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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 20
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Neumann, Ernst: Was die Kunst in Paris sagt
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Rapsilber, M.: IX. Ausstellung der Berliner Sezession
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Nr. 20

Die Run st-Halle.

genannt, eine Unzahl grüngrauer Menschenleiber auf-
baut, ähnlich wie Rubens in seinem „Jüngsten Gericht",
es ist eine Muskelorgie mit pathologischen Symptomen.
La Touche publizirt hier eine Serie Bilder, deren
hysterische Ursprünge nicht zu verleugnen find. Jean
Veber zeigt uns seine pemlich lebendigen Kretins,
Renouard okkuxirt nicht weniger, als einen ganzen Saal
für sich. Er ist der französische Allers und gesellschaft-
liche Skandalberichterstatter. Er ist ebenso fruchtbar
wie geschickt und besitzt einen großen Verehrerkreis.
Von kvhistler war eine kleine Nachlese zu sehen,
welche ihn wenig günstig vertrat. Von deutschen
Künstlern bemerken wir von von Beckerath ein breit
hingehauenes farbiges Gemälde, alte Frauen in bunten
Tüchern und eine in Gel gemalte, stark vergrößerte
Farbenradirung. Alfred Oppenheim hat unter anderem
ein ausgezeichnetes Selbstporträt ausgestellt, das einen
bessern Platz verdiente. Starke hat drei Bilder dort,
darunter eine „Kiu äe KermssZ", die an Derbheit einem
Matrosenfluch nicht nachsteht. Schramm-Zittau stellt
sein bekanntes Hühnerbild zur Schau. Ich hatte dasselbe
als eine farbenleuchtende Hofszene im Gedächtnis und
war erstaunt, wie matt und grau das ganze in der
französischen Nachbarschaft erschien.
Die Abtheilung des Kunstgewerbes macht einen
auserlesenen Eindruck, nicht viel und nur gediegene
Stücke. Es ist auffallend, wie wenig charakteristisch die
Erzeugnisse der verschiedenen nationalen kunstgewerb-
lichen Arbeiten sind. Lin englischer Geschmack mit
gothischen oder Lmpire-Grundzügen ist der allgemeine
Stempel des international erscheinenden Kunstgewerbes.
W

IX. Mrtellung Ser Zerliner 5ere§5ion.
«Schluß!
/A^^nter allen Gruppen der Sezessionsausstellung ist
die Münchner ohne Zweifel die bedeutendste
und charaktervollste und bietet am ehesten ein
Bild ausgeglichener und ausgereister Kunst und Kunst-
kultur. Das wird erkenntlich, obwohl die Sezessions-
herren nicht mit allem Nachdruck ins Zeug gegangen,
da sie auf die Minatur-Fa^on der Berliner Ausstellung
wohlwollend Rücksicht genommen haben. Daneben
treiht noch ein wilder Schößling Iungmünchens, die
Vereinigung der „Scholle", deren Grupxenausstellung
insofern wichtig ist, als sie zeigt, daß auch in der
neuesten Phase das vielgerühmte Münchner Stilgefühl
lebendig und befruchtend geblieben und zur Erzielung
eines hohen Niveaus beigetragen hat. Merkwürdig
aber ist der Umstand, daß die ganze Münchner Be-
wegung nicht einen einzigen Künstler in höchste Höhen
gefördert hat, so daß er einmal, wie Lenbach, in der
Weltgeschichte der Kunst ein Kapitel für sich zu bean-
spruchen hat. Vielmehr partizipiren an dem Münchner
Kapitel einige Dutzend Persönlichkeiten mit annähernd
gleich großen Anteilscheinen. Das ist der Segen und
der Fluch der intensiven Kunstkultur. Das hohe Niveau
nivellirt auch die Gipfel, so daß sich im Ganzen so
etwas wie ein glattes Hochplateau vor dem Auge aus-
breitet. Dieses Gleichniß der abgeglätteten und eben-
mäßigen Vollendung läßt sich noch weiter verfolgen bis
in das Schaffen der einzelnen Meister hinein. Die auf-
steigende Lmie der Entwicklung hat sich seit Jahr und

