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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 4.1893

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Nothruf des Kunstgewerbes
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https://doi.org/10.11588/diglit.11380#0248

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September-Heft.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

Seite

Motliruf des «DmMgewerbes.

Architekt Karl Statsmann, Lehrer an der Staatsgewerbeschule in Lübeck,
knüpft an den Inhalt einer unter dem Titel „Nothruf des Kunstgewerbes,
Schulung und Niedergang desselben in Preußen" vor Kurzem im kunst-
gewerblichen Verlag von Alexander Koch. Darmstadt, erschienenen höchst be-
achtenswerten Broschüre von Martin Kimbel, Möbelfabrikant in Breslau
in der „Lübecker Eisenbahn-Zeitung" einige beherzigenswerthe Betrachtungen, die
wir in Nachstehendem auszugsweise wiedergeben:

„Die Mittheilungen Kimbels über die Stellung des Kunstgewcrbes in Preußen,
die Klagen über sie und die Nothrufe nach ihrer Errettung enthalten eine Fülle
von Anregung auch für andere Staaten, in denen das Knnstgewerbe gepflegt wird
— und in welchen wird es nicht gepflegt? Es ist auch in nicht-preußischen Staaten
Manches faul, tadelnswerth und einer Umgestaltung bedürftig.

Nun fragt man: Wie kommt es, daß von einem Nothruf des Kunstgewerbes
die Rede ist, wenn doch von wohlunterrichteter, autoritativer Seite (Lübke, Geschichte
der deutschen Kunst. lSAZ. psZ. 94z) behauptet wird, unser modernes Kunstgewerbe
blühe und blühe mehr denn zu irgend einer anderen Zeit unseres Jahrhunderts?

Die Sache liegt sehr einfach: Nicht die besten Leistungen des Kunstgewerbes
werden als tadelnswerth und dem verfall nahe hingestellt, sondern der Boden, auf
dem es sich erhebt. Nicht den Baum trifft der Vorwurf und nicht die wurzeln,
sondern die Erde, in welcher sie haften,
die Bedingungen, unter welchen das
Wachsthum gefördert und gehindert
wird. Solche Bedingungen sind: die
Ausbildung der Kunsthandwerker in
Schulen und Werkstätten, die Art der
Lehrkräfte und Lehrmittel an gewerb-
lichen Fachschulen, die soziale Stellung
der Handwerker, ihr gewerblicher und
gesetzlicher Schutz, die Wahrung und
Förderung der Standesrechte — Fragen,
welche wir an der Hand der Kimbel'schen
Schrift nach einander erörtern werden.

Die Forderungen, welche Kimbel
stellt, wenden sich ebensowohl an den
Staat, an Behörden, wie an den ein-
zelnen Gewerker. Ein Stand, welcher
vom Staate einzig Rettung erhofft, ist
verloren. Die Besserungen, welche theils
durch Selbsthülse, theils durch bessere
staatliche Unterstützung und Aufmerk,
samkeit im Kunsthandwerk erreichbar
sind und von Kimbel als Forderung
klar ausgesprochen werden, haben für
Gegenwart wie Zukunft und für jede
staatliche oder gesellschaftliche Form Be-
deutung. Stets wird in irgend einer
Form das Kunsthandwerk bestehen, selbst
dann, wenn die Maschine noch umfang-
reichere Verwendung im Handwerk findet
oder das Kleingewerbe zum Theil ver-
drängt. Lassen sich doch die Grenzen
des Kunsthandwerks sehr weit ziehen.

