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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 4
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Kirchbach, Wolfgang: Vers und Prosa?
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0043

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L)

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4. Stück.

Lrscbeint

am fünften u. zwanzigsten

Derausgeber:

zferdtnand Nvenartus.

Kcstcllprcis:
Vierteljährlich 21/2 Mark.

Zabrg. t.

Vers oder Hrosu?

tz^^^^or mir liegt ein Aussatz: „Diagnosen zur

N)ir werden darin be-
daß Goethe „Tasso" und „Iphigenie"
in Verse gebracht habe, um den
Nlangel an ^andlung und Lharakteristik zu verstecken,
daß Schillers Rhetorik dem Iambus zu verdanken sei,
daß unter denkenden Schauspielern eine Bewegung
gegen den Vers herrsche. Und die Summa der ge-
samten Lrwägungen: „Was ist der Grund dieser be-
sremdlichen Grscheinung? Ganz einfach der: wo es
gilt, Ideen Ausdruck zu verleihen oder der Sprache
des Gesühls in ungeschminktester kVahrheit das Mort
zu lassen, da bietet der vers eine Fessel und eine
^chranke". Also wieder das Gvangelium aus Spiel-
hagens „Theorie und Technik des Romans". Line
Fessel ist der vers. „Da liegt's," sagt chamlet.

Der Aussatz dünkt uns einigermaßen gesährlich,
weil er einem allgemein verbreiteten Vorurteil ent-
gegenkommt.

Fragestellung: U)ar Shakespeare ein denken-
der ^chauspieler? Tinigermaßen. N)ar Uioliere ein
denkender Schauspieler? Linigermaßen. Da sind
schon zwei von den Rnaben, die das Rlapphorn bliesen.
Nlerkwürdig: sie machten Verse. Nloliere schrieb im
Ansang s)rosa, wendete sich aber, von der „Vers-
krankheit" angesteckt, sehr bald zum Vers. Genau
wie Schiller. Das war doch wohl ein Bühnenprak-
tiker. N)er se selbst ein Stück mit Trsolg ausführte,
der beugt sich in Thrsurcht als ein armer Schüler
vor diesem Riesen, der Ausgaben bewältigte, dagegen
die größten s)robleme des Shakespeare leichts Arbeit
enthalten, sosern es sich um die technische sDrosektion
der Idee ins Bühnenmäßige handelt, dagegen ein
Dramatiker wie Rleist niemals aus den elementarsten

Dingen herauskam. Aber auch dieser höchst respek-
table Aleist: er brachte das j?reußentum und seine
realistische Nlilitärpoesie in Verse, Verse, die wie das
Rlirren von Bajonetten klingen:

„^eltsam! -— N)enn ich der Dey von Tunis wäre,
Schlüg ich bei so zweideut'gem Vorsall Lärm;

Die seid'ne Schnur legt ich aus meinen Tisch,

Und vor das Thor, verrammt mit s?allisaden,

Führt ich Uanonen und bsaubitzen aus.

Doch weil's l^ans Rottwitz aus der st)riegnitz ist —"
Das sind vorzügliche Verse! Ich kann nicht finden,
daß sie der Idee eine Fessel wären. Ich finde im
Gegenteil, daß sie die „Idee" erst lebendig machen,
in dramatische bchndlung und Bewegung umsetzen.
„Doch weil's chans Rottwitz aus der j)riegnitz ist!"
N)er sühlt nicht, wie der Tharakter des sprechenden
Uursürsten sich hier im Nhythmus ausspricht? N)ie
sür den Schauspieler der Vers zugleich die j?anto-
mime des Gedankens enthält? N)ie der Gedanke
damit zur chandlung, zur Darstellung wird? Lin
Vers von einer charakteristischen Uraft, der zudem
der Nedeweise des natürlichen Lebens nichts von
ihrem realistischen Scheine nimmt, sondern diesen im
Gegenteil herausstellt, den Nhythmus, nach dem
rnan im wirklichen Leben spricht, schlag-
sertig sixiert. Tin anderes Beispiel:

„Den vortritt hat das Rönigreich. Sehr gerne
Steht Rarlös dem Minister nach. Lr spricht
Für Spanien — ich bin der Sohn des b;auses."

(Tr tritt mit einer Verbeugung zurück.)

„„Der ^erzog bleibt, und der Infant mag reden.""

()ch hatte ein Gespräch mit einigen denkenden
Schauspielern, die eine helle Begeisterung über diese
und andere Verse Schillers aussprachen. Ltwa wegen
der „ck>chönheit der ^prache?" Der „Idealität" des
Vortrags und wie die bekannten st)hrasen über Schiller

Non Larl Bleibtreu. Schristftellerzeitung I. H2. ^z.



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