Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst-Halle — 8.1903

DOI Artikel:
Marasse, Margarete: Urbino und Piero della Farncesca
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0263

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. f 5 D i e A u n st - p a l l e. 227

ein Meisterwerk der architektonischen Perspektive. Die
Bilder Piero della Francescas besitzen den geheimnis-
vollen Reiz der offenen Fragen, jeder Beschauer dars
sie nach Belieben sertig denken, mit der Willkür des
Individuums die lebendige Gegenwart, Ldles und
Menschliches, Erhabenes und Weiteres hineinlegen, ganz
wie es ihm gut und richtig erscheint. Dem unschein-
baren Bilde in seiner stilvollen Reinheit hatte ich auch
äußeren vortheil zu danken. Mein langes Verweilen
an der bedeutsamen Stelle schien den: Kustoden ein
schmeichelhafter Beweis von der Feinheit meiner Seelen-
stimmung. Fortab widmete er sich mir allein, getrennt von
den Uebrigen durfte ich den Palazzo durchwandern. Die
Sehenswürdigkeiten darin sind nicht erdrückend, die
Räume nicht besonders groß. Die Kunst im Handwerk
steht im Mittelpunkt, elegant gewebte flandrische Wand-
teppiche, wundervolle Marmorkamine nut graziöser
Ornamentik, vor Allem aber ein Reichthum von per-
spektivisch köstlichen intarsirten cholzthüren und Wänden
geben dem Fürstensitz noch heute ein wohnliches An-
sehen. Besonders das kleine Studio des Herzogs
Federigo nut einen: Balkon, der eine neiderregende
Aussicht auf den Apennin erschließt, ist nach den: wohl-
bewährten, vornehmen Rezept eines geschmackvollen
Kunstmäzens des Quattrocento geschaffen. Man stellt
es sich gern vor, wie Federigo in dein stillen, kühlen
Raum die Maler empfing, die er an seinen chof berief.
Aus dem kleinen umbrischen Städtchen, wo er geboren
war, kam Piero della Francesca etwa um das Jahr 1,469
an den pof des Urbinaten, wo es ihm an Aufträgen
nicht gebrach. Freilich, seine pauxtdarstellungen sind,
wie die seines genialen Kollegen, nicht mehr in Urbino
zu suchen, aber während Raffael seine bedeutsamen
Inspirationen in Florenz und Rom empfing, wurzelt
Piero in dem Lande der Umbrer, in der Natur mit
dem leuchtenden Farbenschmelz, in der Kultur eines
mustergültigen pofes. Die schwere Aufgabe, den un-
schönen Herzog mit der berühmten pakennase und
etlichen Warzen, sowie dessen ebenfalls nicht bezaubernde
Gattin, Battista Sforza, zu porträtiren, hat der Künstler
in eigenartiger, überraschender Weise gelöst. Die Köpfe
in starrer Profilstellung ruhen auf dem Grunde einer
lachenden Landschaft und geben die Persönlichkeiten mit
einer Wahrheitsliebe wieder, die dem modernsten
Veristen Ehre machen würde. Die Bilder — sie befinden
sich heute in den Uffizien — besitzen bemalte Rückseiten,
auf denen der Hofmaler selbst das konventionelle Thema
eines herzoglichen Triumxhzuges kraft- und ausdrucks-
voll bearbeitet hat.
Line kurze Biographie vasari's giebt uns über das
Leben des heute so hochgeschätzten Piero della Fran-
cesca kargen Aufschluß. Lr war eine Art von Wander-
künstler und hat außer in Urbino in Bologna, Ferrara,
Rimini, Ancona und Arezzo Spuren seines wirkens
hinterlassen. Der Papst Nicolaus V., einst ein arm-
selig Schulmeisterlein, später der erste humanistisch ge,
bildete Pontifex, der in fieberhaft phantastischer Bau-

tätigkeit aus dem Vatikan eine Papstburg machen
wollte, die an einen orientalischen Fabelbau erinnert,
berief Piero della Francesca zur Ausmalung der Räume
des oberen Geschosses, der heute durch Raffael's
Schöpfungen berühmten Stanzen, nach Rom. Aber er
starb, ehe irgend etwas vollendet ward, und unter
seinen Nachfolgern trat eine Reaktion gegen seine Pläne
ein. Nur die kleine stimmungsvolle Tapella di Niccolo V.,
von Fra Angelico da Fiesole andachtsvoll ausgemalt,
erinnert heut noch in: Vatikan au jenen Papst, der mit
seinen Bauphantasieen den Tempel Salomonis in
Schatten stellen wollte.
Als sich unter Julius II. eine lachende Kunst-
stimmung über Rom verbreitete, nahm der ehrgeizige
Rovere, der durch seine Unterstützung schöpferischer
Geister vielleicht mehr als durch seine politischen Thaten
unsterblich geworden ist, die vatikanischen Baupläne
wieder auf. Bramante, auch im perzogthum Urbino
geboren, trat in päpstliche Dienste, und die Ausmalung
der Prunkgemächer im vatikanischen Palast wurde ohne
Rücksicht auf das, was schon bestand, was man ohne
Pietät vernichtete, dem größesten Meister seiner Zeit,
dem Urbinaten Naffaello, den: Sohn des peiligenmalers
und Reimschmiedes Giovanni Santi, anvertraut. Den:
liebenswürdigen Raffael mißfiel es, das schöne Werk
seines Vorgängers zu zerstören, er ließ Zeichnungen der
Fresken anfertigen,, die leider auch verloren gegangen
sind, und arbeitete selbst unzweifelhaft unter dem Ein-
fluß des Mannes, der wie keiner vor ihn: die Wirkungen
des Lichts studirt hatte. Den Geist Piero's spürt man
an: deutlichsten in der Stanza d'Lliodoro, die Befreiung
Petri mit dem eigenartigen Lichteffekt ist ein Beweis
für die unzerstörbare Kraft eines Genies, das in seinem
Ausdruck zwar vernichtet, in seinen: wirken aber nicht
gehindert werden kann.
Als ich mit den: Professor Luciano Nezzo, dem
Leiter der Malschule in: Palazzo Ducale selbst, auf das
im flimmernden Tageslicht strahlende pügelland von
Urbino blickte, klagte der tüchtige Künstler, daß man
schon im Mittelalter beständig und in rücksichtslosester
weise alle kostbaren Gemälde, Bibliotheken, Pracht-
werke nach Ron: oder Florenz geschafft habe, Urbino
sei nichts geblieben, als die stolze Burg, die ja zum
Glück nicht recht beweglich sei. Lin Trost war leicht
gefunden, pat Urbino an Denkmälern Pauptanziehungs-
xunkte verloren, so hat es sich durch seine abgelegene
Situation in dem schönen, waldreichen Umbrien, un-
berührt von der großen Peerstraße, seinen historischen
Lharakter unangetastet erhalten, wie kaum eine andere
Stadt Italiens. Raffael würde, so sagt, glaube ich,
Grimm, seine Vaterstadt mit den: glänzenden Schloßbau
und den Traditionen eines kunstliebenden und ritter-
lichen Koses unbedingt wiedererkennen. Bei Rom oder
Florenz würde ihn: das schwerlich möglich sein.
In Italien wirkt solch' ein Stehenbleiben auf der
Kultur der Renaissance manchmal die Seele erhebend
und erschütternd.
 
Annotationen