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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 4.1893

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Schulze, Otto: Gegen die Überschätzung des goldenen Schnittes
DOI article:
Barber, Ida: Einrichtung der Kinderzimmer, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11380#0241

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September-Heft.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

Seite l39-

vierungen, überhaupt gute monumentale Raumwirkungen find doch
recht schwer dem Proportionsgesetz des goldenen Schnittes zu unter-
werfen, und wo dies stattgefunden — find glückliche Lösungen recht rar.

Angenommen, der Künstler hat genau nach der proportionalen
Theilung der göttlichen Proportion in auf- und absteigender Linie ge-
arbeitet, er wird immer noch keine
vollendete Schönheit erzielen, weil
Nasse, Farbe und nicht zuletzt die
Gesetze des optischen Sehens ganz
fühlbare Störungen herbeiführen.

Nehmen wir ein ganz einfaches Nöbel,
einen Tisch, der 78 crir hoch ist —
diese Höhe muß bestehen bleiben -—
und wir wollten die Schmal- und
Langseite dem goldenen Schnitt an-
passen ! Lin solcher Tisch wäre über-
haupt nicht zu brauchen, höchstens
als Zier- und Sofatisch, der mitleidig
mit Decken behängen wird, um seine
Nißgeburt zu verbergen. Lin ver-
wendbarer, bequemer Stuhl wird nie
nach dem goldenen Schnitt gearbeitet
sein, ebensowenig ein Schrank, dessen
meist sehr geringe Tiefe, zur Höhe
und Breite gemessen, jede Flächen-
proportion ausschließt. Und so ist
es mit einer großen Zahl von Kunst-
und Gebrauchsgegenständen, mit vielen
Gefäßen der keramischen Industrie
bestellt. — Ganz etwas Anderes ist
es mit der Fläche als solche, so bei
Gemälden und Stichen, Papierforma-
ten, Bucheinbänden, Teppichen u.dgl.

So sind die meisten der Bücher des
weltberühmten Brockhaus'schen Berlages in Leipzig in der Flächen-
proportion des goldenen Schnittes hergerichtet, und — wie die Firma
selbst erklärt, ganz unbewußt, ohne ihr eigenes Zuthun. Doch in solchen
Proportionen hat auch der goldene Schnitt seine größte Berechtigung;
ich kann ein Buch oder einen Briefbogen drehen und wenden — die

Wirkung und Lrscheinung bleibt stets dieselbe. — was soll nun aber
einem gothischen Dom, nehmen wir den Kölner, in seiner überwäl-
tigenden Raumwirkung im Hauptschiff die göttliche Proportion nützen?!
Das Hauptschiff inißt bei einer lichten Höhe von ca. 55 IN eine lichte
weite von s5 irr und eine lichte Länge von sOs bis zum Lhor-

schluß; das ganze lichte Raummaaß
ist H5 X P9 rri einschließlich Kapellen-
kranz, und V X 90 nn einschließlich
Guerschiff — wo ist hier der goldene
Schnitt! Lr fehlt auch in der äußeren
Architektur, und ist er wirklich in einem
Detail vorhanden, so ist dies Zufall.
Die monumentale Wirkung ist nicht
von Kleinigkeiten abhängig, sie muß
aus dem geschlossenen Guß der ganzen
Anlage erstehen.

Anendlich viel Beispiele ließen
sich ansühren, bei denen der goldene
Schnitt im Grundriß so wenig als
im Aufbau einheitlich nachzuweisen
ist und trotzdem eine abgerundete Har-
monie besteht. Beispiele, an denen
man den goldenen Schnitt ungesucht
nachgewiesen hat, d. h. bei den Mes-
sungen reell verfahren ist, sind selten,
und noch kann inan nicht immer bei
diesen von Harmonie und Schönheit
sprechen. — Unsere gesammte mo-
derne Kunst hat sich des hergebrachten
Regel- und Rezeptzwanges entäußert;
sie wägt, mißt, zählt, taktirt und
skandirt nicht in der hergebrachten
ängstlichen Art verbriefter Gesetze!
Ihr ganzes Streben ist Ungebundenheit
und Freiheit, ein zum Licht Durchringen! Nur ängstliche Gemüther,
die sich krampfhaft an das Alte klammern, können den neuen Geist
einer neuen Kunstepoche, den gewaltigen Drang eines neuen Gestaltens
und Werdens der Dinge leugnen! — Zst denn die Kunst außerdem eine
exakte Wissenschaft, um Schaffen und Empfinden nach Rechenexempeln,

* Abbildung Nummer S-Z7. Erkrrfitz in einem Zimmer. Ausbau.

die wo anders nicht mehr schön genug befunden werden, ins Kinder-
zimmer. Lin Kleider-, ein Wäsch-, ein Bücherkasten genügen. Für
Stiefel, Sammlungen, alte Hefte sind extra kleine Kästen unterhalb ein-
zurichten, für Hüte, Stöcke, Schirm oberhalb ein Brett.

