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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 4.1893

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Mielke, Robert: Die Bewerthung der Volkskunst in der Innen-Dekoration
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Dezember-Heft.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

Seite f85.

^Derwertlruna der ^Molkskunst in der -Annen-^Mekvration.

von Robert INielke.

>s ist eine eigenthümliche Laune der Geschichte, daß sie die
künstlerische Hochentwickelung eines Volkes nicht immer mit
seiner politischen Größe zusammensallen läßt. Bald sind
25 Jahre seit der Einigung Deutschlands verflossen und noch immer
können wir nicht behaupten, daß unsere nationale Volkskraft eine
nationale Kunst hervorgebracht habe, eine um so auffallendere Er-
scheinung, als die Völker ringsum uns in dieser Hinsicht bedeutend
überflügelt haben. Für den Einsichtigen ist der Grund unseres Zurück-
bleibens- nicht verborgen: Anstatt sich im eigenen Hause gründlich um-
zusehen, hat der biedere Deutsche lieber dem Nachbarn über den Zaun
geguckt, um ihm seine angeblichen Geheimnisse abzusehen, während in
seinem eigenen Garten das Un-
kraut immer üppiger in die Höhe
ging. Jetzt scheint endlich die
alte Wahrheit zur Anerkennung
zu kommen, daß nirgends eine
Kunst besser sich zu entwickeln
vermag, als wenn sie sich aus
dem Jungbrunnen ihrer natio-
nalen Vergangenheit stärkt. Die
Vorzeichen werden immer deut-
licher, daß die Schablonenkunst,
welche die Stilfexerei der letzten
Jahrzehnte hervorgebracht hatte,
einem frischeren Geiste Platz
macht. Für die Znnen-Dekoration
bedeutet dies die Freimachung des
individuellen Geschmacks,
die Rückkehr zur Einfachheit
und Solidität und die Beiseite-
setzung der lange herrschenden
Prunktheorie. Ist die klare
Erkenntniß davon erst allgemein
verbreitet, dann ist damit die
Werthschätzung unserer alten
Volkskunst, die Bauernmöbel an
der Spitze, um vieles gestiegen,
und es tritt dann an die Industrie
die Frage heran, wie sie auf der
gegebenen Basis weiterschreiten
müsse, um einerseits in den ge-
gebenen parallelen zu bleiben,
andrerseits aber sich von dem
Kopiren zum freien Schaffen emporzuschwingen. —
örterungen sind hier nur bedingungsweise zulässig,

Abbildung Nr. 824. Büffet mit Wandvrrtäfelunff, in tyroler Gothik.

Blicke erkannt und seine Werkstatt hat nicht allein durch gelungene
Arbeiten die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf sich gelenkt, sondern sie
ist jetzt auch durch Staatszuschüsse in den Stand gesetzt, junge Leute
durch praktische Unterweisung auszubilden.

Zn welch entsprechender Weise bäuerliche Ziermotive bei mannig-
facher und geschickter Umgestaltung sich selbst für reichere Zimmer-
ausstattungen verwenden lassen, zeigt das von Heinrich Sauermann für
die Lolumbia - Weltausstellung ausgeführte „Niederdeutsche prunk-
zimmer", von welchem auch in dieser Zeitschrift eine Thüre und eine
Zimmer-Theilansicht gebracht wurde. Zul. Lessing zollt in einem
Bericht über die Wöbelausstellung in Lhicago in der „National-Zeitung"

dem Schöpfer desselben unum-
wundene Anerkennung, indem er
über dasselbe folgendes mittheilt:

„Wenig anspruchsvoll, aber
ganz ausgezeichnet in seiner Durch-
führung, ist das Zimmer von
Sauermann in Flensburg. Die
Einzelheiten sind den halb bäuer-
lichen Zimmern des XVI. Jahr-
hunderts entlehnt. Die von Italien
herüber gekommenen Formen der
Renaissance sind durch bäuerliche
Tischlerfertigkeit in vollständig
constructive Holzformen übersetzt,
neben der eigentlichen Schnitzerei
sind die einfachen Wotive des
Kerbschnittes angewendet, leichte
Zusätze von Farbe geben eine
muntere Belebung. Ls ist viel-
leicht der einzige Znnenraum
auf der ganzen Welt-Ausstellung,
der mit intimer Sorgfalt und ganz
eigenartig, ohne Rücksicht auf
die Wirkung in den Augen der
Wenge durchgebildet ist." —
Die Abbildungen, welche diesem
Heft beigegeben sind, stammen
zum Teil ebenfalls aus der
Flensburger Werkstatt und be-
weisen mehr als Worte, wie
diese Bauernmöbel zu entwickeln
sind. — Zn der friesischen woh-

Theoretische Er-
da der Industrie

mehr mit Thaten als mit Worten gedient ist und die ästhetische Weis-
heit der eben vergangenen Jahre mit ihrem philiströsen „Wan soll,
man muß, man darf nicht" und sonstigen versteinernden Formeln
glücklicher weise immer mehr außer Kurs gesetzt wird. Gs fehlen
uns weiter nichts als die Wänner der That, welche durch probiren
zum Ziele kommen. Nun, auch diese werden nicht ausbleiben; einst-
weilen wollen wir uns des verheißungsvollen Anfangs freuen, den
Heinrich Sauer mann in Flensburg mit seinen vom preußischen Staat
unterstützten Bestrebungen gemacht hat. Die von einein kräftigen Volke
bewohnten Warschen an der Nordsee haben uns noch so manches
Kleinod bäuerlicher Kunst bewahrt, das der Beachtung des Kunst-
handwerkers empfohlen sein darf. Sauermann hat das mit scharfem

nung (vergl. Abbildg. 837 u. 839), niit der wir es hier zumeist zu thun
haben, ist das bewegliche Wöbel auf das Nothwendigste beschränkt;
außer Tische, Stühle, Truhe und Spinnrad sind die übrigen in den
(Organismus der mit Holz, theilweise auch mit Fliesen bekleideten
Wände und Decken hineingezogen. Diese Einheitlichkeit in der Wirkung
wird noch durch den echten Wöbelstil der Gegenstände unterstützt, die
sich eher zur schwerfälligen Einfachheit neigen, als sich zu architektonischer
Ungeheuerlichkeit entwickeln, vielfach findet man die Füllungen mit
naturalistischem Blumenornament bemalt, wie überhaupt der Farbe
ein weitreichender Einfluß auf die Gestaltung des Znnenraumes ge-
stattet ist. Sauermann beschränkt sich nun nicht darauf, die vorhandenen
Möbelstücke zu wiederholen, sondern er schafft in dem Geist derselben
Neues, das sich unseren wohnlichen Bedürfnissen mit Anerkennung der
von uns als nothwendig empfundenen Ergänzungen glücklich anpaßt.
 
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