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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 4.1893

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Schliepmann, Hans: Kunstgewerbliche Berichte von der Welt-Ausstellung in Chicago, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11380#0185

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Zuli-Yeft.

Seite s08. Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

xnnstgelverdliche W!erichte

von dev Welt-Ausstellung itt Chicago.

von Hans Schliepnrann.

^ ^Hü^n'rines — Architektur.

ie Tagesblätter und illustrirten Zeitungen in der lieben Heimath sind
bei dem natürlichen Antheil an denr großen Iahrmarktsereigniß jen-
seits des Gceans ohne Zweifel bereits von Berichten über die Eröff-
nung und die ersten Eindrücke erfüllt. Aber einer Monatsschrift, deren Interessen
über den Tag hinausgehen, ist mit solchen ersten Eindrücken nicht groß gedient.
So habe ich denn ohne Gewissensbisse meinen ersten Bericht für die „Zeitschrift
für Innen-Dekoration" so lange aufge-
schoben, bis ich wenigstens die „aller-
ersten" Eindrücke verdaut hatte, bis ich
nach dem Linstürmen mächtiger neuer
Anregungen zu kritischer Sammlung und
Besonnenheit zurückgelangt.

Ich sagte absichtlich die „allerersten"

Eindrücke. Denn mehr wie erste Ein-
drücke vermag, wie unsere Leser wohl
schon erfahren haben, die Ausstellung
überhaupt noch nicht zu bieten. Noch
ist wenig mehr als das äußere Gerippe
— und auch dieses nicht einmal überall —
vorhanden, an das sich das Fleisch — die
Ausstellungsgegenstände - erst anschließen
sollen, so daß gerade von dem, was un-
sere Leser in erster Linie interessirt, von
Kunstgewerbe und Innen-Dekora-
tion so gut wie nichts zu sehen ist. Und
über so fast völlig Unfertiges zu berichten,
entspricht weder meinen Neigungen, noch
meiner Gewissenhaftigkeit gegen unsere
Leser, denen ich gern mehr als das üb-
liche Weltausstellungsbummlergeplauder
bieten möchte. Ich könnte daher eigent-
lich meinen ersten Brief ganz kurz mit
einem erou xvLsrrrnus und der Ver-
tröstung schließen, daß in vier Wochen
mehr zu sagen sein dürfte, wenn ich nicht
glaubte, daß schließlich doch auch noch
ein Wort über die große Architektur
in unserer Zeitschrift am Platze wäre.

Denn mehr als man gewöhnlich glaubt,
und namentlich mehr als bei einer Welt-
ausstellung zu Tage tritt, wo tausendfache
verschiedenartigste Dinge gewaltsam in
einen großen Architekturrahmen hinein-
gezwängt werden, bedeutet die Außen-
architektur für die Uleinkunst.

Man kann und soll allerdings dem
Vorurtheile nachdrücklichst entgegentreten,
daß die Architektur auch unsere Klcin-
kunst regeln solle, wie dies zum Schaden
unseres Uunstgewerbes durch Jahrzehnte
hindurch der Fall gewesen (ich erinnere
nur an unsere Säulen- und Giebelbüffets
usw.); aber eine einheitliche Richtung
müssen doch beide in ihrem Schaffen
haben, einerseits in Bezug auf siuuge-
mäße Verwendung von Technik und Ma-
terial, andererseits in Bezug auf Ein-
heitlichkeit des Geschmackes. Ls wäre
ungesunde Geschraubtheit, in der Archi-
tektur zu den klarverständigen Formen
der Antike und im Aunstgewerbe zu den
wollüstig fantastischen des Spätbarocks
und Rokoko schwören zu wollen. Lin
Volk, das innerhalb seines Kunstschaffens
intensiv künstlerisch fühlt, kann nicht gleichzeitig in plastischer Ruhe und in
wildem Rausche schaffen. Und es ist mit ziemlicher Sicherheit vorausznsagen, daß
jede Schaffensepoche, die in der Architektur tektonisch verlogen verfährt, d. h. Schein-
konstruktionen ausführt und dem Material Gewalt anthut, auch im Aunstgewerbe
künstlerisch wie materiell nichts Besseres als Talmiwaare Hervorbringen wird.

Nichts liegt nun gerade bei einer Weltausstellung näher, als die Verführung
zu einer Scheinkunst. Die Forderung, mit möglichst geringen Mitteln in möglichst
kurzer Zeit und nur für eines Sommers-Dauer Baulichkeiten von möglichst groß-
artigem Gepräge hinzustellen, ist geradezu ein Zwang, zur Surrogatarbeit zu greifen,
sich am schönen Schein genügen zu lassen.

Mehr als bisher ist dieses nun bei der „Ehicagoer Ausstellung" geschehen.
Es werden wahrscheinlich alle Berichte darüber einig sein, daß der schöne Schein
mehr als auf jeder früheren Ausstellung erreicht worden ist. Erst dem eingehender

Prüfenden zeigen sich allmählich die Ungelöstheiten in manchen Einzelheiten; jeder
Unbefangene aber muß anerkennen, daß der Anblick des forumartigen Platzes, um
den sich die unseren Lesern aus Abbildungen ja längst bekannten Hauptgebäude
grnpxiren, bei der Größe des Maßstabes, der Mannigfaltigkeit der Einzelheiten
und dem köstlichen Rhythmus der Verhältnisse geradezu überwältigend ist.

