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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 5
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Rundschau
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0061

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kann." An der Kirche, ain Rathaus, an Statucn oder Ab-
güssen, am Bilde selber soll der 5chüler die Bedeutung der
Teile und des Ganzcn erkennen: „erst wenn er selber die
Entdeckung gemacht hat, daß es im Grunde nur drei Forinen
des Aapitells giebt und sie selbständig unterscheiden kann, dars !
er ihre Namen erfahren, u. s. w." Anch den 5inn für Na- !
turfchönheit müssen wir psiegen. viel Zeit braucht's für das !

alles nicht: dann und wann ein Spaziergang mit dem Zeichen-
lehrer bildet die ganze „neue Belastung" und genügt, wird
nur auch sonst die Psiege der Anschanungskraft im Auge be-
halten. Lachtwarsi, der in seiner Schrift immer der bcsondern
verhältnisse ksamburgs gedenkt, teilt mit, daß die verwaltung
der dortigen Annsthalle, deren Vorstand er ist, „mit Linführ-
ungs-Rursen für die Lehrer den Anfang machen wird."

Lose Klätter

„DLe verleumdungsseucde"

oder: Liii deutseber Lcbritttorscber

oder: Liiie tpptscbe Tragikomödie.

Ls ist nicht zu leugnen, wir Deutschen sind in
der großen Nlehrzahl ein undankbares Volk. Du
weißt es, o Leser, was für Aufhebens man von dem
weiland Lsomeros macht, der ja nach vieler Gelahrter
Beweis am <§nde nur ein geschiekter Sammler und
lherausgeber griechischer l^eldensagen war. <§s ist,
als fehle dem Deutschen das verständnis und die
Lsochachtung vor dem mühevollen Amte des §uchens
und Sammelns; ja, mitunter möchte es scheinen, als
schwebe ein Verhängnis über solchem Thun.

<§rscheint da ein Büchlein bei Lserm. Nisel Lo.
in Lsagen, eine „kritische 2lnalyse" von Nl. von Lck-
städt, die sich betitelt: „<§in deutscher Lchriftstehler".
In dem Ausdruck „Lchriftste h ler" liegt meines
Bedünkens eine gewisse Nüßachtung, die Denjenigen,
dem sie gilt, den Dichter Rarl Böttcher in diesem Fall,
unangenehm berühren muß. Denn mit dem Morte
„Ltehlen" bezeichnet der Iurist eine an und für sich
immerhin unerlaubte Meguahme fremden Ligentums,
welche (wenn es herauskommt) sogar bestraft wird.
lVie sehr taktlos würde man es nun finden, sagte
Liner dem Ljomeros nach, er sei ein „griechischer
Lchriftstehler" gewesen, dieweil er die besten werke
seiner Landsgenossen ohne (Huellenangabe unter seinem
Namen herausgegeben? Ltwas Anderes aber als
das Lntsprechende hat dieser Herr Böttcher nie
gethan!

Ieder Lachkenner giebt es zu, daß unter den
t.2 000 Lchriftstellern, welche im „Kürschner" stehen,
manche sind, die nicht zu den kfervorragenderen ge-
hören. Dieses zu verlangen wäre auch anmaßend
und unbillig. Denn was würde daraus werden,
wollte Zedem der (2 000 selber Ltwas einfallen?
Und khand aufs L^erz, lieber Freund, auch Du bist
oft hinaus in den lVald gegangen, zum Zwecke des
Dichtens, und es ist Dir nichts eingefallen. Und so
ähnlich mag es auch oft Herrn Uarl Böttcher ergangen
sein, als er bereits wegen seiner „Brunnengeister"
oder „Uarlsbader Lchlendertage" einen Uontrakt ge-
schlossen hatte. Und hier nun tritt der Unterschied
zwischen dem Talent und dem j?rivatmann
deutlich zu Tage. Der jDrivatmann, wenn ihm Nichts
einfällt, ergiebt sich mutlos in die Lchickung — das
Talent läßt an Ltelle der erlahmten Lchaffenskraft
den freudigen Forschergeist treten. An wieviel köst-
lichen j)erlen hat man sich nicht ergötzt, wenn man
die werke deutscher, französischer und russischer Dichter
las, die letzteren in Uebersetzung, versteht sich! j?erlen,
welche so oft viel zu wenig beachtet geblieben, viel
zu wenig zur Freude der Allgemeiuheit benützt! U)ie,

