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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 16
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Gurlitt, Cornelius: Vor dem Berliner Schillerdenkmal
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0223

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16. Stück.

Lrscbeint

Derausgeber:

zferdinand NvenarLus.

Kesrellpreis:
vierteljährlich 2ch-z Mark.

Zabrg. 1.

vor dem Derliner LelittlerdenkniAl.

'ieber deutsch sterben, als tschechisch verder-
chen!" ^o schloß er seine Rede. Der von
' Menschen und Tabakrauch übersüllte Saal
(I^^^^^dröhnte vom Beifall wieder.

„wacker, wacker!" rjef man ihm nach Landessitte
zu. Leidenschaftliche H andbewegungen, stürmisches
Drängen gegen die Bednerbühne von allen ^eiten!
Man schüttelte dem Sprecher, einem stattlichen Bauern,
die Lsand. Die Lserren vom Borstandstisch zogen ihn
in ihren bireis. Tr wehrte ab, er hielt sich bescheideu
zu den Seinen, Aber sein Gesicht glänzte von der
Trregung, in welche seine eigene Nede ihn gebracht
und vom Stolz über seinen Trfolg. Die großen,
mänulichen, aber bäurisch harten Züge waren wie
erschlossen durch ein iuneres Feuer, die schwere, harte
Hand zitterte.

Mit Staunen hatte ich den vorgang mit ange-
sehen. Dicht an der ^üdgrenze der Lausitz wurden
in entlegenen böhmischen walddörferu Dolksversamm-
lungen abgehalten, in welchen, ein bei uns seltenes
Lreiguis, der Bauer das wort hatte. Lsier glühte
eine Begeisterung für das Deutschtum, von der man
im Reiche kaum eine Vorstellung hat. Nicht wie bei
uns waren es Zugelöbnisse zum vaterlande, das unser
eigen und unverlierbar ist, nicht der Ausdruck frohen,
sicheren Selbstgefühls, welche hier zur Aussprache kamen,
sondern tief erregte Rampfworte erschallten, Schwüre
der Treue für die deutsche Sprache, für deutsche Art,
glühende Blitze des bsasses zuckten gegen die Slawen,
welche Schritt für S>chritt vom Znnern Bähmens
gegen die an den Grenzen sitzenden Deutschen vor-
drängen. Die Nede des Bauern war ein Rleister-
stück gewesen. Linfach in den Gedanken, aber der
Ausdruck einer wahren inneren Trgriffenheit. Und
daher tief ergreifend. Anfangs, als er noch seine
Schüchternheit nicht überwunden hatte, brauchte er

einige Fremdworte in komischer weise, so daß einige
der anwesenden Stadtherren gelächelt haben mochten.
Tr hatte über die Rorruption in wien sich beschwert
und das wort nicht richtig ausgesprochen. „Za,"
ries er den Spöttern zn, „Zhr habt ganz recht, daß
Zhr lacht. warum laß ich dummer Bauer mich
d'rauf ein, anders zu reden, als mir der Schnabel
gewachsen ist." Und nun, indem er über die „Lotter-
wirtschaft" in der Reichshauptstadt loszog, gaben sich
die Gedanken in freier Form, störte nichts mehr den
Fluß einer kräftig schlichten Rede.

Zch hatte mich zu dem Wanne gesetzt. Zch war
begeistert von seiner Art. Noch nie hatte ich die
großen und hohen Gedanken der Liebe zu seinem
volke kühner vorgetragen, nie aus solchem Nlunde
gehört. wie elend kam mir das parteigezänk
bei den wahlen zum Neichstage, unsere ganze leiden-
schaftliche Trbitterung vor, solcher Nraft des Tmpfin-
dens, solchem ^tolz des Deutschtums gegenüber.

„Sie müssen mich in Berlin besuchen!"

„Das ist schon möglich, daß ich nach der Trnte
hinüber komme. Sehen möchte ich den Naiser, den
Raiser wilhelm meine ich, doch auch einmal!"

„Dann seien Lie mein Gast. Ts soll mir eine
Lreude sein, Sie zu führen!" . . .

Der Bauer aus der Gegend von Neichenberg war
in Berlin eingetroffen, mein Gast. ksier, inmitten des
großstädtischen Treibens, sah er freilich etwas anders
aus, als daheim im Gasthofsaale seines Dorfes. ^eine
^chlichtheit, seine ehrliche Geradheit waren dieselben.
Tbenso sein Deutschtum. Lr sah den Naiser am Fenster
stehen, als die wache vorüberzog. Zwei Thränen
liefen ihm über die Backen.

„Der wird's nicht leiden, daß sie uns zu Tschechen
machen! Das Schönste in ganz Berliu ist, daß es


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üöer asse Deöieie^e§Mcbönea.

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