Arthur Fitger sagt gelegentlich einer Bilderbesprech-
ung in der „Weser-Ztg." von jener Nichtung, sie
stehe „allen andern Grundsätzen entgegen, welche, ob
sie nun die Achönheit der Form, oder die der Farbe,
oder die des Lichtes, den ^chwung der Kornposition,
oder die Zartheit der Durchführung, oder welche
Ligenart es sonst sei, zumeist betonen, doch sich dahin
vereinigen, daß die Lrscheinung eine in der Seele
des Malers vorempfundene kharmonie, das Lndziel
aller Künstlerschast sei. Diese in der Seele des Malers
vorempfundene kfarmonie nennt man kurzweg Zdeal;
aber es ist Thorheit, von einem Zdeal zu sprechen;
es giebt deren Tausende, ja die ganze ältere Runst
von Giotto bis Nembrandt und noch weiter war trotz
ibrer unermeßlichen Derschiedenheiten eine Runst des
Zdeals, und die derbsten Niederländer wissen vermöge
eines zauberhaften Zusammenklangs ihrer Töne die
schmutzigsten Bauernkneipen ebensowohl in das Neich
des Zdeals emporzuheben, wie die alten Florentiner
ihre kfimmelsköniginnen und bseiligen durch den un-
aussprechlichen Adel der Form und der Geberde über
die Trdenwelt hinausrückten. Alle die alten Awister
wollten ihre Seele darstellen; nnd je nachdem ihre
Seele die sie umgebende grenzenlose Natur aufsaßte,
gestaltete sich ihr Runstwerk. Der moderne Naturalis-
mus dagegen hat statt der Seele höchstens ein Beob-
achtungsinstrument, oder noch besser, einen photo-
graphischen Taschenapparat bei sich; ihm ist es ledig-
lich darum zu thun, die Sache an sich, so wie sie
Lsinz und Runz zu sehen pflegen, aus die Leinewand
zu bringen. Gegen dieses s)rinzip wäre schon sehr
viel einzuwenden, und wenn es der Raum gestattete,
würden wir gern eine Abschweisung in das Gebiet
der Ästhetik und Nletaphysik machen; vollends vcr-
werslich ist aber die nunmehr beliebte Anwendung des
Grundsatzes von der wahren ungeschminkten Natur.
Denn trotz des Götzendienstes, der mit ihr getrieben
wird, drücken sich doch die sogenannten Naturalisten
ganz scheu und seige aus der großen allumfassenden
Natur weg und in einen kläglieb engen winkel zu-
sammen, über dessen ^cheitelpunkt sie nicht hinauszu-
sehen oder zu greifen wagen. Zhnen besteht die
Natur aus lauter bfäßlichkeiten. Wenn einmal die
Bilder eines Rienzel, ^carbina, Liebermann, Uhde
und anderer ähnlicher Uwister durch einen Dämon
nach dem jAaneten Ulars hinauf getragen würden,
dann würden die dortigen Leute fich schwerlich des
innigsten Nütleids mit der armen Trde erwehren
könncn, die ausschließlich von defekten Zndividuen be-
wohnt, weder Grazie noch vollendete Rraft zu kennen
scheine. Der Mensch dieser Naturalisten ist immer
ein ärmlicher wicht, unreis oder alternd, mager oder
fett, immer durch zahllose Schranken beengt und be-
dingt, niemals das, was eigentlich aus ihm hätte
werden sollen und können, wenn die Ulisere des All-
tags nicht seit seiner Geburt auf ihm gelastet hätte.
Diese naturalistische Malerschule oder vielmehr Sekte
in der Malerei berührt sich mit Zbssn und seinen
Anhängern in der s)oesie. Dcr norwegische Drama-
tiker schildert auch nichts als Menschen, die in der
Misere der modernen N)elt stecken und zu Grunde
gehen; er verschmäht fede dichterische Metapher, jeden
breit und pathetisch einherwogenden Ausbruch des
Gefühls, — ein ganz magerer Dialog, ein Gespräch
über Butterpreise, ein Ah und Na sind ihm genügende
künstlerische Ausdrucksmittel. Aber das Gebiet des
Dichters ist das Lserz, und wenn er dessen Falten uns
bis in die tiefsten Tiefen darlegt, so hat er die Haupt-
sache seiner Aufgabe erfüllt, gleichoiel ob er (ohne
übrigens eine j)arallele zu ziehen) mit ^chiller'schem
j)athos oder mit Zbsen'scher Dürre redet, und selbst
die Butterrechnung in Zbsens wildente müfsen wir
uns gefallen lafsen, weil sie Gelegenheit giebt, in das
bserz zweier schweigsamen, opferwilligen Frauen zu
blicken; wir sehen gleichsam durch eine elende Thür-
spalte in ein Gemach voll seltener, sorgsam gehüteter
Schätze. Nnd hier besteht bei aller scheinbaren ver-
wandtschast der große Unterschied zwischen den natura-
listischen Dichtern und den naturalistischen Nlalern.
