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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 1.1887-1888

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Heft 5
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Reichenbach, Woldemar von: Kunst und Staat
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https://doi.org/10.11588/diglit.11723#0056

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das alte chinesische Reich; hat er auch sene Kraft
nicht einmal, versällt er, stirbt.

was hier vom §taat gesagt ist in seinem ver-
hältnis zu wissenschast und Runst, gilt auch von
wissenschaft und Runst selber, was vom Ganzen gilt,
qilt auch vom Teil, was von der Runst als der Be-
thätigung des Rönnens überhaupt gilt, gilt auch von
den Rünsten im engeren Sinne, den schönen
Rünsten. Line unerläßliche Bedingung des Runst-
werks ist also, daß es anregend wirke auf den Geist,
sei es des Ginzelnen, sei es des Volks oder der
wenschheit. Za, der Größe der Anregung entspricht
sein Schätzungswert und seine Bedeutung. Wan kann
im entsprechenden Sinne vom Lrsterben eines Kunst-
werks sprechen, wie eine Staatsform erstirbt, die durch
eine bessere ersetzt wird, wie die ältere Dichtung, das
ältere Gemälde erstirbt, wenn sein wesentlicher Gehalt
in besserer Gestalt erneut an den wlenschen herantritt.
Rönnen und wissen ohne belebende Araft, und der
Baum der Rultur verdorrt, das Lntwickelungsfeld
des Wenschengeistes wird enger und kahler. Staat
und Gesellschast haben das gewichtigste Interesse an
der Lebenskräftigkeit und gedeihlichen Gntwickelung
der Aünste. Ganz natürlich. Ie inehr wir edleren
Genüssen zugänglich sind, desto minder reizen uns die
rohen, desto mehr wird uns zu „wesenlosem chcheine"
das, „was uns Alle bändigt, das Gemeine". wir
werden unabhängig dadurch, wir werden frei. Den
xlagt nicht der Neid mn Austern und Lhampagner
der Neichen, der in einem Zwanzigpfennigbüchlein
ungleich herrlichere Genüsse entdeckt hat. wir werden
frei und haben unsere Aräfte für edlere Dinge zur
Derfügung, als zmn wttthasten nach Geld und Gut.
Und bewußt oder unbewußt, im Großen oder im
Aleinen: wir arbeiten mit an der weiterbildung und
^öherentwickelung unseres Geschlechts. Unser Gehirn-
leben verfeinert sich, unsere Arbeit entfernt sich mehr
und mehr vom Automatentum, sie mischt sich mehr
und mehr mit sener weiterbildenden, wenn sie nicht
ganz und gar in sie übergeht. Das ist im Neiche
der reinen wissenschaft und der fchönen Aünste
der Fall.

Ursprünglich angeregt von der Natur, die ihn
hier angenehm, dort unlustbringend berührte, suchte
der Geist nach den Bedingungen der wohlthuenden
oder schmerzlichen Grregung und begann, durch sinn-
lich wahrnehmbare Nachahmung, durch Ton, Uttmik
oder Bildwerk das Tmpfundene oder Gefundene zu
individualisieren. Ze reicher das Seelenleben, desto
reicher seine Darstellung, das schöne Nunstwerk. Das
wort wird zur poesie, der Ton zur Wusik, die ersten
rothen Linien werden zur Walerei. Gb aber die
Leidenschaft in ihrem Tntstehen, ihrem Sein, ihrer
Strafe, ob Tugend und Laster, Liebe und Nächsten-
liebe, ob §timmungen des Menschen- oder Naturlebens
dargelegt werden, immer werden die schönen Rünste
nach Linem streben: nach ^armonie, nach dem Aus-
gleich des widerstreitenden, nach dem aus innerer
Nlärung und Läuterung erwachsenen edlen Genusse.
was immer s)hilosophie und wissenschaft gefunden,
die „schönen Rünste" fassen es in sicht- und hörbare
Gestalt, sprechend und wirkend zum Volke. Tine
Zdee, die mühselig zu erklären und mühselig zu fassen
wäre, erwächst, wie j^allas Athene aus dem i^aupte !

des Zeus, fertig aus dem Runstwerk, lebendig redend
und unmittelbar verständlich. So ist die schöne Runst
die Sprache zur Beele des volkes, ist aber auch die
Sprache dieser Seele selbst. Sie ist eine gewaltige
Nlacht: einen ganzen Bau von Gesetzen verbrennt
vielleicht das zündende wort eines Liedes!

