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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 4.1893

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Dankwardt, L.: Der Hausrath und seine Verzierung: Plauderei
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5eite fi-7.

März-^eft.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

musrath und seinh Werzierwlg.

Plauderei von L. Dankwardt.

I^ie Verleumder des Menschen haben behauptet, er unterscheide sich von seinen
bepelzten, gefiederten und beschuppten Mitgeschöpfen, überhaupt von allen
Aaturwesen hauptsächlich dadurch, daß allein er im Stande sei, die Gesetze seiner
Szenen Natur zu verletzen. Ls ist nicht schön, zu den verläumdern zu gehören
iiud ich beabsichtige nicht, ihr hartes Urtheil zu unterschreiben. Doch gibt es einen
Dunkt in den Gewohnheiten der gebildeten Menschheit, der in der That mit seiner
Statur im Widerspruch steht: die Liebe zur Unbequemlichkeit, von einer solchen
^uß man schon reden, wenn man sieht, mit welcher rührenden Geduld eine Un-
summe von Plagen und Plackereien im täglichen Leben aus bloßer Gewohnheit
Ertragen wird. Line Runde durch ein Wohnzimmer genügt, um auf ein halbes
Nutzend und mehr solcher Unbequemlichkeiten zu stoßen, die nur aus Gedanken-
losigkeit hingenommen wer-
öen. Da muß ich z. B. täg-
Uch eine Lampe gebrauchen.

ist „icht En, käuflich er-
worbenes Ligenthum, darum
scheue ich mich nicht, sie zu
schmähen. Sie stellt ein ele-
gantes Stück Hausgeräth
*wr. Dem Zeichner des Ent-
wurfes zu dem Gestell aus
^uchgeahmtem llurvre poli
hat zunächst die Form eirer
Äriechischen Vase vorge-
schwebt. Nebenbei muß er
an Salamander, Molche und
Drachen gedacht haben. Da-
rüber ist die Gestalt der Vase
wißrathen und die zierlichen
Eidechsen, die sie schmücken
sollen, haben eine verzweifelte
Aehnlichkeit mit den schwar-
ZEN Lurchen in feuchten Kel-
lern bekommen. Das Alles
hat zunächst mit der Be-
guemlichkeit nichts zu thun.

Aber die Lampe muß ge-
tragen werden. Dazu ist sie
Mit Henkeln zu beiden Seiten
versehen. Um diese winden
sich langgestreckte Schupxen-
thiere mit gespaltenen Fisch-
fchwänzen und gähnenden
2chlangenrachen. Das sta-
chelige Rückgrat windet sich
M unerklärlichen Verschling-
ungen. Wo man nur den
Finger anlegt, empfindet man
Einen schmerzhaften Druck.

Aeberdies entspricht dieStärke
^Er Henkel dem Gewicht der
Dase nicht. Sie wackeln hin
Und hex. Immerhin wäre
rch nicht berechtigt, die Lampe
Unter die kleinen Plagen des
täglichen Lebens zu rechnen,
wenn sie, wie jede andere,

<Un Fuß gefaßt werden könnte.

^swr hat aber der Künstler
Einen spitzigen Nagclkranz
a»bri„gen lassen. Zeder

^agel hat einen scharfen Kopf, der recht merklich in den umfassenden Finger hinein-
riickt. Zeder Transport der Lampe wird zu einer Angstfahrt. Ls ist eine offene
Frage, ob nian den Druck an den Fingern aushält, bis das Ziel erreicht wird.
Eibt es aber einmel einen Unfall, so tadelt man die Ungeschicklichkeit des Trägers,
uicht die Gedankenlosigkeit des Käufers.

Meinen Thee erhalte ich abwechselnd in zwei verschiedenen Rannen. Nr. l
Urnne ich in der Erinnerung an ein ähnliches Geräth in meiner Kinderstube „die
Uladam". Dieser Ausdruck aus der Kindersprache bezeichnet das ganze Wesen
Es Dinges besser als jede Beschreibung. Zch habe eine gewisse Vorliebe für die
icke, eben weil sie an meine Kindheit erinnert. Zn einem Punkte ist ihr aber
' 'E Konkurrentin, die kleine blauweiße Lhinesin, doch über. Die Dicke hat einen
^ Enkel. Er wird zwar von ihrem Znhalt nicht erhitzt. Doch ist er so angebracht,
beim Linschenken die obere Seite der Finger die heiße Kanne berühren muß.
° wird das Linschenken mit der dicken Nladam zu einer kleinen Lebensplage.

jedesmal froh sein, wenn man unverbrannt davon kommt. Die kleine
lmesin mit ihrem schräg abstehenden trichterförmigen Stiel ist viel ungefährlicher,
ber'" ko, ^uß ENE empfindliche Dberseite der Finger die heiße Kanne nicht

Abbildung Nr. 5-ru- Knüpf-Teppich fütz einen Salon. Lntw. v. Lug. Zäck.

