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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 4.1893

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Faulwasser, Julius: Neuere Hamburger Küchen- Einrichtungen und -Anlagen
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Statsmann, Karl: Was bedeutet eine Volkskunst, insbesondere für den Schmuck unseres Heims?, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11380#0258

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Seite tZ6.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

Oktober-Heft.

den Anstrich ausgesprochener Eleganz. Als weitere feste Einrichtungs-
gegenstände sind zu nennen: der sogenannte Handstein, ein Ausgußbecken
mit Sielanschluß und Wasserzuleitung, die Hakenleiste oberhalb der
Wandplatten, die Geschirrbörter und die Hakenleiste für Wäscheleinen
nahe unter der Decke. Aut welcher Liebe die Hausfrau auf die weitere
Auszierung ihrer Rüche bedacht ist, zeigt unser Bild in allen Einrich-
tungsstücken und wir wollen in dieser Beziehung speziell nur aus Borden-
dekors der Börter für den
in der Regel bedruckte und
ausgestanzte Wachslein-
wand beliebt ist, und auf
alle die verschiedenartigen
Löffel Hinweisen, deren
jeder eine Schleife erhält,
sobald er nach dem Ge-
brauch wieder gereinigt ist.

Die Art der ganzen
Einrichtung befördert über-
haupt von vornherein die
Möglichkeit absolutester
Reinlichkeit auf's Aeußerste
und dieses Prinzip ist es
auch, durch das die weiteren
Vervollkommnungen der
Rüchen bei wachsendem
Miethpreis der Wohnun-
gen beherrscht und be-
stimmt werden. Zm Uebri-
gen richten sich dieselben
nach den Umständen, die
die Oertlichkeit gerade zu-
läßt. Entweder fügt inan,
was äußerst beliebt ist, vor einem Fenster einen Balkon hinzu, oder die
Rüche erhält an einer Seite doppelte wände, zwischen deren einzelnen
Abtheilungen in jedem Geschoß ein anderer Schacht ausmündet, mittelst
dessen der Rüche trumpfartig von den Bodenräumen her durch selbst-
thätiges Nachrutschen die Rohlen zugeführt werden, oder es befindet
sich seitlich an den Rüchenbalkons ein Schacht, durch den Asche und
Abfälle unmittelbar nach einem Sammelkasten im Reller geschüttet

werden können. Ferner wählt man oft auch für die Fensterbänke
Marmorplatten und richtet unterhalb derselben ausgekachelte Speise-
schränke mit Ventilation nach außen ein. Die Speisekammern werden
geräumiger und neben einer solchen für die Röchin tritt ein besonderer
verschließbarer Raum für die Hausfrau hinzu. Nähert inan sich endlich
dem Miethpreise von 3000 Mark, so findet sich auch bereits eine Neben-
treppc als besonderer Dienstausgang für die Wohnungen und das feste

Znventar der Rüche be-
reichert sich um den, wenn
auch oft nur mit zwei
wasch-Abtheilungen und
oberem Lackbort versehenen
festen Aufwaschtisch mit
Sielanschluß und mit kalter
und warmer Wasserzulei-
tung, die dann gleichzeitig
auch nach dem Handstein
geführt zu werden pflegt.
Eine derartige unter Ver-
fügung über nur einen ein-
zigen Raum reich und ori-
ginell ausgestattete Rüche
zeigt unsere Abbildung
Nr. 66fl. Oberhalb der
etwa s,2 irr hohen Wand-
plattenbekleidung sehen wir
hier eine ebenso hohe Holz-
täfelung in geschickterweise
den verschiedensten Zwecken
dienstbar gemacht. Darüber
befindet sich ein ringsum
laufender Geschirrbort,
während endlich der verbleibende Theil der wände mit dekorativen
Malereien bedeckt ist, in denen der Rarakter des Rauines und seine
Benutzung zum Ausdruck kommt. Das Mobiliar läßt erkennen, wie
auch hierin, ohne daß man mit Salonmöbeln in Ronkurrenz zu treten
braucht, eine reichere Ausbildung angestrebt werden kann, die den
Aufenthalt in solcher Rüche gelegentlich auch für die Hausfrau selbst
zur Freude macht, und deren Erhaltung jedenfalls namhaft dazu bei-

"Abbildung Nr. S55. Küche, in einem Hamburger Hause. Original-Aufnahme.

