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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Zimmern, Helen: Davide Calandra
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0136

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Die K u n st - b) a l l e.

Ur. 8

tapferen und starken Bevölkerung am Fuße der rauhen
Alpen, der ja Italien auch seine politische Auferstehung
verdankt. Und eine Stadt, die drei so durch aus tüchtige
und dabei so durchaus moderne Bildhauer aufzuweisen
hat, wie Lanonica, Bistolfi und Talandra,
kann wahrlich stolz auf ihre Söhne sein. Vornehmlich
Talandra ist plötzlich wie ein leuchtendes Meteor vor
der Außenwelt aufgetaucht, als er sein Reiterstandbild
vor die Oeffentlichkeit stellte; ein Merk, in dem
die Arbeit von sO Jahren steckt, während welcher es keine
geistige, noch körperliche Muße, noch Zeit zu anderen
Arbeiten für ihn gab. Zn den Ureisen, die sich ernstlich
für die modernen Kunstschöpfungen interessiren, hatte
er indessen schon früher Beachtung gefunden als ein
eifriger und aufrichtig strebender Interpret des Lebens
und der Natur, der die Sphäre seines Könnens zu ent-
decken redlich bemüht war. Im Anfang freilich ver-
fehlte er ganz und gar den weg.
Davide Talandra ist in Turin s856 geboren. Sein
Vater war seinem Beruf nach ein Ingenieur, seiner
Neigung nach Archäologe; seine Mutter war die Tochter
eines verständnißvollen Sammlers von Gemälden,
Kupferstichen und bsaudzeichnungen. verlebte Ta-
landra seine Jugend innerhalb einer künstlerischen
Atmosphäre, wie auch in einer materiell behaglichen.
Mithin war nach Ablauf seiner Unioersitätsjahre
und seines Militärdienstes als Kavallerieoffiziers kein
Grund für den hübschen blonden, blauäugigen Jüng-
ling vorhanden, sofort einen Broderwerb zu ergreifen.
Einem inneren Trieb folgend trat er indessen in die
Turiner Akademie zum Studium der Bildhauerkunst
ein, während er zugleich die Salons der piemontesischen
Aristokratie besuchte, die ihm wegen seiner b^rkunft
und angenehmen Persönlichkeit offen standen. Ts ist
unter diesen Umständen nur begreiflich, daß die zuerst
von ihm ausgestellten Werke den Tharakter eitler Welt-
lichkeit trugen und er sein Können an ganz banale
Motive, hübsche Frauengesichter und dergl. setzte. Und
doch zeigten diese Arbeiten eine Feinheit und zarte Aus-
führung, wodurch sie Aufmerksamkeit erregten. Als
er nach ein paar Jahren das Unwürdige eines solchen
Verzettelns seiner jungen Kraft an elegante Nichtigkeiten
einsah, gab er plötzlich alle gesellschaftlichen Beziehungen
in jenen Kreisen auf, wo er als willkommener Gast
bisher verkehrt hatte. Er zog für einige Zeit auf die
malerischen Alpenhöhen, die unweit der Stadt Turin
aufragen. Dort, unter dem Einfluß der Natur, dachte
er ernstlich über seine Kunst nach und gelangte zur
Klarheit über das, was er wollte, „bsier," wie er
selbst sagte, „habe ich Menschen und Thiere studirt im
Licht der Sonne, in der Außenluft und ihrer natur-
gemäßen Umgebung. Ich überzeugte mich, daß Be-
leuchtung, Farbe, Milieu im gewissen Sinne materiell
sich mit im Objekt gestalten, es für unser Auge modi-
fiziren, und daß der Bildhauer nicht minder wie der
Maler, mit diesen äußerlichen Faktoren bei seiner
Wiedergabe der Wirklichkeit rechnen muß. Doch darf

selbst die treueste Darstellung in der Plastik nicht eine
rein materielle Wirkung hervorbringen. Diese soll
nur die Ergänzung zu dem großen Gesammteindruck
des Werkes bilden, das sonst ohne Wärme, ohne Seele,
ohne Wahrheit bliebe."
Die Frucht dieser Erkenntniß war zunächst eine
Reihe kleiner Bildwerke, in denen sich seine Fühlung
mit der Natur und, bei aller Kleinheit der Dimensionen,
das Bewegungsmotio auf's Lebhafteste ausgeprägt
zeigt. Die schönsten dieser Gruppen und Statuetten
sind „der Wilderer" und „der Pflüger", welch' letztere
jetzt in Rom im Museum für moderne Kunst ist. Das
Skizzenhafte ihrer Modellirung trägt dazu bei, einen
epitomisirten, suggestiven Eindruck hervorzubringen, wie
ihn die Modernen, die Rodin folgen, als Ziel an-
streben.
Talandra s Liebe zur Schönheit und den Traditonen
des Alterthums ist aber nicht unterdrückt worden in
der Rückkehr zur Natur. In diese Zeit fällt die mit
außerordentlicher Lebendigkeit modellirte Bronze-Statuette
„der Königsdragoner". Das feurige Naturell des
Pferdes, die temperamentvolle Bewegung des Reiters
stellen das Werk in eine Linie mit den besten der
Bronzen Fremiet's von ähnlichem Genre. Lebhaft und
schwungvoll ist auch die Skizze für ein projektirtes
Denkmal des waldenserführers Arnaud, und ein vor-
treffliches kleines Kunstwerk ist eine silberne Minerva,
ein Preis des piemontesischen Ruderklubs.
An dieser und noch vielen anderen kleineren Arbeiten
übte er seine pand für bedeutendere Aufgaben, während
zur selben Zeit jene persönlichen Ideen über die Denk-
malkunst in seinem Geiste reiften, die ihn später zu
einer führenden Stellung in der Opposition gegen die
konventionellen Anschauungen in dieser bsiusicht ge-
langen ließen. Ein Wettbewerb für ein Garibaldi-
Monument in Mailand gab Talandra s885 zum
ersten Mal Gelegenheit, seinen Ideen konkrete Gestalt
zu geben. Sein Modell gewann ihm den Preis, doch
wurde dann die allzu malerische Auffassung getadelt.
Diese Kritik befriedigte den Künstler, der daraus ersah,
daß er verstanden worden war, denn er hatte grade
ausdrücken wollen, daß Garibaldi ein wesentlich male-
rischer Gegenstand sei, dem mit einer streng plastischen
Auffassung weder in seiner Erscheinung, noch in seiner
Stellung inmitten des Risorgimento-Schauspiels genügt
werden könne. Die Statue wurde indessen nie errichtet.
Trotzdem sandte Talandra zu der s892 in Neapel er-
öffneten Konkurrenz seinen Mailänder Entwurf wieder
ein, freilich mit einigen bedeutenden Aenderungen. So
beseitigte er den herkömmlichen architektonischen Sockel,
indem er seinen darstellte, wie er über die
Trümmer der mittelalterlichen Welt hinweg seinen Mit-
streitern voran stürmt, inspirirt und geführt von der
Freiheit Dieses Mal erhielt er nicht den Preis. Der
Auftrag wurde statt dessen einem jener zahlreichen
offiziellen Steinmetzen ertheilt, die es der Unwissenheit
oder Intrigue zu verdanken haben, daß sie die öffent-
 
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