N)enn der Maler jeden Adel der Form, jeden Zauber
der Farbe, jeden Schwung der Romposition verschmäht,
dann verschmäht er nicht etwa wie der Dichter nur
Lsilssmittel, sondern er verschmäht die Sache sclbst,
denn das Gebiet des Nialers ist nicht die unsichtbare
Seele, sondern der sichtbare 'Rörper. Menn der Nlaler
uns über unschöne Linien, eisgraue und kunterbunte
Farben damit trösten will, daß er uns Linblick in
eine schöne Seele verschaffe, oder daß er uns eine
Thatsache völlig so darstelle, wie sie sich zugetragen,
so ist er nicht mehr in erster Linie Maler, sondern
j)sycholog oder bsistoriker, oder Gott weiß was, und
wir müßten ihm entschieden dankbar sein, wenn er
sich eincs dem Derstande gemäßeren Mlittels als Form
und Farbe bedienen wollte. Wenn er aber vollends
nichts weiter will, als nur zeigen, wie treu cr das
erste beste Stück Natur abzukonterfeien verstehe, so
mag er freilich den großen bjaufen für einen Augen-
blick verblüffen; aber die feiner gebildete Nttnderzahl
wird, wenn sie nicht den Ausdruck einer vorempfun-
denen ksarmonie in seinem Bilde zn erkennen vermag,
sich immer von ihm abwenden, wie von einem tönen-
den Lrz und einer klingenden Schelle."
Vom
* In einem Aufsatze über den Briefwechsel zwischen
Goethe und Larlyle, den A. Lasson in der „Nat. I." drucken
ließ, finden wir die folgende Stelle: „Diese Bildung der
Deutschen, eben das, was unsere Nation neu für die Welt-
geschichte hervorgebracht und was in Goethe volles persön-
liches Leben gewonnen hat, ruht ganz und gar auf der Ästhetik.
Alles inenfchlich und göttlich Große und wahre wurzelt für
diesen 5tandpunkt im Zchönen. . . . Der Kultus des 5chönen
i ist bei unserer Nation der Ausgangspunkt geworden für die
Tage.
Bildung der perfönlichkeit, für die organische weltanschauung,
für den Idealismus des sittlichen und religiöfen Lebens.
Darin liegt denn zugleich das überaus Fremdartige, das die
deutsche Bildung für den Fremden haben mußte, darin die
versöhnende und heilende wirkung, die Goethe der Dichter
und Denker auf Diejenigen üben konnte , die sich in ihn ver-
ständnisvoll zu versenken vermochten. — Goethe und die
deutsche Bildung, das ist nicht zweierlei, fondern eins. Die
Andern ringen und mühen sich; er hat's von vornherein.
ung in der „Weser-Ztg." von jener Nichtung, sie
stehe „allen andern Grundsätzen entgegen, welche, ob
sie nun die Achönheit der Form, oder die der Farbe,
oder die des Lichtes, den ^chwung der Kornposition,
oder die Zartheit der Durchführung, oder welche
Ligenart es sonst sei, zumeist betonen, doch sich dahin
vereinigen, daß die Lrscheinung eine in der Seele
des Malers vorempfundene kharmonie, das Lndziel
aller Künstlerschast sei. Diese in der Seele des Malers
vorempfundene kfarmonie nennt man kurzweg Zdeal;
aber es ist Thorheit, von einem Zdeal zu sprechen;
es giebt deren Tausende, ja die ganze ältere Runst
von Giotto bis Nembrandt und noch weiter war trotz
ibrer unermeßlichen Derschiedenheiten eine Runst des
Zdeals, und die derbsten Niederländer wissen vermöge
eines zauberhaften Zusammenklangs ihrer Töne die
schmutzigsten Bauernkneipen ebensowohl in das Neich
des Zdeals emporzuheben, wie die alten Florentiner
ihre kfimmelsköniginnen und bseiligen durch den un-
aussprechlichen Adel der Form und der Geberde über
die Trdenwelt hinausrückten. Alle die alten Awister
wollten ihre Seele darstellen; nnd je nachdem ihre
Seele die sie umgebende grenzenlose Natur aufsaßte,
gestaltete sich ihr Runstwerk. Der moderne Naturalis-
mus dagegen hat statt der Seele höchstens ein Beob-
achtungsinstrument, oder noch besser, einen photo-
graphischen Taschenapparat bei sich; ihm ist es ledig-
lich darum zu thun, die Sache an sich, so wie sie
Lsinz und Runz zu sehen pflegen, aus die Leinewand
zu bringen. Gegen dieses s)rinzip wäre schon sehr
viel einzuwenden, und wenn es der Raum gestattete,
würden wir gern eine Abschweisung in das Gebiet
der Ästhetik und Nletaphysik machen; vollends vcr-
werslich ist aber die nunmehr beliebte Anwendung des
Grundsatzes von der wahren ungeschminkten Natur.
