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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 9
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Horwicz, Adolf: Was ist Kunst?
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0114

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_S)

Lierschalen dieses Ursprungs abgeworfen, ja, die
Spuren derselben, wie wir gesehen haben, bis auf
diesen Tag nicht verloren hat, wie sie sich später aus
diesen kümmerlichen Anfängen heraus — immer das
Line aus dem Andern, der <Line aus der Schule,
Unterweisung oder dem Beispiel des Andern, eine
Nichtung aus der andern — derart entwickelt hat,
daß nun der Uundige an der Art der pinselführung,
am Stil u. s. w. leicht die Lntstehungszeit eines Runst-
werks anzugeben vermag: so ist die Uunstleistung eines
Mannes, eines volkes, einer Zeit, nach ihrer Form
wie nach ihrem Stoffe, nach ihren Meistern wie nach
ihrem j)ublikum, ein Ding der Ueberlieferung. Sie wird
verstanden, genossen nur als solches; was wäre vor
einem s)arterre von Zndianern und Botokuden unser
^amlet, unser Don Zuan? Sie wird von dem
Uünstler geübt nur als solche. Auch wo es Neues
giebt, geschieht das niemals sprung- oder stoßweise,
sondern anknüpfend an eine gegebene Uunstform,
deren Erweiterung oder Beschränkung eben das Neue
bildet. So ist sowohl die Uunstform als auch der
Runststoff etwas historisch Überliefertes; sie werden
aus dem volksgeiste, der volksgeschichte, aus den
ganzen geschichtlichen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen
Verhältnissen der Zeit geboren — wie die Lhebruchs-
dramen auf s)ariser Grund und Boden, väter und
Söhne u. s. w. nur auf russischem wachsen konnten.

Auf die Ueberlieferung sieht sich die Runst sowohl
von Seiten des schaffenden Rünstlers, als auch von
derjenigen des empfangenden publikums, ganz und
gar angewiesen. Das Neue, die geniale Schöpfung
wie die geistvolle Rritik, kann sich nur innerhalb,
nicht außerhalb der Ueberlieferung bewegen, wie denn
Beide — die eine subjektiv, die andere objektiv — die
eine Runsttradition bilden.

wir haben vom Schönen, von der ^auptsache,
noch nicht gesprochen. Alle Runst soll doch dem
Schönen, als ihrem letzten Zweck, folgen. Sollte es
angehen, von einer Sache zu sprechen ohne ihren
Zweck, der hier mehr wie sonst noch ihr wesen aus-
macht, zu berühren? wir haben es versucht, den
Begriff der Runst empirisch zu zeichnen, d. h. nach
den tsehren der Runsterfahrung, die mehr noch, als
jede andere Erfahrung, zu bedeuten hat, wenn man
es versteht, sie richtig zu gewinnen — den Begriff
der Runst zu geben ohne das Schöne, dieses gleich
ins Metaphysische führende Moment, zu erörtern.
Ls wäre auch leidlich gut gegangen, bis auf einen
j?unkt, wo wir von einem „idealen Gehalt" sprechen,
der offenbar an mannigfachen Schwierigkeiten leidet
und hinter welchem — dem Rundigen leicht erkennbar
— das Schöne, diese metaphysische dphinx, sich ver-
birgt. Don diesem aber handeln wir ein andermal.

Ndolpb Dorwicz.

Mundscbau.

Dtedtung.

* Zum buudertsten Aabrestugc von Kprous Gc-
burt* ist eine Bewegung dnrch die litterarische welt
Deutschlands gegangen, die sich in Festaufsätzen fast
aller Blätter und Blättchen äußerte. welches zweiten
„fremdländischen" Dichters Gedenktag hätten wir in
gleicher weise beachtet, den Shakespeares des Linzigen
vielleicht ausgenommen? wahrlich, Byrons Schatten
schreitet noch in gewaltiger Größe auch über unser
vaterland!

Zst es nur ein Schatten?

Byron lebte, als sein begnadeter Mund Dem
Sprache gab, was in den Herzen von Tausenden
stumm und gebunden lag, und seine flammenden Ge-
sänge der Tyrannei der Nlenschen und der Vorurteile
entgegenlodern ließ, lebte, da er oerketzert von Diesen
ward und zum Gott erhoben von Zenen, lebte,
lebte nie mehr, als da er sein Leben beglaubigt hatte
durch seinen Tod auf dem Boden von Griechenland.
Lr lebte, wenn Lebenzeugen Leben ist, in allen Län-
dern der gesitteten welt, da hundert Dichterflammen
sich entzündeten an seiner Glut, da wlillionen in ihm
erwacht sahen, was ihr Znnerstes träumend füllte,
da seine weltanschauung — man darf es sagen —
der Zeitgeist war. Lebt er noch?

Als Dichter wird er leben, so lange unsre heuti-
gen Anschauungen vom wesen der Dichtung noch
gelten. Ls wär' eine arme Zukunft, die nicht mehr
dem Fluge seiner j?hantasie zu weiter Ausschau sonnen-
wärts folgen, nicht mehr mit ihr niedertauchen könnte

zum läuternden Fegefeuer des Schmerzes. Ls wär'
ein kümmerliches Geschlecht, das die Schönheit feiner
Sprache nicht mehr genießen könnte, dieser Sprache,
in der das Aussprechen eines jeden worts das Neu-
schaffen eines jeden ist, daß keines alt und greisenhaft,
daß jedes dasteht, „herrlich, wie am ersten Tag".
wir wissen von Byron, daß er nur „Dilettant" sein
wollte, nicht Rünstler. Und gerade wegen seiner Runst,
wegen des wie seines dichterischen Gestaltens,
wird er bewundert werden durch die Zahrhunderte.

was aber, trügen nicht alle Zeichen, verblassen
wird, das ist der Zauber von Byrons s)ersönlich-
keit. Ts däucht uns: die Zeit naht ihrem Lnde,
die in unermeßlicher Bewunderung auf einen Wann
hinzublicken vermag, der aufging in der schrankenlosen
j?flege des eigenen Zchs, — war dieses Zch auch ein
großes und hatte es auch mit dem echten weltschmerz,
dem Trzeugnis des Witleids, von Fremdem in sich
aufgenommen, so viel es nur faßte. Uns däucht: den
Zahrzehnten der Zerrissenheit werden Zahrzehnte des
Zusammenfassens folgen mit einem Geschlecht, das
mehr um sich, als in ffch schaut, das zu begreifen, zu
bessern und zu bilden und schaffen sucht im ernsten
Dienste dessen, was Byron kaum kannte, der Arbeit.

A.

x Über Lmilc Aola spricht sich nun auch Georg
Brandes aus (Deutsche Nundschau 4). <Lr be-
handelt zunächst Zolas verhältnis zu Taine, dessen
Runsttheorie den erstern befriedigte. „<Ls war die alte,
hier nur von aller Wetaphysik befreite Lehre der
deutschen Ästhetik, daß das Ziel des Runstwerks das



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