiode, die unmeßbar weit vor
jenen Zeiten liegt, von denen Ueberlieferung
und Aufzeichnung sprechen. Wer weiß, viel-
leicht haben die Menschen jener Zeit, von
welcher die Topfscherbe erzählt, bereits ver-
standen, den Bast der Pflanze zu kunstvollen
Geweben zu verflechten — wohin ist der Staub
verweht, in den die Produkte des Webstuhls
längst zerfallen sind! Vielleicht haben sie aus
Gold und Silber köstliches Geschmeide zu
bilden gewußt — wohin hat die Habgier das
Edelmetall zerstreut! Nur das werthlose
Bruchstück gebrannten Thones hat der Zer-
störung durch Menschen- und Naturgewalten
widerstanden und gibt uns werthvollste Kunde
von einer Zeit, welcher der Gebrauch der
Töpferscheibe, die Anfänge der plastischen
Kunst nicht fremd waren. „Zwei Stoffe",
sagt der französische Forscher Brogniart, „reich
an Lehre für die Geschichte der Gesellschaft und für die der Erde,
können Tausende von Jahrhunderten hindurch sich erhalten und uns
die ersten Elemente der ältesten Geschichte der Menschheit und der Erde
lehren. Dies sind einestheils die Terrakotten und anderntheils die festen
Theile der Thiere und Pflanzen in ihrem fossilen Zustande. Außer
diesen beiden Zeugen der Vergangenheit ist Alles formlos und stumm."
Schon in diesem Sinne, als die einzigen wirklich unzerstörbaren Erzeug-
nisse menschlichen Kunstfleißes haben die Produkte der Keramik das
größte Interesse zu allen Zeiten beansprucht und gesunden: als ein
zusammenhängendes Anschauungsmaterial der Kulturgeschichte von den
urältesten Zeiten bis zum heutigen Tage. Dieser ihnen einzig zukom-
mende Werth vereinigt in unfern Sammlungen die Bruchstücke von
Graburnen, die Ziegel mit römischen Legionsstempeln, die Scherben von
mittelalterlichen Töpferformen neben den stolzen Gebilden der Robbia,
der palissy. Aber die kulturgeschichtliche Bedeutung der keramischen
Funde ist nur einer von den vielen Gründen, welche uns die Werke
der Töpserkunst werthvoll und interessant machen, wenn wir im volks-
wirthschastlichen Sinne eine jede kunstgewerbliche Arbeit als eine Ver-
edelung des Rohmaterials ansehen, so erfüllt keine diese Aufgabe in
vollkommnerer Weise als die Keramik. Kein Zweig des Kunstgewerbes
übt seine Thätigkeit an werthloserem Grundstoff. Die gemeine Erde,
als Verwitterungsprodukt von: Gebirge herabgeschwemmt und an dessen
Fuß in natürlich feingeschlämmtem Zustand abgelagert, ist der Rohstoff
der Keramik. Und wenn diese schmutzige Erde, die als formlose Last
an unserm Fuße hängen bleibt, sich in die kostbare Majolika-Vase ver-
wandelt, die das Gemach der Fürsten schmückt, so feiert die Kunst der
Menschenhand, die Erfindungsgabe des Menschengeistes einen ihrer
schönsten Triumphe. Diese völlige Werthlosigkeit des Rohmaterials
neben dessen allgemeinem Vorkommen ist auch der Grund, weshalb das
Gebiet gewerblicher und kunstgewerblicher Produktion, welches wir
unter dein Namen „Keramik" zusammenfassen, an Umfang von keinem
andern auch nur annähernd erreicht wird. Definiren wir nämlich das
Wort dahin, daß wir darunter alle Gebilde von Menschenhand ver-