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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 4.1893

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Mielke, Robert: Die Bewerthung der Volkskunst in der Innen-Dekoration
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Talmi-Architekturen
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https://doi.org/10.11588/diglit.11380#0326

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Seite s86.

Zllustr. kunstgew erbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

Dezember-Hesl.

Beweis ist dafür das Büffet Abbildung 8-^0, welches ganz in Art der
bäuerlichen Kunst unter Hinweglassung aller überflüssigen Details in
einfach-sinngemäßer weise aufgebaut ist. Zwar ist auch dem Bauern
der Speiseschrank nicht fremd, wo er aber vorhanden, ist er mit be-
wußter Wahrnehmung des zweckdienlichen
als Wäsche- und Geschirrschrank durch-
gebildet; solche Kombinationen sind bei
der heutigen Trennung von wohn- und
Speisezimmern nicht angebracht, und an
ihre Stelle tritt das Büffet als selbständiges
Möbel. Auf den ersten Blick schon fällt
die Verwandtschaft mit der flämischen
Renaissance auf, die ja mit der friesischen
Volkskunst auf demselben Boden steht, ja
man könnte behaupten, daß in ihr sich
letztere erst von der individuellen Hauskunst
zur nationalen Zndustriekunst emporhob.

Der Vorzug dieser und unseres Möbels ist
der Verzicht aus gekünstelte Techniken, wie
Fournirung, überladene Holzplastik und
Politur. Dafür kommen einfachere, aber
darum um so wirkungsvollere zur Geltung,

Zahnschnitte, Abfasungen, Leisten- und
Rahmenwerk u. A. Das an dem Büffet
zu ausgiebiger Verwendung gekommene
Verfahren, Flachornamente durch Aus-
grabung des Grundes zu erzielen, ist
äußerst wirkungsvoll, wenig kost-
spielig und für den Möbelstil wie ge-
schaffen. An den Balustern, welche den
Aufsatz zieren, kann man ersehen, wie vor-
theilhaft ein Abweichen von den alten
Stilschablonen ist. Reiner unserer Stil-
fanatiker hätte es in seiner ästhetischen —

Beschränktheit gewagt, den unteren Haupt-

Abbildung Nr. 8Z5.
Lehnstuhl mit künstlerischer Lederarbeit.

Ausgeführt von A. u. G. Ar. Buhler, Stuttgart,

Einmaleins der Geraden und Kurve nichts weiter ist als eben ein
Märchen, und noch dazu ein langweiliges.

Hiermit vergleiche der Leser das Büffet in Abbildung 83H, welches
einerseits in reicheren Gliederungen auch prächtigere, üppigere Aus-
bildung zeigt, andrerseits aber bezeugt, wie
wirkungsvoll die Gothik, der man ja bis-
weilen jede Eigenschaft als Möbelstil ab-
gesprochen hat, sich in diesem zeigen kann.
An einer anderen Stelle will ich den Nach-
weis führen, daß unsere gesummte Volks-
kunst breit aus dem Boden der Gothik
steht, hier sei nur auf die Gleichheit der
Technik dieses Büffets mit dem vorigen,
das unmittelbare Einflüsse der Bauernkunst
zeigt, hingewiesen. SolchegothisirendeFormen-
sprache dürfte sich sehr gut für Trinkzimmer
empfehlen, wie man denn auch in der Thal
diese mit Vorliebe dafür in den letzten
Zähren verwendet hat, obgleich die be-
deutenderen Mehrkosten der Ausführung
das Auskommen dieses Geschmackes etwas
hindern. Um ein Erhebliches geht die Holz-
decke in Abbildung 833 schon über Grund-
züge des Zimmerstils hinaus, den man
wegen seiner Einfachheit, Schönheit und
nationaler Ausprägung wohl einen er-
wachenden Volksstil nennen darf; aber
wegen der echten Holzbearbeitung, mit der
die Decke ausgebildet ist, kann sie hier wohl
im Zusammenhangs mit den oben be-
sprochenen Möbeln erwähnt werden. Die
Maßwerksüllungen sind offenbar als Malerei
gedacht; an ihre Stelle könnten, was für den
künstlerischen Hausfleiß vielleicht beachtens-
wertst ist, auch in Art der Gobelinmalerei

körper derselben in dieser dreifachen Kurvenfolge zu zeichnen; er hätte
mindestens ein einschneidendes oder ausladendes Zwischenglied einge-
schoben. Solche individuellen Eigenheiten sind der Bauernkunst eigen-
thümlich; sie bezeugen es, daß das Märchen von dein rhythmischen

hergestellte ornamentale Stoffbekleidungen treten, wenn man es nicht
vorzieht, sie ebenfalls mit, etwa diagonal gerichteten, Brettern zu belegen.