Zu welcher bsöhe die edle jDflanze der Nunst
aber auch anwachsen kann, sie ist in ihrer Zugend
gar zart und empfindlich und bedarf seltener Glücks-
umstände oder sorgfältigster j)flege, um zu gedeihen.
Tin Blick auf den Lebenslauf großer Wlänner zeigt
es uns ja so oft, daß die keimenden Ninder der
Schönheit immer und immer wieder rauh umwuchert
und umschlungen und erstickt wurden vom Gestrüpp
der alltäglichen wlühen und Sorgen. wie Viele
gingen am Wißverständnis derer zu Grunde, die
minder weit sahen, als sie selbst, wie Viele kamen
erst zu Gehär, als ihr Gehirn alt und träge, als
ihre Lebensadern brüchig geworden — so daß wir
mit wehmut bedenken, wie viel mehr noch sie uns
geworden wären, hätte eine freundlichere Sonne all
ihre Nnospen erblühen lassen! <§s ist ein verderblicher
Zrrtum, daß jedes Talent sich Bahn bräche, eine
sener Lügen, erfunden von der selbstifchen Faulheit
Derer, denen es „Gott sei Dank, gut" geht und die
von der Verpflichtung dessen, dem der Zufall
Güter gab, nichts ahnen. wie Viele, die uns Allen
nützen könnten, verkümmern oder gehen zu Grunde,
ehe ihr Werk vollendet, oder vollenden ihr werk nur
halb, weil die blödfichtige Allgemeinheit die ihr so
kostbare Arbeitskraft an Verrichtungen sich zerreiben läßt,
die jede geringere ebensogut bewältigen könnte.

Lrkennt der Staat, der dem Aönnen und wissen,

, der Nunst und wissenschaft im weiteren Sinn gegen-
über schon längst seine Micht erkannt hat, auch seine
von Notwendigkeit geborene pflicht gegen die höchsten
Rünste, die schönen, so kann er eingreifen auf zweier-
lei Art.

Zunächst: er kann die Nünstler zu unterstützen,
zu fördern suchen. — Gewiß ist es sehr oft nichts
weniger als leicht, eine wahre Begabung rechtzeitig
^ von einer scheinbaren, das erste oft ungewandte
Tasten des suchenden Talents von der Unbehülflichkeit
der lahmen Talentlosigkeit zu unterscheiden. wo aber
einmal kein Zweifel vorliegt, da sollte der Staat
schützend seine Lzände über den Sprößling breiten, denn
dieser ist Lrbe einer Rrone, die vielleicht mehr, als
ihn, dereinst uns beglücken wird. wer unsere Ver-
hältnisse kennt, kann es nicht bestreiten, daß der Staat
hier weit mehr thun könnte, als er thut, — thut er
doch beispielsweise für Schriftsteller und Dichter ein-
fach Nichts. Don den einzelnen Mäglichkeiten für
ein wirken der Allgemeinheit in der besprochenen
Nichtung, kann ich hier füglich schweigen. §s wäre
nicht möglich, so kurz vorschläge zu begründen, nicht
möglich, die vorhandenen Bewegungen mit so wenig
worten zu prüfen. Um das zu thun, dürfte sich
diesen Blättern zudem noch oft genug die Gelegenheit
bieten.

Nräftiger und segensreicher noch, als durch die
Unterstützung einzelner Nünstlerpersänlichkeiten kann
der Staat zum §egen der Nunst wirken, wenn er
das Volk mehr und mehr heranbilden hilft zu einer
edlen Ge nußfähigkeit. §o können dem Geifle neue

(s



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