Aber der Moment bleibt für den kritischer Angelegten nicht aus, in welchem
diese ganze antike Herrlichkeit als eine Theaterwelt erscheint, als eine riesige De-
koration, vor deren Rückseite man sich hüten muß — als eine Scheinwelt des Gipses
und des Holzes. — Ich weiß sehr wohl, daß dies kaum anders sein kann; aber
doch nur „kaum"! Man wird es nicht streng verurtheilen können, wenn alle jene
zahllosen Nebenbaulichkeiten einer Weltausstellung, die mehr dem Vergnügen oder
sozusagen als flüchtige Illustration irgend einer Thatsache dienen sollen, in Surrogat-

bauweise in die Höhe getrieben werden.
Monumentaler Ernst wird hier weder
erfordert noch erstrebt. Es handelt sich
wirklich nur um Schaustücke eines viel-
leicht etwas ernster als sonst zu nehmen-
den Jahrmarktes. Anders aber liegt die
Sache, meine ich, bei den Hauptgebäuden,
in denen sich wirklich ein großer, ehrlicher,
friedlicher Wettkampf der Völker absxielt
— oder abspielen sollte. Hier ist Nonu-
Mentalität erforderlich. Sie ist ja nun
scheinbar in ausgiebigstem Maße erreicht.
Aber sie scheint mir etwas zu — billig
erreicht. Es ist schließlich kein so großes
Kunststück, vor große, viereckige Kästen
irgend welche Architektursysteme edelsten,
antiken Stiles anzugipsen Das wirkliche
Kunststück hat der Ingenieur erreicht in
der ungeheuren Manufakturhalle, deren
Abmessungen erst dadurch als riesenhafteste
wirken, daß man das Auge an der treff-
lichen Linie der Trägerbögen bis zu deren
Fußgelenken herabführt und hier die un-
geheuren Abmessungen der Details be-
staunt, und in der Maschinenhalle mit
ihren drei luftigen, in der Mitte durch
Flachkuppeln unterbrochenen Schiffen. Es
ist ein gewisses Hinabsinken von der Höhe
solcher Nonumentalauffassung, wenn an
derartige Werke nun der Architekt heran-
tritt und ein plunderiges Holzgerüst mit
trügerischem Gips umkleidet, damit er
den Schein erwecke, zu Glas und Eisen
sei nun auch noch der Marmor hinzu-
gekommen. — Nach dieser Richtung waren
die Baulichkeiten der letzten Pariser Aus-
stellung werthvoller, werthvoller nament-
lich in Bezug auf die Herausbildung einer
sinngemäßen Ausgestaltung der Konstruk-
tion auf die Schaffung eines Eisen-Glas-
stiles, eines Eisenfachwerkbaues mit Terra-
kotten. Dem nicht technisch gebildeten
Auge wird freilich die „weiße Stadt" am
Michigansee, diese Wiedererweckung der
Kunst der Alexander und. Angustus und
Trajan und Hadrian am herrlichen Ufer
eines Süßwassermeeres, „besser eingehen";
für die Architekturentwickelung besitzt
ste wenig mehr Werth als den eines
archaisirenden Experimentes.

Nur ein einziges Gebäude ameri-
kanischer Erfindung hat sich in ganz be-
wußten Gegensatz hierzu gestellt: die
TransportmittelhaUe. Ihr Architekt hat
es verschmäht, den Gips als Marmor
wirken lassen zu wollen. Er wußte, daß
es nur ein Mittel gab, einem Surrogat-
bau ästhetisch werthvolle Erscheinung zu
geben: die Farbe im Vereine mit Flächenwirkung. Leider aber sind mit dieser Ein-
sicht seine Verdienste so ziemlich erschöpft. Der Totaleindrnck ist ein ganz barbarischer
und abstruser, nicht sowohl durch die Vermischung romanischer, persischer, russischer,
indischer und byzantinischer Motive als hauptsächlich durch die Grundfarbe von
geronnenem Blute, dann aber auch durch die plumpen Verhältnisse, die selbst durch
vielfach sehr originelle, aber allzusehr an englische Tischkarten erinnernde Ornamente
nicht verbessert werden konnten.

Mit höchster Befriedigung darf es uns unter diesen Umständen erfüllen, daß
unser „Deutsches Haus", in klarer Erkenntniß der angedeuteten ästhetischen Forde-
rungen erfunden, als ein ausgezeichnetes Meisterwerk ganz einzig unter allen übrigen
Ausstcllungsbauten dasteht. Das ist kein Chauvinismus, sondern wird bereits von
der amerikanischen einsichtigen Presse — die einem, nebenbei bemerkt, bedeutende
Hochachtung abnöthigt — allgemein anerkannt. Wohl hat unser vortrefflicher

Abbildg. Nr. 6(0. Niederdeutsches Prunlr-Zimrner (Kamin-Ecke).

Lntw. und ausgeführ, für die Lhicagoer Well-Ansstellung v. d. Möbelfabrik tz. Sauermann, filensburg.
 
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