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Die Kunst-Halle — 8.1903

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Dworaczek, Wilhelm: Kunstempfinden und Geschäftsgeist: (ein Wort über Wiener Kunstverhältnisse)
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https://doi.org/10.11588/diglit.61999#0352

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306 Äie A u n st - H a l t e. 20

samkeit vieler Meister schon etwas unangenehm Ge-
schäftsmäßiges an sich, so ist dies noch mehr der Fall
mit dem Bestreben, seiner waare aus jede mögliche
weise Absatz zu sichern. Da werden künstlerische Ver-
einigungen gegründet mit neuen Schlagworten, denn
ein neues Schlagwort ist wenigstens für eine Zeitlang
eine gute Etiguette. Dem Publikum werden alle mög-
lichen falschen und willkürlicher: Begriffe von Modernität
eingeimpft, und jede Gruppe hat ihre eigenen Reklame-
macher, d. h. Wortführer in der presse, die mit mehr
oder weniger Geist und einem großen Aufwand an
Worten und Gefühlen dem großen Publikum die neuen
Werthe zu suggeriren bestrebt sind. Reine Strömung,
kein künstlerischer Versuch nach Originalität kann so
mißglückt sein, daß er nicht eine Gruppe von Anhängern
fände, die nun als eine bestimmte Klique auftritt, über
ihre noch geringe Zahl durch laute Sprache und Vor-
dringlichkeit hinwegtäuscht, und von der großen Menge
des ganz urtheilslosen Publikums, das um jeden Preis
gern modern sein will, immerhin einen Theil mit sich
fortreißt. Und wo nun einmal eine gewisse Anhänger-
schaft gesichert ist, dort ist auch ein gewisses Kreditiv
vorhanden, und die anfangs kleine Gruppe kann bereits
mit größerer Zuversicht und Prätension' auftreten. Die
begeisterten preßfreunde decken der Gesellschaft, was
das Künstlerische betrifft, den Rücken, und es ist nur
selbstverständlich, daß sich über kurz oder lang unter
den Proselyten der sogenannten neuen Richtung — die
ihre erste Entstehung vielleicht von dein Winkel eines
Künftler-Kafes herleitet — ein paar Kapitalisten finden
und das Geschäft kann unter der Firmenmarke einer
neuen Kunstströmung eröffnet werden. Es florirt solange,
bis die eigentlichen Gründer ihr Schäfchen im Trockenen
haben, dann flaut die erst flammende Begeisterung
wesentlich ab, die Flagge der neuen Kunst, die früher
als stolzes Banner wehte, wird auf halbmast gehißt.
Ein paar wirkliche Talente, die von den Schlag-
worten der neuen Ideale eingefangen wurden, und
sich ihnen mit ehrlicher Begeisterung hingegeben,
sind dabei künstlerisch zu Grunde gegangen und decken
das Schlachtfeld. Die früher Modernen, die Stürmer
und Dränger sind solid geworden, und benehmen sich
gegen die Rachstrebenden möglichst ablehnend und
konservativ, denn sie wissen aus eigener Erfahrung nur
zu genau, wie es gemacht wird, um den herrschenden
Geschmack zu verdrängen, und eine:: anderen an dessen
Stelle zu setzen.
Daß alle diese wenig erfreulichen Erscheinungen
viel dazu beitragen, wenn es mit der eigentlichen künst-
lerischen Entwicklung nur sehr langsam vorwärts geht,
ist begreiflich. Je mehr die Schlagworte von Modernität,
Jugend, neuer Kunst im Munde geführt werden, desto
spärlicher sieht es eigentlich mit jenem selbstverleugnen-
den Idealismus aus, der zu allen Zeiten das Gute
und nur das Gute um seiner selbst willen erstrebt und
erfüllten hat. wieviel Falsches, Hohles, Aeußerliches,
wieviel Mache, die sich für Können, Manierirtheit, die sich

für Originalität ausgiebt, muß das Publikum über sich
ergehen lassen, bis ihm eine reine und große Künstler-
gestalt, die aus dem vollen der eigenen Persönlichkeit
schafft und schöpft, ersteht und ihm eine wirkliche künst-
lerische Entwicklung darbietet, wie lange mußte der
größte moderne Maler Arnold Böcklin seine große
und doch naive Künstlernatur in geistiger Vereinsamung
ausleben, bis es den Jungen und Jüngsten gefiel, ihn
als künstlerisches Programm auf den Schild zu heben.
Und er hätte gewiß all des modernen Rummels, der
sich seiner bemächtigte,nicht bedurft, um wie ein erratischer
Block in der Entwicklungsgeschichte der modernen Malerei
dazustehen. Und Theodor von Hörmann mußte sich
vor der freien Natur den Todeskeim holen, ebenso wie
Segantini — von einem großen flammenden Idealismus
einer hingebungsvollen Liebe durchglüht, — ohne daß
es den beiden oder ähnlich gearteten Künstlern jemals
beifiele, in thätiger Vereinsmeierei für die Urbarmachung
des künstlerischen Bodens ihre letzten Kräfte zu ver-
schwenden. Und doch hat ein einziger Künstler dieser
Art die Entwicklung des modernen künstlerischen Em-
pfindens weiter gebracht, als alle Künstlervereinigungen
mit kühnklingenden Programmen, deren bestes wirken
zuletzt doch nur die Vermittlung ein paar großer künst-
lerischer Erscheinungen bildet, was natürlich auch ohne
den Tam-Tam ginge, der dabei geschlagen wird!
Aber das Geschäft erfordert Reklame. Ls liegt
im Zug der Zeit, daß das große Publikum betrogen
sein will. Auf alleu Gebieten, im kaufmännischen, wie
im künstlerischen Leben, hat die ehrliche solide Arbeit
ihren Werth, ihre Schätzung verloren. Die blendende
Auslage, eine die waare ins Dreifache vertheuernde
und dadurch verschlechternde Reklame locken das Publikum
an, das gern und willig hereinfällt. So wird auch
der still schaffende, von einer heiligen Liebe zur Kunst
durchglühte Künstler, sofern er nichts Besseres versteht
als blos seine Kunst, und nichts anderes einzusetzen hat,
als seinen künstlerischen Werth zur Seite treten müssen,
während die geschäftsklügeren geschickteren Kollegen im
Vordergründe stehen. And wenn es ihm nun gar nicht
gelingt, sich einer der herrschenden Kliquen anzuschließen,
dann wird er zu einem lebenslänglichen Idealismus bei
Wasser und Brot verurtheilt bleiben, indeß die klügeren
Kollegen bei den vollen Schüsseln sitzen. Das sind
traurige und unleugbare Thatsachen, an welchen aber
das Publikum zum großen Theil selbst schuld ist. Die
geistlose Sucht nach Modernität, das verständnißlose
Nachxlappern hohler Schlagworte, die servile Hoch-
achtung vor der klingenden Phrase und der aufdring-
lichen Prätension haben für alle die Zuchtpflanzen einer
verlogenen, künstlerischen Scheinkultur den Boden urbar
gemacht. Daß das Publikum bei alledem zuletzt selbst
der Betrogene ist, bleibt eine Genugthuung von sehr
platonischem Werthe.
Alle diese ungesunden Verhältnisse äußern sich auch
von Fall zu Fall in jeder künstlerischen Frage. So ist
es z. B. mit dem Streit um das städtische Museum der
 
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