„wo fängt es an, wo hört es auf?
alles was in Form und Farbe künstlerisch
beeinflußt wird, gehört ins große Ge-
biet des Kunstgewerbes. Die Zuthat
von Kunst gibt allein den Ausschlag. Handelt es sich auch nur um das Suchen
einer schönen Linie oder harmonischen Färbung." Und zu keiner Zeit, in der Zu-
kunft erst recht nicht (die Anzeichen sind schon da!) wird man die Handarbeit ver-
missen wollen und in vielen Fällen nicht können. Gelingt es zwar auch den
Maschinen, vieles, was Menschenhand fertigt, nachzuahmen und gleichmäßiger in
der Form wiederzugeben, so ist uns doch das Handgemachte vielfach lieber und
gefälliger, weil eine Eigenart, etwas Individuelles, aus ihm spricht. Gilt das
nicht von Lederpunzarbeiten, Schmiedearbeiten, Holzbildhauereien und so manchem
Anderen? Und man wird im Geschmacke des Publikums in Kurzem wieder zurück-
kehren zu denjenigen Arbeiten, aus welchen wir sofort erkennen, daß sie eine bildende
Menschenhand bearbeitet hat. In der ganzen Natur, so sagt Goethe, fesselt uns
nichts so sehr als der Mensch. Und das wird mit der weiteren Entwickelung des
Menschengeschlechts und der sozialen Verhältnisse mehr und mehr seine Geltung
haben. Dann kommen wir endlich einmal dazu, daß auch Jedermann im Kunst-
gewerbe das versteht und nachfühlen kann, was ein Anderer für ihn geschaffen,
daß der Line mit offenem Sinne und Herzen nimmt, was der Andere aus der
Seele gearbeitet, von diesem Entgegenkommen des im Geschmack dann gebildeteren
Publikums, welches auch mitzuwirken hat in der Förderung des Kunstgewerbes
und nicht zum geringsten Theil in der äußeren geschäftlichen und gesellschaftlichen
Stellung des Kunsthandwerks, sagt uns freilich Herr Kimbel wenig oder gar nichts.

Mit Recht stellt Kimbel als erste Forderung einer sach- und fachgemäßen Aus-
bildung des Kunsthandwerkes neben ihre praktische Lehrzeit eine ordentliche zeich-
nerische Vorbildung an die Spitze seiner Broschüre. Wenn er dies so nachdrücklich
betont, deutet er eben an, daß es mit der zeichnerischen Schulung und Neigung der

Kunsthandwerker vielfach nicht gar ernst genommen wird. Besteht doch in den
Kreisen aller Gewerker häufig noch die Ansicht, das Zeichnen sei Nebensache, ja es
werde zu lange, zu eingehend betrieben, benehme zu viel Zeit für die praktische
Schulung, mache die Lehrlinge hochfahrend, eingebildet und schade somit wieder dev
werkstättlichen Thätigkeit. Das Zeichnen ist eins der besten Bildungsmittel auch-
für den inneren Menschen, hervorragender künstlerischer Anlagen bedarf es dazu
nicht. Es läßt sich mit Fleiß und (Ordnungsliebe viel erreichen. Allerdings —
und nun müssen wir Herrn Kimbel Recht geben: sobald wir das Zeichnen nach
der Natur darunter verstehen.

Ueber die Verwendung von Architekten als zeichnerische Lehrmeister an gewerb-
lichen Fachschulen ist Herr Kimbel falsch unterrichtet und wohl nur daher irriger
Ansicht, wenn solche nach einer gründlichen akademischen und praktischen vor-
bereitung oder in der Praxis selbst stehend als Lehrer berufen werden, so besitzen
sie meist alle Fähigkeiten zu ersprießlichem Unterricht, wenn es ihnen dazu gelingt,
stete Fühlnng mit dem Handwerk zu bewahren und wenn sie keine feudalen oder
korpsstndentischen Manieren mitbringen, wenn die Behörden stets die erforderlichen
Mittel für sie aussetzen würden, gelänge es ihnen auch, nur tüchtige Männer zu
erhalten. Andernfalls müssen sie mit sog. Technikern vorlieb nehmen, gegen deren
Verwendung Herr Kimbel mit Recht sich ereifert, Leute, welche nur ein paar Klassen
einer gewerblichen Fachschule besucht und sich weder in der Praxis umgesehen, noch
eigene kunstgewerbliche Entwürfe zur Ausführung gebracht haben. Die professionellen
Zeichenlehrer, welrbe als solche in zweijährigen Kursen an Kunstgewerbeschulen

„nach Methode" gedrillt sind und alle
Diejenigen, welche auf keine weise im
Kunstgewerbe durch eigenes Produziren
sich bewährt haben, möchte Kimbel von
gewerblichen Zeichenschulen beseitigt
wissen. Es ist eben im großen Ganzen
„jeder Gewerbetreibende, welcher in
seinem Berufe zeichnen kann", die ge-
eignetste Kraft zum Unterricht.