Kein Kunsttischler kann einen haltbaren Grund angeben, weshalb Schrank-
thüren und Schubladen mit Schlüsseln geöffnet werden müssen. Sie sollten wie
Zimmerthüren mit Drückern oder Griffen zum Ziehen versehen werden. Die ge-
bildete Menschheit scheint nicht daran zu denken, daß sie solche Bequemlichkeiten
verlangen kann. Der Verkäufer würde sehr verdutzt drein schauen, wenn wir
abgerundete Ecken, gebogene Kanten verlangten, wo er uns scharfe bietet. Ebenso
sehr wird es ihn wundern, wenn wir einen Handtuchhalter aus Stäbchen nicht
kaufen wollen. Er sollte aus stachen Leisten bestehen, die fest an der Wand an-
liegcn. Die gedrechselten Stäbchen reiben sich gegen die Wandstäche. Sie sind nicht
gleichmäßig gestützt und muthen den kleinen Metallösen, an denen der Halter hängt,
zu viel zu. So entwickelt sich alle zwei bis drei Tage das Schauspiel des schief
auf einem Nagel baumelnden Handtuchhalters. Die tüchtige Hausfrau tadelt das
Zimmermädchen oder den Znhaber des Raumes wegen Ungeschicklichkeit. Daß sie
beim Einkauf über die Brauchbarkeit des Gegenstandes hätte Nachdenken sollen,
fällt ihr nicht ein. — Das Tischchen mit dem werthvollen Porzellan, das umstürzt,

stand auf den zierlichen Füßen
nicht so, daß die ganze Fläche
gestützt war. Als es erwor-
ben wurde, dachte Niemand
an die vielen Zufälle des
nüchternen Alltagslebens.

Es ist Sache des Ver-
fertigers, bei der Herstellung
des Gegenstandes Rücksicht
auf die Bedürfnisse des Le-
bens zu nehmen. Er sieht
sich aber einer kauflustigen
Menge gegenüber, die stets
Neues von ihm fordert. Die
Weltweisen haben von Alters
her die Gewohnheit, diese
Lust zum Wechsel und zur
Veränderung, die Liebe zum
Neuen, Andersgestalteten,
scharf zu tadeln. Sie reden
von der Thorheit der Menge,
von müßiger Schaulust und
albernem Gaffen, von Mode-
teufeln und Verschwendungs-
sucht. — Unsere Zeit, die
tiefer eindringt in das Wesen
der Natur, erkennt in diesem
Zuge zum Neuen nur die
Verwandtschaft der inneren
Anlagen des Menschen mit
dem innersten Wesen der
Natur. Noch nie, sagen wir,
hat die Natur zwei Wesen
einer Gattung vollkommen
gleich gestaltet. Kein einziger
Lindenbaum hat unter seinen
vielen Blättern zwei, die sich
vollkommen bis auf jede
Spitze, Ader und Zelle gleich
wären. Zedes Thier einer
Gattung besitzt seine eigene
Zndividualität. Zeder todte
Stein hat sein eigenes Ge-
äder. Warum sollte der
Mensch zum steten Gebrauch
derselben eintönigen Formen
gezwungen sein? Als Glied
der Natur hat er das Recht
auf neue Formen und Gestal-
tungen. — Eins aber steht
fest. Die Natur bildet niemals eine Form, die dem Zweck hinderlich wäre, sie
leiht niemals eine Gestalt, die das Wesen verändert. Das Einzelwesen, ob organisch
oder unorganisch, bleibt, so sehr es sich von anderen Wesen seiner Gattung unter-
scheidet, immer als Glied seiner Gattung kenntlich. Der Mensch hingegen schafft
sich Geräthe, die ein verkennen dieser tiefen Weisheit der Natur bedeute». Ein
Papiermesser muß aussehen wie ein Schläger, ein Thermometer wie ein Dolch, ein
Geldbeutel wie ein Handschuh usw. Bei Ziergegenständen mag man die Spielerei
allenfalls dulden. Zm Gebrauch des täglichen Lebens führt aber der gedankenlose
Hang zur Spielart in Widerstreit mit anderen Naturgesetzen.

' Die menschliche Wohnung ist die Erholung-- und Ruhestätte des Mannes.
Sie ist Schauplatz der Thätigkcit der Fra». Erholung und Ruhe soll sie hier mit
ihm theilen und für ihn bereit halten. Das erste und oberste Gesetz des Hauses
ist daher die „Bequemlichkeit". Es ist unmöglich, Behagen zu schaffen, wo keine
Bequemlichkeit vorhanden ist. Das Gesetz der Bequemlichkeit schafft das richtige
Gegengewicht gegen Uebergrisfe des Hanges zur Spielart.

Die oben aufgezählten kleinen Plagen des Alltagslebens dienen nur als Bei-
spiele von tausenderlei Gedankenlosigkeiten, die als etwas Selbstverständliches im
Leben hingenommen werden. Manche tüchtige Hausfrau ist noch stolz ans die
 
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