Lin fast unentbehrlicher Bestandtheil des Kinderzimmers ist, na-
mentlich in Häusern, in denen kein Badezimmer vorhanden, der mit
Gummi-Nassirbürste versehene Douche-Apparat. Lr nimmt so gut wie
gar keinen Raum ein, besteht aus einem ungefähr im Quadrat suß-
großen Bassin, das oben an der Wand befestigt und mit Wasser gefüllt
wird. Bom Bassin abwärts führt ein Schlauch, der in einer Art
Gummibürste endigt, aus deren Oeffnungen das Wasser ausströmt und
die den Körper gleichzeitig angenehm frottirt. Selbst die wasserscheuesten
Kinder lassen sich diese Art der Douche gefallen und befinden sich sehr
wohl dabei. Der Apparat ist von den Eisenwerken Gaggcnau (Groß-
herzogthum Baden) um geringen Preis zu beziehen und verdient weiteste
Verbreitung.

Bei Einrichtung eines Mädchen-Kinderzimmers empfiehlt es sich,
aus geschmackvolle, den Schönheitssinn anregende Gegenstände Bedacht
zu nehmen; an den Wänden bringe man Etageren an, die mit Nippes,
Büchern, Schmuckkästchen dckorirt werden; hübsche, blumige Lreton-
Bezüge, gleiche Borhänge, Deckchen und gestickte Fensterkissen verleihen
dem Mädchenzimmer jene wohlthuende Gemächlichkeit, die man, selbst
in den einfachsten Einrichtungen, mit wenig Geld hervorzaubern kann.

Königin Victoria pflegte stets daraus zu halten, daß die Zimmer
ihrer Kinder mit glänzenden parquetten belegt waren, die die Kinder
selbst — aufzureiben hatten, eine vorzügliche hygienische Uebung, die
das Blut unter einander bringt, frisch machte und auch wohl anderen
Müttern, die ihre Kinder vor Berweichlichung bewahren, zur Ordnung
und Sauberkeit erziehen wollen, anempfohlen werden dürfte. —

Urbrlriechendtz Tapetrn. Die belästigenden Ausdünstungen
tapezirter wände treten hauptsächlich bei solchen Tapeten auf, welche
mit blauem oder grünem Untergründe versehen sind, kommen aber auch
bei solchen zum Borschein, wo die blaue oder grüne Farbe den größten
Theil des Musters ausfüllt und wo dieser Farbstoff in der Hauptsache
aus blauein oder grünem Ultramarin besteht. Letzterer ist ein an sich
völlig unschädlicher Stoff, besitzt aber die Ligenschaft, durch schwachsaure
Flüssigkeit sich zu zersetzen und während dieser, gewöhnlich langsam vor-
schreitenden Zersetzung den Geruch von Schwefelwasserstoffgas zu entwickeln.

Zur Befestigung der Tapeten bedient man sich meistens leicht
säuernder, sehr schwach saurer Klebemittel, Kleister und Leim, welche,
nachdem sie aus die Tapete ausgetragen, leicht durch das Papier dringen
und aus die Farbe in genannter weise einwirken, so daß schon ein
höchst geringer Grad eingetretener Säuerung hinreicht, um die Lrschei-
nung hervorzurufen. Dies tritt zumal dann nachhaltiger auf, wenn
die wände etwas feucht und schon mit mehrfachen Tapetenlagen bedeckt
sind, so daß der Kalkbewurf nicht mehr neutralisirend auf die erzeugte
Milchsäure im Klebemittel wirken kann.

Zn Fällen, in welchen man genöthigt ist, neue Tapeten auf Tapeten-
Untergrund zu befestigen, wie in allen Fällen, wo grüne oder blaue
Tapeten Verwendung finden, sollten deshalb nur solche Klebemittel an-
gewendet werden, die entweder nicht säuern, oder, sofern sie zur Zer-
setzung neigen, vor ihrer Verwendung geringe Mengen Kalkmilch oder
Sodalösung als Zusatz erhalten und dadurch den Eintritt des Uebel-
standes von vornherein ausschließen. Zst dieser Uebelstand aber bereits
vorhanden, so gibt man in den fest verschlossenen Raum ein Gefäß mit
glühenden Holzkohlen und schüttet darauf einige Hände voll wachholder-
beeren. Den daraus entstehenden Rauch läßt man ca. j2 Stunden im
Zimmer wirken und lüftet sodann. —
 
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