Möchten doch mehr Gewerbetrei-
bende von vornherein ihre Vorbildung
so einrichten, daß sie sich zum Lehrberuf
geeignet vorbereiten und möchten auch
die Behörden, besonders in kleineren
Drtschaften, solche Gewerker zum Unter-
richt heranziehen. An Zeichenschulen
selbst ist kein Mangel!

Liner der weiteren Mißstände, an
denen das Kunsthandwerk wie auch das
Handwerk im Ganzen krankt, beruht
in der mangelhaften Schulbildung, als»
der Vorbildung der Lehrlinge.

Was von den Gewerken im All-
gemeinen bezüglich der Vorbildung gilt,
hat ebenso Geltung für das Kunsthand-
werk. Lese man hierüber die Kimbel'sche
Schrift. Dieselbe verbreitet sich im wei-
teren über eine Reihe anderer Mängel
im Kunstgewerbe. Da wird von dem

vielgenannten Stilunfug gesprochen, vom
Musealunwesen, von dem Sonntags-
unterricht, von, Innungswesen, Ge-
werbefreiheit, Alters, und Invaliditäts-
Versicherung, von der Stellung des
deutschen zum ausländischen Kunstge-
werbe re. Die Hauptforderungen an
die preußische Regierung formulirt dann
Kimbel zum Schluß in folgender weise: Musterschutzvertrag zwischen Deutschland-
und Frankreich, rücksichtslose Beaufsichtigung der Werkstatt betr. Erziehung der
Lehrlinge, Fernbleiben der Handwerker von Rassen-, Massen- und Klassenhaß, und-
„weg mit all den verfehlten Berufsmenschen vom technischen Lehrfache".

von der „Lehre" der Handwerker verlangt Kimbel, „daß der Meister dem
Lehrling ein Vorbild in fachlicher und moralischer Beziehung sei", vom Staate,
daß er mehr das Kunstgewerbliche in der Kunst pflege. Mit Recht fordert dar-"
nach Kimbel die Möglichkeit einer größeren Ausnutzung der Gewerbemuseen durch
die Gewerker, besonders an Abenden. Bezüglich der Sonntagsschule der Lehrlinge
ist er der Ansicht, daß man den Unterricht am Sonntage nirgends verbieten solle.
Scharf wendet er sich gegen die Ausbeutung der Lehrlinge durch die Meister und-
den Unfug, 1 - Dutzend Lehrlinge und keine Gesellen z'u halten.

Nit Recht wendet sich Kimbel gegen das Einjährigenunwesen und fordert die
zweijährige Dienstzelt und „gleiches Recht für Alle", weniger Schulkram, weniger
Bureaukratismu^, gejuul. ere Menschen, die zufrieden und genügsam werden und in die
Welt passen! Bezug uh des Bureaukratisinus wünschen wir, daß endlich einmal schul-
technische Fragen nur von Fachmännern, nicht von Juristen hehandelt werden.

Ls wäre verfehlt, wollte man die Abstellung dieser Schäden vom Staate allein
erhoffen! wirke Jeder in seinem Kreise, nach seiner Art und — im Sinne der zu
empfehlenden Schrift Kimbels. „Helfen Sie alle", so schließt er, nachdem er die Mittel
zur Rettung angedeutet, „wo Sie können! wohin soll dieser verderbliche Stumpfsinn für
alle Fragen zur Erhaltung der Familie und des Staates führen? Hüte man sich vor
den verhängnißschweren Folgen!" Und mir setzen dazu: Hoffentlich bleibt sein Appell
an den Staat und den Einzelnen weder in Preußen noch anderwärts ungehört!" —
 
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