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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 17
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Sprechsaal
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0250

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rakter eines Menschen ist seine sittliche Ligenart; und
zwar eigentlich betrifst das wort nur das 2Naß von
Gutem in ihm; uneigentlich gilt es dann auch als
Ausdruck des Aurßverchältnisses der guten und bösen
Instinkte in einer j?erson. Wir werten das Wort
nur nach seinem eigentlichen verstande, und fordern
mit der UXchrheit des Lharakters also nur die Treue
zu allem Guten in uns. Freilich besteht die Lchwie-
rigkeit, nicht immer deutlich erkeuneu zu können, was
das Gute in uns sei. wir können durch Fehlschlüsse
unserer Dernunft verleitet werden, etwas sür recht zu
halten, was als recht zu verwirklichen ein Anderes
in uns sich sträubt. Lbeuso können Impulse zum
Guten, wie beispielsweise zur wohlthätigkeit in uns
bestehen, denen immer und unbedingt nachzugeben,
vernünftige Linsicht uns verbietet. In solchen Ge-
wissenskonslikten haben wir nur den IVeg wahrhaftiger
Selbstprüfung, und wie wir uns dann immer ent-
scheiden mögen: wir hinterlegen als jchand sür das
zu leistende Gute unsere Verantwortlichkeit.

Von dieser Mahrheit, die zur ^elbstprüsung ver-
pflichtet, scheint Lrau Alving nicht den mindesten Be-
griff zu haben.

Die gute Frau, sie versichert uns selbst: „aus alle
Fälle steht es sest, daß ich mich mit mir selbst nicht
beriet" sals ich die The einging, ergänzen wiifl,
und gar naiv fragt sie: „Mas sageu ^ie denn von
mir, die hinging und sich mit einem gesallenen Aü.inne
trauen ließ?" die liebe Unschuld. Mas wir dazu
sagen'? Nnn, Frau Rammerrätin: daß Äe auch nicht

das mindeste Recht haben, sich zu beklagen, das sagen
wir.

Merkwürdig, Lrau Alving scheint gar kein Be-
wußtseiu davon zu haben, daß doch vor Allem sie
selber schuld daran sei, wenn es ihr in der Lhe nicht
immer nach wunsch ergangeu. Sie geht hin, läßt
sich mit eiuem gesallenen Manne trauen — weiß,
daß er ein Gesallener ist! heiratet ihn um seines
Geldbeutels willen, und hinterher wird sie gesühlvoll
und beklagt sich, daß es mit ihrer She doch nur
bloßer s)runk und Schein gewesen. Sie läust gedanken-
los in die <Lhe, verbindet mit der Form, die sie eiu-
geht, keinen Ainn, und wundert sich hinterher, daß
diese Form sinnlos, hohl, gespenstisch sei. Und nicht
genug daran; Frau Alving meint auch, so leichtsinnig,
wie sie selber, müsse die ganze übrige U)elt auch sein;
der Schluß wird gezogen: so sinnlos wie ihre eigene
Lhe seien wohl alle anderen — und übrigeus aller-
hand sonstige Ideale und Institutiouen — das kann
ja gleich so in Linem mitgehen — auch. Diese ?idea!e,
die Errungenschasten jahrtausendelaugen Utühens, sie
mögen nur gleich so mit der Sudelei ihrer Lhe zu-
sammengeworsen werden!

Nein. Das Alles ist bloßer kchnnbug. Institu-
tioneu überleben sich. U)ir werden in sie nicht mit
ganzem U>esen eiugehen können. So lassen wir sie
beiseite. Und kommt der Utaun mit der todesmutigen
F>eele, mit dem rechten Glauben an seiu Gntes, der
neue Luther: der mag sie zerschmelteru!

Ulri.ch Ulein.

Lose W

Dcr LensaLions-lllonmn *

U?ie schreibt man spanuend und sesselnd zugleieh?

Eine Anleitung

Lbcc>pI)U Lallbcim,

Gs läßt sich nicht leugnen, daß die Litteratur ihre
sogenannte praktische Seite hat, nämlich den Lrwerb,
womit man seine Lebensbedürsnisse bestreiten muß,
die, weun auch iu bescheidenem Utaße, trotzdem vor-
handen sind. Dichten heißt: sich einschränken. Gs
ist schwer, vom Versmaß allein zu leben, weshalb ich
meinen Schülern (und Schülerinnen) empfehle, sich
ebensalls auf den Uoman zu legen, der, mit Fleiß
und Ausdauer fortgesetzt, immerhin mehr einbringt
als nur ausschließlich Neimen, welches oft bedeutende
Selbstkosten verursacht. ()a, ja, Dichten ist tuxus.
Aber es giebt gottlob immer noch Solche, die ihn sich ge-
statten können und stets willkommen geheißen werden.

Für diejenigen nun, die davon leben wollen, fragt
es sich zuerst: welchen Noman soll man schreiben?

Die Antwort lautet: densenigen, der die weiteste
Verbreitung findet.

Dies ist der Aolportage- oder chensationsroman.

Lr wird nämlich in das Lsaus gebracht, oder, wie
man aus Deutsch sagt, kolportiert. — chensation be-
deutet so viel als schauerliches Aussehen. Das muß
der chchüler sich gut merken, denn nur aus diese Meise
wird er mit Lrsolg vorwärts kommen.

* Genehmigter Abdruck aus dem „A eolsharsen -

i Almanach" (Nerlin, Freund dc Ieckel).

lütter.

Moraus besteht zweitens der chensationsroman?
srageu wir weiter.

Antwort: Aus Geheimnisvollem*, Lieblichem, Gräß-
lichem und dem moralischen chchluß.

Zluf die Lrzählung selbst kommt nicht viel an,
wenn man nur dasür sorgt, daß Vornehme, Neiche
und Adelige als vollendete Schurken und Schuste, die
unteren Klassen dagegen edel und gut geschilderl
werden. 5onst mag das Volk den Noman nicht, und
der Rolporteur-Verleger macht kein Geschäst. Dies

bedenke der ^chüler jederzeit.

Die köauptsache ist der Titel, an den fich die k<a-
pitelüberschristen reihen**.

Die Titel zersallen in u. Geheimnisvolle, d. Lieb
iiche, c. Gräßliche.

a z. Geheimnisvolle Titel.
i des ^chlosses,

! der A'iühle,

Das Geheimnis des Klosters,

der Äuine

u. s. w. alle Baulichkeiten durch.

* Anm. Da es nicht Iedem möglich ist, Geheimnisvolles
zu erlangen, erlanbe mir anzuzeigen, daß ich durch die Ver-
bindnng init einem früheren Kriminalbeamten in den Stand
gesetzt bin, sehr schöne Geheimnisse sür ein Billiges abzugeben.
Gewöhnliche Geheimnisse schon von 2 Mark 50 Ps. an, ver-
wickelte 7 bis ;o Mark, besonders schanerliche nach Ueberein-
kunst, sast zum 5elbstkostenpreise. kVegen dcr Entsetzlichkeiten
und Gräßlichkeiten sordere man den ^pezialkatalog, srauko gegen
Einsendung von 60 ps. in Briesmarken. Ch. Ballheim.

** Neue, ungebrauchte Titel das Dutzend Mark
Aapitelüberschristen, cbeusalls srisch, die Mandel uur 2 Mark
sind ftets vorrätig bei: Th. Ballheim.

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