Schon bei Betrachten des zuerst erwähnten Büffets wird den Lesern
die reiche Verwendung des Leistenwerkes ausgefallen sein, das, während

Malnri-Mrchitekturen.

b es dergleichen schon in alten Zeiten gegeben hat? — Vb
die Gebälks an den zerstörten pompejanischen Wohnungen
wirklich nur aus Holz bestanden haben, ja, ob man vielleicht
in aller Eile beim Wiederaufbau nach dem Erdbeben vom Nähre 63
selbst diejenigen an den Monumentalbauten zum Theil aus dem minder-
werthigen, unsoliden Material hergestellt hat, wer mag es sicher

entscheiden! Sie sind verschwunden, wie Talmigold nach wenig Zähren
verschwindet, — eine langdauernde Garantie kann da Niemand über-
nehmen. — Aber heutzutage sind sie da, die Talmi-Architekturen, sie
sind in Wahrheit im Gebrauch und an einzelnen Vrten sogar zur

erachtet. Das billigste Surrogat muß herbeigeschafft werden, um auch
dem unbedeutendsten Miethhause die Erscheinung eines stilgerechten
Palazzo zu geben. Mit Hilfe von Gypsstuck oder, — wie man nicht
ohne Selbstbewußtsein erwähnt, — von Lementmörtel kann jede beliebige
Stilweise aus die Fassade übertragen werden. Für den Mauerkamm
aber genügt der schlechteste Ausschuß der gewöhnlichen Backsteine!

Wollen wir dies hier beklagen? Das ist schon so viel und so oft
ohne Nutzen geschehen, daß es langweilig werden würde. Und, was
wollen wir! Zst doch selbst im alten oder vielmehr im neuen Rom
die Putzarchitektur die vorherrschende, — wer möchte da andere Städte
arg tadeln? wenn aber nun diese Putzarchitektur noch lange nicht das
Schlimmste wäre, wenn man sie noch „Gold" nennen könnte im

Gewohnheit geworden. Unsere schnelllebige Zeit betrachtet die Kunst,
auch die architektonische, als eine Modesache. Wie leicht aber wechselt
eine Modelaune! Wozu soll man auf Zahrhunderte hinaus denken und
schaffen! Bestimmt doch die Tagesmode in der Erscheinung des
civilisirten Menschen nur den äußeren Zuschnitt, und der eifrigen
Fabrikation bleibt es überlassen, den Stoff im neuesten Muster bis zur
fabelhaften Billigkeit zu erzeugen. So kann ein Zeder die Mode mit-
machen, und die Sucht nach Veränderung muß in demselben Grade
wachsen, als die Haltbarkeit des Vorhandenen in Frage gestellt ist.
Und wie der Mensch, so sein Heim! — Nur zu deutlich tragen unsere
schnell emporblühenden Städte den Stempel dieser Modeherrschast an
sich. Was das archäologische Studium aus alten Trümmerhaufen
Schönes herausgegraben, was der talentvolle Baumeister aus eigenem
Geiste oder in künstlerischer Beherrschung eines Baustiles geschaffen, —
es wird zum Gemeingut durch die Zmitation, die keinen Musterschutz
respektirt und für Reich und Arm, für Vornehm und Gering, für den
Kunstverständigen und den Laien dasselbe Hausgewand als passend

Gegensatz zu dem billigen „Talmi", das an der äußeren Fassaden-
erscheinung ansängt, sich breit zu machen. Ein Blick aus einige dies-
bezügliche Erscheinungen in unserer modernen Architektur mag uns belehren.

Von den italienischen Städten berührt Florenz durch seine soliden
und meist in guter Renaissance durchgesührten Neubauten neben Bologna
am angenehmsten. Aber etwas Talmi findet man auch hier! Wenn
man die herrlichen Stadtpromenaden durchstreift, oder wenn man die
steile Bergstraße nach dem reizenden Fiesole hinaufpilgert, so begegnet
das Auge einer Menge von Neubauten, die den florentinischen Villenstil
im Sinne der früheren Hochrenaissance recht wohlthuend wiedergeben.
Es ist die edle Architekturrichtung eines Palazzo pandolfini, welche hier
in echtem Material und zumeist schönen Verhältnissen neue Triumphe
feiert. Aber, wenn neben oder vor dem Landhause noch Wirthschafts-
gebäude nöthig wurden, so hat der florentinische Architekt oder vielmehr
der Dekorationsmaler zu einer höchst sonderbaren Lösung der Fassade
seine Zuflucht genommen. — Der Palazzostil war hierbei freilich nicht
am Platze; man wollte also das „Ländliche" zur Erscheinung bringen.
 
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