Denn trotz des Götzendienstes, der mit ihr getrieben
wird, drücken sich doch die sogenannten Naturalisten
ganz scheu und seige aus der großen allumfassenden
Natur weg und in einen kläglieb engen winkel zu-
sammen, über dessen ^cheitelpunkt sie nicht hinauszu-
sehen oder zu greifen wagen. Zhnen besteht die
Natur aus lauter bfäßlichkeiten. Wenn einmal die
Bilder eines Rienzel, ^carbina, Liebermann, Uhde
und anderer ähnlicher Uwister durch einen Dämon
nach dem jAaneten Ulars hinauf getragen würden,
dann würden die dortigen Leute fich schwerlich des
innigsten Nütleids mit der armen Trde erwehren
könncn, die ausschließlich von defekten Zndividuen be-
wohnt, weder Grazie noch vollendete Rraft zu kennen
scheine. Der Mensch dieser Naturalisten ist immer
ein ärmlicher wicht, unreis oder alternd, mager oder
fett, immer durch zahllose Schranken beengt und be-
dingt, niemals das, was eigentlich aus ihm hätte
werden sollen und können, wenn die Ulisere des All-
tags nicht seit seiner Geburt auf ihm gelastet hätte.
Diese naturalistische Malerschule oder vielmehr Sekte
in der Malerei berührt sich mit Zbssn und seinen
Anhängern in der s)oesie. Dcr norwegische Drama-
tiker schildert auch nichts als Menschen, die in der
Misere der modernen N)elt stecken und zu Grunde
gehen; er verschmäht fede dichterische Metapher, jeden
breit und pathetisch einherwogenden Ausbruch des
Gefühls, — ein ganz magerer Dialog, ein Gespräch
über Butterpreise, ein Ah und Na sind ihm genügende
künstlerische Ausdrucksmittel. Aber das Gebiet des
Dichters ist das Lserz, und wenn er dessen Falten uns
bis in die tiefsten Tiefen darlegt, so hat er die Haupt-
sache seiner Aufgabe erfüllt, gleichoiel ob er (ohne
übrigens eine j)arallele zu ziehen) mit ^chiller'schem
j)athos oder mit Zbsen'scher Dürre redet, und selbst
die Butterrechnung in Zbsens wildente müfsen wir
uns gefallen lafsen, weil sie Gelegenheit giebt, in das
bserz zweier schweigsamen, opferwilligen Frauen zu
blicken; wir sehen gleichsam durch eine elende Thür-
spalte in ein Gemach voll seltener, sorgsam gehüteter
Schätze. Nnd hier besteht bei aller scheinbaren ver-
wandtschast der große Unterschied zwischen den natura-
listischen Dichtern und den naturalistischen Nlalern.
N)enn der Maler jeden Adel der Form, jeden Zauber
der Farbe, jeden Schwung der Romposition verschmäht,
dann verschmäht er nicht etwa wie der Dichter nur
Lsilssmittel, sondern er verschmäht die Sache sclbst,
denn das Gebiet des Nialers ist nicht die unsichtbare
Seele, sondern der sichtbare 'Rörper. Menn der Nlaler
uns über unschöne Linien, eisgraue und kunterbunte
Farben damit trösten will, daß er uns Linblick in
eine schöne Seele verschaffe, oder daß er uns eine
Thatsache völlig so darstelle, wie sie sich zugetragen,
so ist er nicht mehr in erster Linie Maler, sondern
j)sycholog oder bsistoriker, oder Gott weiß was, und
wir müßten ihm entschieden dankbar sein, wenn er
sich eincs dem Derstande gemäßeren Mlittels als Form
und Farbe bedienen wollte. Wenn er aber vollends
nichts weiter will, als nur zeigen, wie treu cr das
erste beste Stück Natur abzukonterfeien verstehe, so
mag er freilich den großen bjaufen für einen Augen-
blick verblüffen; aber die feiner gebildete Nttnderzahl
wird, wenn sie nicht den Ausdruck einer vorempfun-
denen ksarmonie in seinem Bilde zn erkennen vermag,
sich immer von ihm abwenden, wie von einem tönen-
den Lrz und einer klingenden Schelle."
Vom
* In einem Aufsatze über den Briefwechsel zwischen
Goethe und Larlyle, den A. Lasson in der „Nat. I." drucken
ließ, finden wir die folgende Stelle: „Diese Bildung der
Deutschen, eben das, was unsere Nation neu für die Welt-
geschichte hervorgebracht und was in Goethe volles persön-
liches Leben gewonnen hat, ruht ganz und gar auf der Ästhetik.
Alles inenfchlich und göttlich Große und wahre wurzelt für
diesen 5tandpunkt im Zchönen. . . . Der Kultus des 5chönen
i ist bei unserer Nation der Ausgangspunkt geworden für die
Tage.
Bildung der perfönlichkeit, für die organische weltanschauung,
für den Idealismus des sittlichen und religiöfen Lebens.
Darin liegt denn zugleich das überaus Fremdartige, das die
deutsche Bildung für den Fremden haben mußte, darin die
versöhnende und heilende wirkung, die Goethe der Dichter
und Denker auf Diejenigen üben konnte , die sich in ihn ver-
ständnisvoll zu versenken vermochten. — Goethe und die
deutsche Bildung, das ist nicht zweierlei, fondern eins. Die
Andern ringen und mühen sich; er hat's von vornherein.