as bedeutet eine WolkskuM,

insbesondere fnr den Scbrnuck unseres Keines?
t?cm Aarl Statsmann, Architekt.

s gibt Leute, welche das Gruseln kriegen, wen» sie das Wort
„Volkskunst" — ja wenn sie nur das Wort „Volk hören.
Sie denken dabei wahrscheinlich gleich an eine Revolution,
eine Umwälzung alles Bestehenden, eine neue Welt- und Gesellschafts-
ordnung, in welcher das Volk — unter welchem sie die „große Masse"
verstehen — oben am Tische sitzt, zuschneidet, gibt und dirigirt, wäh-
rend die sog. Gebildeten und „die oberen 3000" am Ratzentischle sitzen
müssen und das Zusehen und Abwarten haben. Zn der Runst selbst
befürchten sie eine Art Reaktion derart, daß man allüberall auf pein-
lichste Sparsamkeit, Gede und Langeweile hinausgeht und sich des
armseligsten, billigsten Schmuckes bedient, wie ihn bloß der arme Mann
sich leistet. Bei dieser Anarchie würde man, so wähnen sie, zugleich
alles Vergangene in der Runst verachten und letztere selbst ginge zu
Grunde, weil sie, eingeengt, vernüchtert, verhungert, der nothwendigen
Freiheit entbehrte. Rünstler befürchten, große Aufträge mangelten da,
der große Flug ihrer Fantasie würde gelähmt, mit der Unterdrückung
alles Luxus, mit der Gleichheit menschlicher Ansprüche, mit der Schmä-
lerung der Rapitalanhäufungen, würde die Runst betteln gehen müssen
und schließlich eines armseligen Todes sterben.

Bangemachen gilt nicht! Die Runst läßt sich niemals tyrannisiren
und gewaltsam zum Sklaven machen. Frei will sie sein, einen: Jeden
einen offenen Tempel gewähren. Sie ist die Formensprache des mensch-
lichen Herzens. Und so lange noch ein solches schlägt, haben wir auch
eine Runst und sei sie noch so bescheiden! Ze nach dem Wesen dieses

Herzens äußerte sich zu allen Zeiten und allerorts die Runst verschieden.
Das in Wohlstand Genährt- und Anspruchsvolle liebte Prunk und
Luxus, das Ruhmbegierige verlangte große Thaten in Majestät oder
in Flitter und Pracht. Das Ueberschwängliche erbaute sich kühne Ge-
bilde der Fantasie; das Einfache, Bescheidene begnügte sich mit Gefällig-
Verständlichem und das Einfältige hängt am einfachen Schmucke well
er gleißt oder schmückt. Seltener war die Runst die Führerin in eine
trauliche Heimstätte, die auch dein schlichtesten Ansprüche genügt, vielen
eine ermunternde, erheiternde, versöhnende Trösterin, Tausenden eine
Quelle des Glückes, der Herzerhebung, der seelischen Befriedigung. Für
uns alle hat also die Runst Zweck und Bedeutung. Sie ist auch als
Mittel erkannt worden, nicht nur uns selbst zu beglücken, uns aus den
Mühsalen des arbeit- und kampfreichen Lebens auf Augenblicke, Stunden
und Zeiten in eine ideale andere Welt zu versetzen zu unserer Beseeligung
in welcher das Unvollkommene und Vergängliche aufhört, sondern diesen
Genuß auch unseren Nächsten und der Nachwelt zu gut kommen zu
lassen. Sobald die Runst in solcher weise als Mittel verwendet wird,
gewinnt sie eine entschieden höhere Bedeutung, eine solche für das
Menschengeschlechts überhaupt. Sie wird Erzieherin für dasselbe und
Mitträgerin der Rullur. pn diesem Lichte beleuchtet, erhält für uns
das Schone in der Natur einen anderen Werth, insofern es zugleich
nützlich wird für den einzelnen Menschen. Denn so wunderbar die
Schöpfungen der Natur an sich auch sind, sie erhalten doch erst rechte
Bedeutmig in der Beziehung, welche sie zum Menschen, seiner Art und
seinen pielen haben. Zn der Natur um uns fesselt uns, sagt Goethe
treffend, nichts so sehr als der Mensch, vornehmlich seine Seele, die
Wechselbeziehung von Geist und Herz, und alles uns Erhebende, För-
dernde, das beide bieten. Eine Aeußerung dieses Erhebenden ist aber
die Runst, die Bethätigung menschlichen Rönnens, einer schöpferischen
 
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