! wenn man diese köstlichen j)erlen eines Börne und

Lcherr, eines Daudet uud Turgenieff zu einem Ge-
schmeide vereinigte, wenn man zwischen sie „Brillanten"
einreihte, gehoben aus der Tiefe unserer beliebtesten
Feuilletons: gäbe das nicht ein j)rachtstück, Andern
zur wonne und uns zum Nuhm? Und nennt denn
der Goldschmied seinen Runden den Goldgräber, der
Zuwelier den j?erlenfischer?

Von Böttcher verlangte man, daß er's thäte!
Ltatt sich dankbar seiner Arbeit zu freun! Denn was
sein forschendes Auge begonnen, vollendete seine
sieißige Hand. Zu dreien Ubalen sank das Tages-
gestirn herab über seinem Lchaffen, und zu dreien
Ulalen lächelte der U^ond auf den Arbeitstisch, an
dem der stille Gelehrte, des Gottes voll, über Lchere
und Uleistertopf sich beugte: dann war sein erstes
Usierk vollendet. Und von jetzt an ruhtest Du nimmer,
Du deutscher Lchriftforscher! Nimmer rastend fuhrest
Du fort, zu suchen, zu sammeln, zu schneiden und zu kleben.

Aber was war Dein Lohn, außer dem, welchen
Dein verleger Dir zahlte? ^ob Dich jubelnd die
deutsche Nation unter ihre Dichter und Denker?
Nahten sich ehrsurchtsvoll von sieben Ltädten die
Bürgermeister, Dir einen j?latz für Deine wiege zur
Verfügung zu stellen? Nichts von alledem! Den
bittersten Lchmerz mußtest Du erfahren: ein Usieib,
das (wie Du andeutest) von Dir Ulinne genossen,
nimmt Deine schmutzige wäsche und hängt sie auf
vor den Augen des si)ublikums!

Das waren trübe Lrfahrungen, die Böttcher
wurden, Lrfahrungen, welche einen Rleinmütigeren ent-
mutigen könnten. Lr aber ist groß, ist erhaben über sein
U)eh. Den eigenen Lchmerz, welchen ihm die einstige
Freundin zugefügt hat, die sein Nsiirken so sehr ver-
kennt, indem sie Zeile um Zeile und U)ort um U)ort
Böttcher vergleicht mit Daudet uud Böttcher mit
Turgeniew und Böttcher mit Lcherr und Böttcher
mit Börne — er erweitert ihn zum Usieltschmerz.
Uon der „verleumdungsseuche" spricht er in
Nr. 3 6 des „Magazins" zum Zn- und Auslande.
Ulan wähne nicht, daß er, kleinlich genug, etwa dort
der hämischen Fragerin Nede stehe auf ihre Fragen.
Auf das Gebiet solch uebeusächlicher Dinge folgt ein
Böttcher auch da seiner Feindin nicht, wo sein
Lchweigen mißdeutet werden kann, gleich dem Lchwei-
gen der Zungfrau von Mrleans auf die Anklage der
Lsexerei. Aber mit flammenden Usiorten greift er an
unser Herz, mit erschütterndem Mehe, kVehe, Wehe
über die Lchlechtigkeit und Bosheit der U)elt. Und
wir hören's schaudernd von ihm, „daß so viele
Nlenschen ein — ganz gemeines Gesindel sind".
Dann aber richtet er uns durch seine Begeisierung
auch wieder auf. „Deshalb nicht an der herrlichen
Gotteswelt verzweifeln, mein Freund!" so ruft er

s-

(s


— ZZ —

-S
 
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