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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 4.1893

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Schulze, Otto: Gegen die Überschätzung des goldenen Schnittes
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Die praktische Aesthetik der Sitzmöbel
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https://doi.org/10.11588/diglit.11380#0242

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Seite sHO.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

September-Heft.

Tabellen und Meterstäben zu reguliren! Za, eine göttliche Harmonie,
eine göttliche Proportion waltet in Allem, das uns zu durchschauern
und zu erheben vermag, aber — ihre Grenzen sind nicht abgesteckt, sie
liegen außerhalb der Erde!

praktisch^ Mesthetik der -Mihmödel.

Unter diesem Titel veröffentlicht Or. Th. Volbehr (Magdeburg)
in der „Kunst für „Alle" u. A. Folgendes: Wenig Dinge sind für das
Wohlbefinden eines modernen Kulturmenschen von solcher Bedeutung
wie die Sitzmöbel. Es ist nicht zufällig, daß man im Eßzimmer die
weichen Fauteuils vermeidet, daß man im Salon keine eckigen Bauernstühle

Eine Rückenlehne hingegen wird man ungern vermissen. Ein kühler
Sitz ist gerade hier, wo dem Körper durch die Zufuhr der Nahrungs-
stoffe neue Wärme zugesührt wird, durchaus am Platze, Leder und Stroh-
geflecht verdient den Vorzug vor jeder anderen Ausstattung der Sitzfläche.
Ganz anders liegt die Sache in den übrigen Räumen des Hauses. Wo
man der Ruhe pflegen will, da braucht man auch warme Polsterung nicht
zu scheuen. Aber auch hier sind die besonderen Zwecke zu berücksichtigen.
Zm Empfangszimmer, in dem der Besuchende sich stets in etwas feier-
licher Haltung geben möchte, darf man keine tiefsitzigen, sich schräg nach
hinten legenden Lehnstühle aufstellen, die nur für die Haltung behag-
lichen Sichgehenlassens geschaffen sind. Andererseits wäre es ungeschickt,
für die lauschige Ecke eines Rauchzimmers Sitzmöbel mit scharfkantigen,

* Abbildung Nummer 6H8. Erlrrr - Nnlaqr seitlirtz von einem Fenltep. Entwurf von Yermonil lverle.

findet. Es spricht sich darin aus, daß der Zweck des Sitzmöbels nicht
immer der gleiche ist. — Was will der Sitz? Er will dem Menschen
eine größere Bequemlichkeit bieten, als ihm das Ruhen aus den eigenen
zwei Beinen gestattet. Nun kann und muß man aber weiter fragen:
Wozu soll er bequem sein? Ein Stuhl, der zum Arbeiten überaus
bequem ist, kann äußerst unbequem für ein Nachmittagsschläfchen sein.
Der allgemeine Zweck, zur Bequemlichkeit zu dienen, wird also durch
den besonderen Zweck des einzelnen Falles verändert. Für geistige
Arbeit wird man Sitze bevorzugen, die nicht zu weich und warm, aber
doch mit Rücken- und Seitenlehne ausgestattet sind, um ein dem Denken
förderliches Ausruhen für kurze Fristen zu gestatten. Für die Stunde des
Essens, wo die Hände und mit ihnen die Arme in Thätigkeit sind, wird
man dagegen die Seitenlehne, als hinderlich, leicht entbehren können.

geschnitzten Seitenlehnen, wohl gar mit Schnitzereien am Mittelstück der
Rücklehne zu wählen. Man thut am besten, dort weiche und gleicb-
zeitig schwere Sessel zu verwenden. —

Stühle sie mögen in Wirklichkeit noch so bequem sein — die
so zierlich gebaut sind, daß man sich nicht getraut, sich darauf zu setzen,
sind unschön, ebenjo die Stühle, die plump wie aus Steinquadern zu-
sammengebaut sind. Alle Verzierung des Sitzmöbels hat darauf Rücksicht
zu nehmen^ daß sie die einfachsten ästhetischen Empfindungen nicht be-
leidige. Man liebt es in neuerer Zeit wieder, den Sitzen und Rücklehnen
Gobelinüberzüge zu geben. Man kann es allenfalls erträglich finden,
wenn man gezwungen ist, sich auf die Blumen eines solchen Stuhles
niederzusetzen, geradezu peinlich aber berührt es jedes gesunde Gefühl,
wenn man sich auf eingewebte Gesichter niederlassen muß. —
 
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