3U

Tag in die endgültige Horizontale hineingefunden.
Alle diese tonangebenden und führenden Künstler drehen
sich wie Götter oder Fixsterne immer um ihre eigene
Achse, auf Ueberraschungen oder neue Errungenschaften
haben sie und wir verzichtet, sie geben immer gleich-
artig ihr Letztes und Bestes und zugleich das Beste,
was zur Zeit in Deutschland im gegebenen Rahmen
möglich ist. An die einzelnen Namen knüpfen sich
stereotype Erwartungen: Benno Becker ergeht sich
nach wie vor in der toskanischen Landschaft in der
wundervollen Halbdunkelmalerei, Freiherr von Haber-
mann in der schwarzgrün kolorirten Weiblichkeit, Heuer
ist es ein sich entkleidendes Modell, Albert von Keller
in einer schummerigen Halbmystik, die sich diesmal an
der Skizze einer Auferweckung maßvoll malerisch ereifert,
Stuck steht in dem Profilkopf Richard Wagners auf
der Halbscheide seines graphischen und malerischen
Ideals, Christian Landenberger, einer von den
rückständigen Naturalisten, giebt natürlich wieder so
eine Schmierskizze, aus welcher die Wissenden einen
sogenannten Knabenakt herausahnen. Hans Lichten-
berger bewegt sich mit Grazie und Eleganz in der
Lebeweltsphäre, in Soupers, Varietes und Decolletes,
Hubert von Heyden zeigt an einem schwarzen Truthahn
von Neuem seine koloristische Noblesse, Strathmann an
einer Jux-Predigt des hl. Franz vor andächtig ver-
sammeltem Federvieh die Schrulle und den Glanz seiner
neubyzantinfich-dekorativen Manier, Edmund Steppes in
einer schönen Landschaft des oberbayrischen Vorlandes
die alterthümelnde Herbigkeit des ftilisirten Temperabildes
und Schramm-Zittau, der Thiermaler, seine Fähigkeit für
die Landschaftsimpression in Gestalt eines Dorfes,
das sich dunkel gegen den grauen Abendhimmel auflehnt.
Gewiß ist das alles sehr schön, nur daß es den Reiz
der Neuheit nicht mehr hat. Die Besonderheiten der
Münchner Gruppe sind die Bilder von Adolf Ober-
länder und Fritz von Uhde. Oberländer, der ein
Ehrenmitglied der Berliner Sezession ist, ordnet seiner
ganzen Art nach den Maler dem Zeichner unter. Sein
Kolorit ist spröde und unergiebig, trotzdem fesseln die
Darstellungen durch die Grazie des Humors und der
genialen Zeichnung, die Bilder des Amor, der den
Löwen bändigt, aber vor der Gans ausreißt, des
Zwerghaften Pastiches gegen den riesigen Löwenkoxf
und der behaglich gruppirten - Schweineheerde. Von
Uhde sehen wir zwei seiner berühmten Bilder aus
dein Jahre s883, den holländischen Leiermann und die
Münchner Trommler, die als erste Demonstrationen des
Freilichtes vor zwanzig Jahren in München ein
kolossales Aufsehen erregten, während zu derselben Zeit
und an demselben Orte die Meisterwerke eines Monet
völlig unverstanden und wirkungslos blieben.
Uhde verquickte damals das Evangelium des Lichtes
mit Menzel'scher Kleinmalerei und mit der hergebrachten
Liebe am Detail. Dogmatisch war das noch keine
Sezessionskunst. Die graue Nüchternheit setzte erheblich
später ein. Der Münchner „Scholle" ist ein besonderer
Saal eingeräumt und so ersieht man aus den Werken
eines Lrler-Samaden, Georgi, Bechler, Feldbauer,
Voigt, putz u. a. die Dressur auf das nämliche Ziel.
Ein breites Behagen, eine Naturburschenfreude am
Malen und Stilisiren strömt allen vier Wänden ziemlich
gleichartig aus. Ein höchstes Niveau ist aber nirgends
erreicht und keiner zwingt den Beschauer in den Bann,
so vortrefflich das Einzelne auch sein mag. Empfindlich
aber wird die Contenance der Gruppe durch ein
wüstes Renommir- und Kraftmeierbild gestört. Ich
meine den lebensgroßen Fechter von Fritz Erler, der
weniger als ein Bild und Kunstwerk als ein Plakat
 
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